BerufsWehrPflicht? Betrachtungen eines ehemaligem Zwölfmonatsdieners

Die Freunde in der Schottengasse hatten ja Recht: Man müsse sich bemühen, dass die Befragung Berufs- oder Wehrpflichtheer um die Antwortmöglichkeit „Gar kein Heer“ erweitert werde. Ich würde sofort mein Kreuz in so ein Antwortkästchen setzen. Schon im letzten Herbst war zu befürchten, dass weder ich noch sonst jemand dazu Gelegenheit haben werde. Die Fragestellung wurde um keine dritte Option erweitert, weder um „Gar kein Heer“ noch um „Wehr/Zivildienstpflicht für Männer und Frauen“, eine Erweiterung, für die ja auch schon vor Monaten Stimmen laut wurden (Der Standard, 23.10.1012).

Vielleicht ist aber das Fehlen der Option „Kein Heer“ jetzt gar nicht so schlecht: Das Werben um Zustimmung zu dieser Forderung will ja auch gut vorbereitet und – nicht zu übersehen – auch gut, sogar sehr gut finanziert sein. Beide Voraussetzungen scheinen mir gegenwärtig nicht hinreichend gegeben zu sein; ein Votum im einstelligen Prozentpunktebereich wäre eher entmutigend. Dass es ein langer, sehr langer Weg zu einem Österreich ohne Armee ist, bräuchte man sich nicht auch noch durch ein Hoffnung raubendes Volksbefragungsresultat bestätigen lassen. Der Blick zurück in die jüngere Geschichte unseres westlichen Nachbarlandes, der Schweiz, ist doch Beleg genug für den schier nicht enden wollenden Volksabstimmungsmarathon bis zur Erreichung dieses Zieles.

Folglich könnte man die beiden „offiziösen“ Optionen besser dahingehend hinterfragen, auf welcher der beiden Voraussetzungen es weniger schwierig sein könnte, eine Entmilitarisierung des Landes zu erreichen: Wird es ohne Wehrpflicht politisch leichter oder schwerer, das Heer abzuschaffen? Darüber nachzudenken und entsprechend zu entscheiden, ist zielführender, als zu klagen und zu protestieren, dass die „falschen“ Fragen gestellt würden oder dass es besonders perfid sei, die „böse“ Militärfrage mit dem so „guten zivilen Dienst an der Gesellschaft“ unauflöslich zu verknüpfen, und mensch daher am besten gar nicht antworten sollte.

Bevor ich auf einige der Argumente der letzten paar Monate zu dieser Thematik eingehe, noch eine Anmerkung zu meinem persönlichen Entscheidungshintergrund: Als mir die Stellungskommission meine „Tauglichkeit zum Dienst mit der Waffe“ bescheinigt und ich bald darauf (1964) einen Einberufungsbefehl erhalten hatte, gab es noch keine Zivildienstalternative. Ich entschied nach einigen Überlegungen, zu den verpflichtenden 9 Monaten noch drei anzuhängen. Das beruhte nicht auf einem gesteigerten Bekenntnis zur Sinnhaftigkeit dieses Wehrdienstes, sondern vor allem darauf, mich aus der „Kanonenfutter-“ oder „Schütze-Arsch-Rolle“ etwas heraushalten zu können. Die zusätzliche Zeitinvestition hat mir Erlebnisse, Erfahrungen und Einblicke in viel mehr Ebenen des Militärs ermöglicht, als es den Nur-Grundwehrdienern mit anschließender Milizverpflichtung möglich war.

Was damals schon vorherrschende Einschätzung war, dass nämlich die Rekruten ihr „Handwerk“ äußerst unzulänglich lernten, weil die Lehrzeit und die eingesetzten Lehrmittel für’s „Soldatsein“ viel zu knapp bemessen sei, kann heute – 50 Jahre später und nach seither mehrfach verkürzter „Lehre“ – mit noch größerer Berechtigung gesagt werden. Während in allen anderen, zivilen Berufen die Lehrzeit verlängert, intensiviert und in die „bessere Verwertbarkeit“ der auszubildenden Fachkräfte investiert wurde und wird, geschah beim Militär das Gegenteil: Verkürzung der Ausbildung, beschleunigte, sukzessive Veralterung und Unzweckmäßigkeit des Materials, Ausdünnung der „eigentlichen“ militärischen Truppen – kurzum: es war nur mehr eine Frage der Zeit, wann die Untauglichkeit dieses geschrumpften Apparates denn irreversibel und nicht mehr zu verbergen sein würde. An die eigene Wehrfähigkeit glaubte schon damals kaum ein Wehrpflichtiger, der durch die „Soldatenlehre“ gepresst wurde. Die an den immer kürzer gewordenen Grundwehrdienst angehängten verpflichtenden Milizübungen haben eher das Vergessen des notdürftig Gelernten dokumentiert als zur Auffrischung des Verlernten beigetragen. Mit dem Zivildienst wurde auch noch die Option geschaffen, der Verpflichtung zur zeitaufwändigen Wehrlosigkeit zu entkommen. Wir haben es also bisher mit einem langsamen Prozess der Dysfunktionalisierung des Militärs und damit einer Entmilitarisierung der Gesellschaft in diesem Land zu tun. Wer heute diesen Prozess aufhalten oder gar umkehren will, der ruft in der aktuellen Situation zum Erhalt der Wehrpflicht und zu einer Reform des Milizsystems auf, die ja von den Protagonisten der Wehrpflicht als unbedingt notwendig erachtet wird. Und was heißt hier nun „Reform“? Ein mehrheitliches Ja zur Wehrpflicht würde ziemlich sicher als „Bekenntnis des Volkes und Auftrag zur Stärkung der Landesverteidigung“ interpretiert und daher als Argument für eine bessere Dotierung des LV-Budgets eingesetzt werden. Und ohne Verlängerung der „Lehrzeiten“ ist die fortgeschrittene und fortschreitende Untauglichkeit der Wehrpflichtigen auch kaum glaubwürdig einzubremsen.

Für den „inneren Feind“ gerüstet

Von etlichen Linken – und nach meinen Diskussionserfahrungen vor allem von Frauen – wird die Wehrpflicht als Bollwerk oder zumindest taugliches Mittel gegen die Gefahr eines gegen das Volk agierenden Berufsheeres gesehen (siehe auch Herbert Sburny in akin 12.12.2012). Ich erinnere mich selbst noch an jene aus den Analysen diverser Bürgerkriege stammende Argumentation: Es wäre ein großer Fehler gewesen, den Rechten das Heer alleine zu überlassen. Eine vom Volk selbst getragene verpflichtende Miliz wäre daher ein struktureller Garant gegen die Verselbständigungsgefahr eines Berufsheeres. Milizsoldaten würden nie (oder jedenfalls nicht so ungehemmt) gegen das Volk agieren und auf ihresgleichen schießen, wenn der „Staat in Gefahr“ sei und Schießbefehle erteilte. Ich meine, dass hier der Wehrpflicht und dem Milizsystem viel zu viel „zugetraut“ und gleichzeitig die alle Militärs – eben auch „Volksarmeen“ – durchdringende Befehlsgewalt und Gehorsamskultur völlig unterschätzt wird. Allen Waffenübungen, zu denen ich in meiner Reservistenzeit verpflichtet wurde, lagen „innere Feinde“ – also Teile des „Volkes“ – als Feindbilder zu Grunde. Niemand von den Milizsoldaten hatte irgendwelche Skrupel, die der Übungsannahme entsprechenden Befehle zu exekutieren. Die Reserveoffiziere (sie gehören zur wehrpflichtigen Miliz!) schlossen mich von weiteren gemeinsamen Besprechungen aus, versetzten mich zu schwer zu führenden Truppen, weil ich in einer Versammlung die Feindbildannahme kritisch in Frage gestellt hatte. Die Feindbilder wiederum waren stets mit der (außermilitärischen) Politik abgesprochen.

Wer mit der (idealisierten, verbrämten) „Volksnähe“ eines Wehrpflichtigenheeres argumentiert, übersieht, dass die Befehlshabenden fast alle Berufssoldaten sind. Und die unterscheiden sich durch gar nichts von den Befehlshabenden in einem Berufsheer. Je weniger zu Gehorsam vergewaltigte Wehrpflichtige sie zu ihrer Verfügung haben, umso weniger gefährlich sind sie. Es ist viel wichtiger und auch wirksamer, sich für die Herrschaft der Politischen Institutionen über das Militär – solange es noch eines gibt – einzusetzen, als sich der Illusion hinzugeben, über die Wehrpflicht das Militär (demokratisch) zu politisieren.

Der langfristige Trend der Gewichtsabnahme des Heeresbudget spiegelt in gewissem Sinn auch die Abnahme des Bedrohungspotenzials in den letzten Jahrzehnten und die Sinnkrise eines solchen militärischen Apparates wider. Die Fortsetzung dieses Entmilitarisierungsprozesses in unserer (österreichischen) Gesellschaft ist in einem reinen Berufsheer wahrscheinlicher, weil dessen Finanzierung – im Vergleich zum „reformbedürftigen“ Wehrpflichtheer – keiner derart langfristig festgeschriebenen Verbindlichkeit unterworfen wäre. Der gewichtigste Klotz am militärischen Bein sind doch die Wehrpflichtigen, die jedes Jahr rekrutiert und ausgebildet werden müssten – seit Jahren kosten sie nur mehr und erhöhen die Spesenrechnung, die wir für die Wehrunfähigkeit zu begleichen haben. Sie einzusparen ist eine Chance, die in einer Ablehnung der Wehrpflicht bei dieser perfiden Volksbefragung liegt.

Der Kampf für das weitere budgetäre Aushungern des Heeres wird ohne diese Wehrverpflichtung auch nicht leicht, aber sicher leichter. Die budgetäre Umverteilung jener finanziellen Ressourcen, die für eine Reform der Wehrpflichtmiliz erforderlich wären, hin zu sozialen Diensten, wäre somit auch ein Schritt in Richtung „Österreich ohne Armee“.

Peter Moser

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