Es mag ja stimmen, dass die Montanunion als das Herzstück der EU den Frieden als pragmatische Konsequenz von gegenseitiger Information und gemeinsamer ökonomischer Interessen als Hauptziel hatte, was so kurz nach dem Ende des großen Krieges eine erfreuliche Änderung gegenüber St. Germain war. Diese Pragmatik der Kooperation und Koexistenz hat aber im Laufe der Zeit einem immer schärfer werden Konkurrenzdenken, zumindest gegen den Rest der Welt Platz gemacht, sodass es verwegen erscheint, die EU heute noch als Friedensprojekt zu apostrophieren, außer man meint, dass Friede im eigenen Wohnzimmer ausreicht um die Einmischungen, Rüstungsanstrengungen und Beistandspakte zu vergessen.
Die behaupteten 67 Jahre des friedlichen Zusammenlebens in Europa lassen Zypern, das Baskenland, Belfast und Jugoslawien ebenso vergessen wie die Tatsache, dass in Griechenland, Portugal und Spanien noch lange nach den Verträgen von Rom Militärdiktaturen diese Länder beherrschten. Und dass dies das erste Mal in der Geschichte Europas gelungen sei lässt die Zeit vom Wiener Kongress bis zum Beginn des 1. Weltkrieges unbeachtet, weil in diesen 100 Jahren ebensolche Konflikte den Frieden gefährdeten, wie nach 1945.
Die quasi „Erklärung des Wirtschaftskrieges“ von Lissabon, dass die EU die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt werden wolle und der sogenannte freie Markt mit seiner harten Konkurrenz als Prinzip, Deregulierung der Rechte von Beschäftigten und undemokratischen Versuchen von GATT und MAI sind auch nicht gerade vom Willen eines friedlichen Zusammenlebens, weder in Europa und schon gar nicht auf der ganzen Welt getragen.
Da spielt es auch keine Rolle mehr, dass uns in Österreich der (jetzt gerade hochgelobte) Herr Vranz in puncto Neutralität angeschwindelt hat, dass uns Frau Ederer einen Tausender vorgelogen hat und sogar der Herr Voggenhuber die abgeschwächte Sozialcharta als Fortschritt in sozialen Fragen umdeutet, obwohl wir eine der schlimmsten Asylpraktiken innerhalb der schlimmen Dublinregelung haben und von namhaften Ökonomen als Paradies für Steuerhinterzieher gelten.
Man kann also den Friedenspreis nur als Aufschrei der Enttäuschung sehen, der eine Besinnung und Umkehr zu den humanistischen Werten von Kant, Schuhmann und Kreisky einmahnt. Das Lobgehudel des Preiskomitees und der honorigen Bonzen der EU-Staaten lässt dies jedoch nicht erahnen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Robert Reischer