Wahlergebnis: Die leise Katastrophe

Das wirklich Erschreckende an diesem Wahlausgang ist seine Belanglosigkeit. Gut, es hat sich mit den NEOS erstmals seit den Grünen 1986 wieder eine Partei im Nationalrat etabliert, die nicht vorher durch eine Fraktionsabspaltung in eben diesem Gremium entstanden ist. Aber da das auch nicht mehr ist als eine Mischung aus Ex-ÖVPlern und LIF-Resten, ist das Erstaunen enden wollend. FPÖ, NEOS und Stronach haben sich das BZÖ-Erbe aufgeteilt, die übrigen Prozente dieser Parteien sind hauptsächlich der geringeren Wahlbeteiligung geschuldet, die NEOS haben außerdem ein bißchen bei der ÖVP und den Grünen geknabbert. Aber sonst?

Die Verluste von SPÖ und ÖVP lassen sich durch Wahlverweigerung, der Verkleinerung der präferierten Klientelgruppen und vor allem den biologischen Abgang von Stammwählern erklären. Erstwähler
interessieren sich nunmal nicht für die beiden Grand Old Parties der österreichischen Politik.

Wenn man Wahlergebnisse als Stimmungsbild der Gesellschaft nimmt — was trotz der Verzerrungen durch taktisches Wählen durchaus legitim erscheint –, hat sich nach fünf Jahren in diesem Land kaum etwas verändert. Man sollte meinen, ein halbes Jahrzehnt ist eine lange Zeit, und schließlich leben wir in einer Periode der Weltgeschichte, von der man sagt, sie sei unheimlich schnelllebig. Aber in Österreich tut sich derzeit genau gar nichts.

Was sind schon fünf Jahre?

Ein Vergleich: 1984 war Hainburg, die Kreisky-Ära war gerade vorüber, es regierte Rotblau unter Sinowatz.

1989 fiel der eiserne Vorhang, in Österreich gab es eine rotschwarze Koalition unter der Leitung eines Bankers — dazwischen war die Waldheimaffäre, die darauf folgende Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte, aber auch die Aufdeckung diverser Wirtschaftsskandale, das Auftreten der Grünen im Zuge einer erstarkten Umweltbewegung und der beginnende Aufstieg Jörg Haiders.

1994 ist die Volksabstimmung über den Beitritt zur EU, davor und danach kommt es zu großen Umstrukturierungen, die vor allem die Beamtenschaft und die bisher verstaatlichte Industrie betreffen. Im selben Jahr sind Nationalratswahlen mit heftigen Verlusten für die Noch-Großparteien, ein Jahr darauf schon wieder Neuwahlen, die die SPÖ gewinnt — mit Versprechungen, die sie mit ihrem Koalitionspartner nicht halten kann.

1999 wird in Folge dessen die FPÖ bei der Wahl zweitstärkste Partei, es folgt die schwarzblaue Koalition. Die Proteste dagegen sind enorm und es kommt zu kräftigen Umfärbungen im Beamtenapparat.

2004 sieht man Österreich unter der Dominanz der ÖVP, kurze Zeit später spaltet Haider das BZÖ von der FPÖ ab. Danach kommt es zum Showdown bei den Nationalratswahlen: Die SPÖ wird wieder stärkste Partei und verliert danach erneut die Koalitionsverhandlungen, ebenso wie zwei Jahre später.

Wie immer man all das bewerten mag, muß man doch sagen, fünf Jahre sind eine Zeit, in der SPÖ und ÖVP sich zwar so gut wie gar nicht ändern, formalpolitische wie gesellschaftliche Umbrüche aber kaum vermeidbar erscheinen.

Aber wie gings weiter? 2009 — ja was war da? Die Uniproteste verpuffen bei allem Engagement völlig erfolglos. Was war seither? Occupy zwei Jahre später ist in Österreich noch lächerlicher als anderswo. Veränderungen in der österreichischen Parteienlandschaft passieren lediglich, weil BZÖ-Abgeordnete das sinkende Schiff ihrer Partei verlassen. Die Politik ist so fad, daß das Ergebnis der Gemeinderatswahl in Graz 2012 geradezu ein Aufreger ist, weil es halt nicht so hundertprozentig dem österreichischen Einheitsbrei entspricht. Ebenso wird ein vollkommen inhaltsleeres
Bildungsvolksbegehren hochgepusht, das aber auch gleich wieder vergessen wird. Die Volksbegehren zu Demokratie und Säkularisierung der Gesellschaft werden net amoi ignoriert. Faktisch hat sich in Österreich fünf Jahre auf der formal politischen Ebene nichts geändert.

Also alles paletti? Sind wir doch froh über die Stabilität in Österreich? Nunja, in den letzten fünf Jahren ist nicht nur die Weltwirtschaftskrise hereingebrochen, sondern sind auch — davon abhängig oder nicht — die Zahl der von Armut Betroffenen und die Verunsicherung armutsgefährdeter Schichten enorm angestiegen. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten dürfte in Wirklichkeit deutlich höher sein als die offizielle Inflationsrate und vor allem den nominellen Lohnerhöhungen. Von den realen Arbeitslosenzahlen brauchen wir gar nicht erst zu reden. Und die Mindestsicherung als Verbesserung der alten Sozialhilfe verkaufen zu wollen, ist ein schlechter Witz.

Aber dann gibt es solche Wahlergebnisse? Soviele Leute geben SPÖ und ÖVP noch ihre Stimme? Sollen wir sogar noch diese minimalen Verluste der Koalitionsparteien überhaupt diskutieren? Das sind doch Parteien, würden sie heute mit diesem Personal und diesem Programm neu gegründet, nicht einmal genug Unterstützungserklärungen zusammenbringen würden, um bundesweit zu kandidieren.

Angst statt Wut

Daß die FPÖ wieder einmal ein bißchen dazugewonnen hat, ist nicht die Katastrophe — schließlich war die Partei schon mal deutlich stärker. Und: Vor nicht ganz zwei Jahrzehnten schrieb Markus Wilhelm im „FÖHN“ Nr. 22 über den damaligen FPÖ-Führer und seinen Anhang: „Das Schlimme ist nicht, daß viele Leute Haider wählen. Das Schlimme sind die Zustände, die die Leute so zurichten, daß viele ihren Ausweg im Haiderwählen sehen. Ich verstehe sie, und ich finde nichts Verwerfliches an ihnen, so verwerflich ich J. Haider finde. […] Wenn Haider, wie es heißt, die Wut der Leute schürt, dann schürt er eine Wut, die da ist. […] Wenn man Haider für irgendetwas dankbar sein müßte, dann dafür, daß er diese vorhandene riesengroße, mächtige Wut sichtbar gemacht hat. Sie ist das Kostbarste, was wir haben.“

So gesehen sind die Ergebnisse für FPÖ und Stronach eigentlich viel zu schlecht — ganz zu schweigen von den Stimmen für die chancenlosen Parteien. Und die gesunkene Wahlbeteiligung ist immer noch viel zu hoch. Denn das heißt: Diese kostbare Wut ist verschwunden.

Das heute so geringe politische Engagement genauso wie diese Wahlergebnisse zeigen Resignation und Rückzug in einen privaten Überlebenskampf, der alle Ressourcen aufzubrauchen scheint. Es ist so wenig Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung vorhanden, daß nicht einmal mehr an der Wahlurne mehr protestiert wird. Die Stabilität einer ungerechten Gesellschaftsordnung erscheint erträglicher als die Ungewißheit, ob Veränderungen auch tatsächlich Verbesserungen bringen können. Das ist die echte Katastrophe.

Bernhard Redl

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