Die sommerliche Wiener Christendemo mit Begleitmusik wird langsam Tradition *
Da wuselt ein junger blonder Mann herum, mit gelber Warnweste. Auf seiner Armbinde steht „Sicherheitsdirektor“. Und ein Schwarzhaariger mit Warnweste. Bei dem steht „Sicherheitsleiter“ auf der Binde. Beide sehr geschäftig. Um einen Wagen mit Lautsprecherboxen stehen ein paar alte Männer und sind auch sehr wichtig. Ein Jüngerer hingegen im Trachtenanzug, aber mit cooler Sonnenbrille, steht militärisch steif da und hält seine rotweißrote Standarte mit der Aufschrift „Heiliger Leopold – Bitte für uns“. Auf einem Schild steht „Ehe nur zwischen Mann und Frau“, auf einem anderen: „Gegen Genderlüge und Geschlechterverwirrung“. Auf einem Regenschirm gleich daneben lautet die Botschaft jedoch: „Patriarchat wegschwemmen“. Vom Stephansdom hängt ein Transparent, das für die „Adventure World“ einer Kaffeeverkaufskette wirbt.
Da geschieht das Abscheuliche: Zwei Männer küssen sich! Gott sei dank eilen sofort wackere Polizisten hinzu und trennen die Schamlosen. Touristen stehen ratlos in der Szenerie herum und versuchen herauszubekommen, worum es hier verdammt nochmal eigentlich gehen könnte.
Ja, die Christen sind wieder unterwegs. So wie letztes Jahr als Gegendemo zur Regenbogenparade. Und so wie letztes Jahr gibt es die Gegengegendemo. Die Polizei versucht, die Gruppen zu trennen, und die eigentliche Antichristenkundgebung ins finsterste Winkerl hinter dem Stephansdom zu verbannen. Nur: Die später Hinzukommenden müßte man nun durch die anwachsende Christendemo schleusen. Also läßt man sie gewähren.
Überhaupt hatte man den Eindruck, Christen und Antichristen wollten sich gar nicht trennen lassen und finden sich recht anziehend. Ein älterer Christ mit einem enormen Kruzifix in der Hand und eine junge Antichristin kommen ins Diskutieren. Doch nein, da taucht der christliche „Sicherheitsleiter“ auf und erklärt dem Mitchristen entschieden: „Wir diskutieren nicht mit Gegendemonstranten!“
Eine freundlichere Christin kommt zu mir und fragt mich, ob ich so offen sei, auch etwas zu lesen, was nicht meiner Meinung entspräche. Nachdem ich ihr versichere, daß ich es durchaus mir ansehen und nicht vor der Lektüre, sondern höchstens danach zerreissen würde, drückt sie mir ein Faltblatt in die Hand. Dort kann ich nachlesen, was der letzte Papst zum Thema Gendertheorie zu sagen gehabt hatte, daß der Sexualkundeunterricht abgeschafft werden müsse und daß Selbstbefriedigung nicht als normal dargestellt werden dürfe.
„Wir bringen euch nicht um!“
Ein Sprecher der „Plattform Familie“ ergreift das Wort. Nachdem er sich langmächtig über die Verderbtheit der Homo-Ehe und die Zunahme moslemischer Bevölkerung im Land ausgelassen hat sowie über die „feige Kirche“, für die er sich „schäme“, spricht er auch die
Gegendemonstranten an. Diese hätten ja keine Argumente, sondern könnten nur brüllen. Aber es sei ja einfach so: „Dieser Staat reagiert ja nur dann, wenn man laut brüllt und schreit und trampelt!“ Er werde jetzt aber auch brüllen, weil er könne das auch. Und: „Diese Leute haben ja das Glück, daß sie in einem Land leben, wo sie diese naturwidrigen Gelüste, diese Abnormalitäten ausleben können!“ Weil: „Wir bringen euch nicht um, wir lassen euch leben, im Gegensatz zu einigen islamischen Ländern!“
Dieses enorme Ausmaß an christlicher Toleranz beantworten die Antichristen mit dem schändlichen Sprechchor: „Eure Kinder werden so wie wir!“
So, jetzt geht die Christen-Demo endlich los. Zwischendrin etliche bunt gekleidete Antichristen. Das Ganze sieht aus wie eine Kombination aus Regenbogenparade und Fronleichnamsprozession. Jetzt darf auch die eigentliche antichristliche Demo, die brav hinter dem Stephansdom ausgeharrt hatte, hintendreintrappeln. „HAAAALT!“ Doch nicht. Um den laut brüllenden Polizei-Einsatzleiter muß man sich bei der Hitze des Tages langsam Sorgen machen, so rot ist sein Gesicht schon angelaufen. So, jetzt aber. Der seltsame Marsch zieht über den Graben und vermischt sich nun noch mehr mit den Touristenmassen. Die Polizei hat es kurzfristig aufgegeben, irgendwen von irgendwem trennen zu wollen. Jemand verteilt auch noch Flugblätter „Gegen den Al Quds-Tag“. Der Marsch kommt an den „Frauen in Schwarz“ vorbei, die Ecke Kohlmarkt Palästina-Solidarität betreiben. Sehr bunt das ganze Geschehen. Aber erfreulicherweise zu diesem Zeitpunkt sehr entspannt.
Am Michaeler Platz ist aber Schluß mit lustig. Polizistengerempel, Festnahmedrohungen, Sperrgitter. Die Christen, mit denen man doch so gemütlich durch die Stadt spaziert war, werden überraschend in die Herrengasse geschleust, die Antichristen auf den Ballhausplatz. Eigentlich hätten die Christen auch vorgehabt, auf den Ballhausplatz zu ziehen, begnügen sich dann aber mit dem Minoritenplatz. Doch die Antichristen wollen weiter mit den Christen spielen und so zieht es auch diese zum Minoritenplatz. Den macht die Polizei jedoch dicht. Und dann noch eine unschöne Szene: Eine Demonstrantin bespritzt einen Polizisten mit Wasser — trotz der Hitze ist dieser nicht erfreut und die Uniformfrevlerin wird festgenommen und abtransportiert. Danach löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Also für nächstes Jahr vormerken: Keine Busserln und nicht mit Wasser pritscheln, dann haben alle ihren Spaß.
Bernhard Redl
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