(Anmerkung: Der Schwerpunkt der dieswöchigen Presseschau ist rein zufällig – und ob Sozialdemokratie eher ein Heilmittel oder eine Krankheit ist, ist auch noch nicht geklärt.)
Kiffen I
„Totgekifft“ titelte die deutsche „Bild“. Der Hintergrund: Mediziner hatten in einem Fachblatt behauptet, zwei Todesfälle an Cannabis nachweisen zu können. Dr. Benno Hartung zu BILD: „Wir haben seit 2001 Fälle gesammelt. Bei zwei Fällen konnten wir nun jede andere Todesursache komplett ausschließen. Die beiden Männer starben an Herzrhythmus-Störungen, die durch den Cannabis-Wirkstoff THC ausgelöst wurden.“
Dieser Blödsinn wurde auch anderswo verbreitet, doch gibt es mittlerweile schon genug kritische Analysen dieser Resultate, die in seriöseren Blättern erschienen.
Conclusio: Die Mediziner hatten eine Vielzahl von Fällen über mehr als ein Jahrzehnt hin untersucht und fanden bei zwei Männern, bei denen die Todesursache ungeklärt war, daß diese zuvor Cannabis konsumiert haben dürften. Eine Causalität nachgewiesen hatten die Mediziner nicht, sondern lediglich nach dem Ausschlußprinzip gearbeitet. Dafür haben sie jetzt eine hübsche Publikation mehr und ein gutes Renomee bei Boulevard und Rechtsparteien.
LD50-Tests sind eine grausliche Sache: Man füttert Versuchstiere mit einer zu untersuchenden Substanz und erhöht die Dosis so lange, bis die Hälfte der Tiere daran verstirbt. Manche der Ratten und Mäuse haben aber Glück die US-Drogenbehörde DEA wollte (so ein Dokument aus dem Jahre 1988, das von einer Legalize-Website verbreitet wird) einen solchen Test über Cannabis machen. Fazit: Die Viecher waren nicht totzukiffen. Aus dem DEA-Bericht: „Eine Reihe von Forschern hat erfolglos versucht, den LD-50-Wert für Marihuana anhand von Versuchstieren festzustellen. Vereinfacht gesagt konnten die Forscher den Tieren nicht genug Marihuana geben, um ihren Tod herbeizuführen. Gegenwärtig wird geschätzt, dass der LD-50-Wert von Marihuana um 1:20.000 oder 1:40.000 liegt. Für Laien bedeutet das, dass ein Raucher 20.000 oder 40.000 mal soviel Marihuana konsumieren müsste wie in einer Marihuana-Zigarette enthalten ist, um den Tod herbeizuführen ein Raucher müsste theoretisch an die 1500 Pfund Marihuana innerhalb von 15 Minuten konsumieren, um eine tödliche Reaktion hervorzurufen“ (Übersetzung: Vice.com).
Immerhin: Wer es schafft, eine dreiviertel Tonne Cannabis in einer Viertelstunde zu konsumieren, fällt tot um — also ist das Zeug wohl doch giftig. Als Selbstmordmethode allerdings wäre das auf Grund des Aufwands und natürlich der Kosten aber eher nicht zu empfehlen.
Bild: http://www.bild.de/regional/duesseldorf/duesseldorf/die-ersten-hasch-toten-der-welt-34826700.bild.html
Vice: http://www.vice.com/de/read/forscher-beweisen-aspirin-ist-1000-mal-toedlicher-als-cannabis
DEA-Bericht: http://www.ccguide.org/young88.php
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Kiffen II
Im Zentrum Amsterdams soll die Hälfte der 78 Coffeeshops geschlossen werden. Nachdem der x-te Gesetzesvorschlag, den legalen Cannabis-Handel einzuschränken, in dem man den Bezug vom Besitz eines niederländische Passes abhängig macht was ausländische Gäste zu den illegalen Dealern getrieben hätte , gescheitert ist, hat man nun ein Verbot von Hanf-Läden im Umkreis von 250 Metern von Schulen eingeführt. Da es im Amsterdamer Zentrum viele Schulen gibt, sind entsprechend viele Läden betroffen. Der Verdacht liegt aber nahe, daß es weniger um den Schutz der Kinder geht, sondern daß Amsterdam sein Drogen-Image loswerden möchte oder auch, daß man dem Druck der deutschen Regierung ein klein wenig nachgibt, die schon seit ewigen Zeiten den Cannabis-Tourismus von Norddeutschland eindämmen möchte. Vom Ruhrpott beispielsweise ist man mit dem Zug binnen einer halben Stunde in den Niederlanden und binnen zwei Stunden in Amsterdam.
Reportage in der Süddeutschen Zeitung:
http://sz.de/1.1910285
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Kiffen III
Endlich kommt einmal etwas Vernünftiges von der Sozialdemokratie: „Kiffen für die Hypo“ ist die griffige Zusammenfassung für die Forderung von Fiona Kaiser, Vorsitzende der SJ-OÖ. Kaiser erhofft sich durch einen legalen Cannabisverkauf Steuereinnahmen zur Aufbesserung des österreichischen Budgets. „In Anbetracht der horrenden Summen die im Hypo-Debakel verheizt werden, ist es an der Zeit neue Wege der Finanzierung des Staatshaushaltes zu finden“, teilte Kaiser in einer Aussendung mit. Es sei „unverständlich wie die repressive Drogenpolitik der vergangenen Jahrzehnte nicht nur tausende Menschen in die Kriminalität treibt, sondern darüber hinaus auch Millionen von Euro unversteuert in die Hände der Drogenindustrie gespielt werden“.
Die FPÖ zeigte sich daraufhin „schockiert“ und der BZÖ-Jugendsprecher Heimbucher meinte: „Ein vernünftiger Ansatz, um der Drogenproblematik, die vor allem im urbanen Raum um sich greift, Herr zu werden, wäre aktive Aufklärungspolitik“. Da hat er wohl recht, allerdings anders, als er es meint siehe „Kiffen I“.
SJ: http://www.sjoe.at/content/ooe/home/article/9215.html
FPÖ: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20140312_OTS0241
BZÖ: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20140313_OTS0137
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Liberal-Christlichsoziale Demokratische Partei
Apropos Sozialdemokratie. Angesichts einer solchen Sozialistischen Jugend ist es kein Wunder, wenn das neue Parteiprogramm der SPÖ hauptsächlich von zwei älteren Herren geschrieben werden soll: Josef Cap und Karl Blecha. Die Generallinie zur Programmerstellung beschreibt Cap in einem Interview mit der „Presse“ so: „Es gibt verschiedene Zugänge, um sich einem Parteiprogramm anzunähern. Man kann einen christlichen Zugang haben, einen liberalen da wird das eine oder andere der Neos einfließen und es wird auch marxistische Beiträge geben, in der Denkmethode. … Es kann am Ende überhaupt kein geschlossenes Weltbild stehen. Wir stehen für die offene Gesellschaft.“
Die SPÖ bleibt also bei einem Karl als Säulenheiligen nur halt eben eher Popper als Marx. Gesinnung ist ja sowas von 20.Jahrhundert…
Das Interview: http://diepresse.com/home/1575437
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Herrscher sind einfach krank?
Die Vermutung, Herrschsucht und Rücksichtslosigkeit seien auf einen Hirnschäden zurückzuführen, stellte der deutsche „Focus“ schon letztes Jahr in einem Artikel auf.
Unter dem eher reisserischen Titel „So erkennen Sie einen Psychopathen“ ist Folgendes zu lesen: „Rund 500 000 Psychopathen leben in Deutschland wahrscheinlich sogar mehr. Denn nur 50 Prozent fallen auf: Sie landen als Gewalttäter im Gefängnis. Die andere Hälfte schlägt sich erfolgreich durchs Leben. Sie sind oft äußerst charmant, eloquent, selbstbewusst. Aber allen ist eine böse, dunkle Seite gemein: Psychopathen sind skrupellos, manipulativ und ohne jegliches Mitgefühl für ihre Umwelt. Vier bis fünf Prozent der Menschen sind Psychopathen, aber nicht alle werden kriminell, sagt Niels Birbaumer, Professor für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen. … Viele sind äußerst erfolgreich im Beruf: Ihre Rücksichtslosigkeit, ihr übersteigertes Selbstwertgefühl und ihre Risikobereitschaft bringt sie in Machtpositionen. Weil es den Psychopathen an Empathie fehlt und sie keine Furcht empfinden, können sie sich oft besonders gut durchsetzen.“ Nochmal der Professor: „Sie haben keine kognitiven Defekte, können ihr Handeln rational erfassen, sich die Folgen vorstellen. Aber sie empfinden nichts.“
Ist es so einfach? Sind viele durchgeknallte Generäle, Generaldirektoren, Finanzjongleure, Minister, Familienpatriarchen und natürlich auch Primarärzte einfach nur hirngestört und eigentlich zu bemitleiden? Und darf man ihnen dann gar nicht mehr böse sein, weil sie ja eben nur krank sind? Sind moralische Kategorien nunmehr nicht mehr anwendbar? Diese Betrachtungsweise von Macht- und sonstiger Gier ist nicht uninteressant, aber was heißt das politisch?
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Schonkost für alle
Apropos krank: Daß der Kapitalismus krank ist und krank macht, ist ein alter Hut. Aber wie heutzutage Menschen etwas als heilsam verkauft wird für Krankheiten, die sie gar nicht haben, ist schon bemerkenswert. Ein schönes Beispiel sind jene Produkte, die als gluten-, lactose- oder fructosefrei verkauft werden. Für die wenigen Menschen, die wirklich an Intoleranzen oder gar Allergien leiden, sind diese Angebote sicher ein Segen. Doch diese wenigen Betroffenen würden keinen so riesigen Markt ausmachen, wie er in den Supermarktregalen augenfällig ist. Mittlerweile jedoch halten viele gesunde Menschen diese vollkommen natürlichen Lebensmittelbestandteile für krankmachend und kaufen mit Vorliebe Nahrungsmittel, die möglichst von allem frei sind, was so einer Marketingabteilung alles einfällt.
Ein wunderbarer Artikel findet sich dazu in der „Zeit“. Zitat: „Bei der Mythenbildung hilft obendrein der Rummel, den Prominente und Scheinprominente um die Sache machen: So haben die Sängerin Lady Gaga, die Spielerfrau und Designerin Victoria Beckham und die Schauspielerin Miley Cyrus schon alles Gluten von ihren Tellern verbannt und halten die Welt über die wunderbare Wirkung des Verzichts auf dem Laufenden. Die Veränderung deiner Haut, deiner physischen und psychischen Gesundheit ist erstaunlich“, twitterte Miley Cyrus. Weil sie Gluten weglasse, habe sie auch extrem abgenommen. (…) Prominente Ratschläge, schlaues Marketing und sensible Esser schaukeln sich gegenseitig hoch. So setzt der Verstärkerkreislauf ein und pathologisiert höchst erfolgreich immer neue Zielgruppen. Schon ist glutenfreies Katzenfutter im Handel. Und im neu erschienenen Backbuch Weihnachtsplätzchen für Hunde geht der Autor endlich auch auf die Festtagsbedürfnisse des laktoseintoleranten Dackels ein.“
Die Zeit:
http://www.zeit.de/2013/48/ernaehrung-essen-lebensmittelunvertraeglichkeit
Zeitungsleser: Bernhard Redl
(aus akin 7/2014)