Fünf Monate nach der Gründung der Ersten Republik wurde im April 1919 das heute in Österreich im Verfassungsrang stehende Adelaufhebungsgesetz beschlossen und in Kraft gesetzt. Nur im Burgenland, das erst 1922 zu Österreich kam, erfuhr die Gültigkeit des Gesetzes erst 2008 eine endgültige verfassungsrechtliche Klärung.
Ebenfalls im April 1919 trat das Habsburgergesetz in Kraft, das über das Adelsaufhebungsgesetz hinausgeht, indem es auch den Gebrauch (nicht nur das Führen) von Titeln wie Erzherzog/in verbietet. Das staatliche, aber in der Verwaltung des kaiserlichen Hofes gestandene bewegliche und unbewegliche Vermögen im Staatsgebiet der Republik Deutschösterreich (heute Republik Österreich) wurde der Staatsverwaltung unterstellt. Die so genannten Privat- und Familienfonds des Hauses Habsburg und seiner Zweiglinien, meist vom jeweiligen Oberhaupt des Hauses verwaltetes gemeinsames Familienvermögen, wurden enteignet und ins Staatseigentum übergeführt. Persönliches Privateigentum blieb erhalten.
Der übrige Adel hingegen war nur symbolisch in die Schranken gewiesen worden: Er musste lediglich auf das ”von” und diverse Insignien wie Wappen und adelige Standesbezeichnungen – Graf, Fürst, Ritter, Herzog, aber auch Bezeichnungen anderer Länder, wie Conte, Marchese etc. – verzichten.
Wenngleich in Artikel 7 der Verfassung von 1920 festgestellt wird: ”Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen”, so war das doch nur ein formaler Akt, denn an die wahre Problematik ging es nicht heran. Wie Fanny Starhemberg gegenüber dem damaligen ersten Bundespräsidenten Hainisch über diesen Punkt sagte: ”Uns macht die Aufhebung des Adels nichts, wir bleiben mit oder ohne den Titel immer die Starhembergs.‘”
Und damit hatte sie leider Recht: Während Ungarn den Adel wenigstens nach 1945 enteignete, bleibt der historisch bedingt zu einem guten Teil aus riesigen Ländereien bestehende Besitz ebenso wie sicher keine geringen, in Privatstiftungen steuerschonend geparkte Geldvermögen in Österreich bis heute in den ehemaligen Adelsfamilien. Von den 10 größten Grundbesitzern in Österreich sind fünf dem Adel zuzurechnen – an vorderster Stelle die Familie Esterházy, die 440 km² Land besitzt, aber auch Mayr-Melnhof mit 320 km² oder die Familie Schwarzenberg mit 200 km². Auch deutsche Adelshäuser sind kräftig am Grundbesitz in Österreich beteiligt. Dieses Geld und diese Ländereien wurden auf dem Rücken der nichtadeligen Bevölkerung, der Arbeiterklasse einschließlich Lehenbauern, erworben, genutzt und vermehrt.
Und diese Familien sind nach wie vor mächtig, reich und organisiert – die 2005 gegründete ”Vereinigung der Edelleute in Österreich – V.E.Ö.”, die sich als Nachfolger der kurz vor dem Ersten Weltkrieg gegründeten, aber erst seit 1922 wirklich aktiven und von den Nationalsozialisten 1938 verbotenen Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich betrachtet, wurde 2006 vom Innenministerium als zulässig erkannt. Während er ihren aus dem Fleisch des Volkes geschnittenen Reichtum weiter vermehren kann, kriecht der Adel auch politisch wieder aus den Löchern.
Der Kärntner Forstwirt in eigenen Landen und Grünpolitiker (!!!) Ulrich Habsburg wurde bereits im Jahr 2009 – im Hinblick auf die Bundespräsidentschaftswahl 2010 – aktiv und stellte einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof zur Abschaffung des sogenannten ”Habsburger-Paragrafen”. Seine Ankündigung, bei der Präsidentschaftswahl 2010 kandidieren zu wollen, führte letztlich (nach der Wahl) tatsächlich zur Aufhebung der entsprechenden Verfassungsbestimmung im Zuge einer Wahlrechtsreform. Und dann äußerte Ulrich Habsburg am 25.9. bei den 21. Zeitgeschichte-Tagen in Braunau, die heuer bezeichnenderweise unter dem Titel „Adel verpflichtet“ standen, die krude Idee, die Adelstitel in Österreich als Teil des Namens wieder einzuführen, ”um die Polarisierung zwischen Aristokraten und Nicht-Aristokraten lindern.” Er glaubt, dass zum Jubiläum ”100 Jahre Republik” im Jahre 2018 der Zeitpunkt gekommen wäre, um die Verfassung zu ändern, die das Führen von Adelstiteln in Österreich unter Strafe stellt. ”Eine Gleichstellung der Adelstitel innerhalb der EU muss früher oder später sowieso kommen, da es bei international verzweigten Familien nicht haltbar ist, wenn ein Teil den Adelstitel führen darf und der andere Teil nicht”, meint er.
Ich meine: Die Aristokratie existiert vordergründig in Österreich per Verfassung seit fast 100 Jahren nicht mehr. Im Hintergrund aber wittert sie im Fahrwasser des noch immer weiter erstarkenden Neoliberalismus ihre Chance, den Status als ”bessere” Klasse wieder offiziell zu zementieren. Das darf nicht als harmlose Spinnerei belächelt werden, im Gegenteil ist zu fordern, dass der nicht für das persönliche Wohnen genutzte Landbesitz endlich zum öffentlichen Gut gemacht und auch die nur dem Erhalt des Herrschaftsanspruches über Generationen dienenden Privatstiftungen enteignet werden!
Peter Gründler