[ Audiokurzfassung (7:58): http://cba.fro.at/258524 ]
Die Proteste gegen die Globalisierung sind oft recht einseitig — zwei Fallbeispiele.
Zwei Meldungen geisterten letzte Woche durch die Netze und beide lösten heftige Empörung aus. Zum einen ist das die Überantwortung der österreichischen Telekom an Carlos Slim, einem mexikanischen „Mega-Oligarchen“, dessen Firma América Móvil mittlerweile mehr als 25% der ehemaligen Staatsmonopolfirma hält.(1) Der auf 10 Jahre abgeschlossene Vertrag bestimmt, daß die ÖIAG — die eine ähnlich große Sperrminorität hält — zwar weiterhin den Generaldirektor beruft, inhaltlich aber die „alleinige industrielle Führerschaft und Kontrolle über die Telekom-Austria-Group“ (so der Vertrag) an Slim geht. Große Aufgebrachtheit und die Betriebsräte im Aufsichtsrat haben sich geschlossen gegen diesen Vertrag ausgesprochen. Verständlich, denn damit wird die Telekom Austria nicht mehr vom österreichischen Staat kontrolliert — die Sorge um die Erhaltung von Arbeitsplätzen wird damit natürlich genauso größer wie die Befürchtung, die Telekom werde sich nur mehr um Infrastruktur kümmern, die gewinnbringend ist.
Die andere Meldung: „Europaparlament stimmt Investorenschutz nach TTIP-Vorbild zu“ (2). Ja, im Europarlament hat man noch kurz vor Schluß der Amtsperiode mehrheitlich einer Regelung bezüglich Investor-Staats-Streitigkeiten (Investor-State-Dispute-Settlement, ISDS) zugestimmt. Dafür waren die EVP, die SPE und die Liberalen, dagegen Grüne und Linke. Dieser Regelung gibt der Europäischen Kommission diesbezüglich mehr Macht und unter anderem das Recht, einen Mitgliedsstaat dazu zu zwingen, einem Vergleich mit einem Kläger zuzustimmen. Praktisch soll das so gehandhabt werden: Wenn ein EU-Staat von einem Konzern verklagt wird, weil dieser sich durch ein Gesetz finanziell benachteiligt fühlt, kann die Kommission
vertretungsweise einen angebotenen Vergleich des Investors annehmen, diesen ausbezahlen und diese Zahlung dem Staat in Rechnung stellen.
Das ist natürlich problematisch, greift diese Regelung doch noch mehr in die Souveränität der Teilstaaten ein als dies die EU schon bislang durfte. In den Debatten um die nun vom EP beschlossene Regelung wird diese aber vor allem als Vorleistung für das US-EU-Freihandelsabkommen TTIP gesehen. Auch hier natürlich große Empörung und die Befürchtung, daß US-Konzerne europäische Gesetze durch Klagsdrohung zunichte machen könnten, wenn das Freihandelsabkommen und speziell der darin enthaltenen Investitionsschutz tatsächlich Rechtskraft erhalten würden — Stichwörter: Chlorhuhn, Fracking, etc. Also steht wiedereinmal der Ausverkauf der europäischen Nationalsouveränitäten resp. der Primat des Kapitals über den Rechtsstaat, also „unsere“ Gesetze, im Raum.
Nur so ganz einfach ist es nicht. Zum einen ist nicht so ganz sicher, ob in diesem Freihandelsabkommen ein Investitionsschutz enthalten sein wird, denn nach heftigen Protesten wackelt dieser Teil des Vertrag nun. Zum anderen hat diese Regelung, die jetzt durch das EU-Parlament gegangen ist, noch einen ganz anderen Hintergrund. Denn mit dem Vertrag von Lissabon fielen die Angelegenheiten des
Investitionsschutzes auch in die EU-Zuständigkeit.
Investitionsschutzabkommen werden nämlich nicht erst seit dem umstrittenen MAI in den 1990ern diskutiert, sondern sind ein alter Hut. Die ersten Verträge dieser Art wurden in den 1950ern
abgeschlossen, die meisten davon bilateral. Etwa 3000 solcher Abkommen dürfte es heute weltweit geben. Es braucht also eine klare Regelung, wie denn die EU ihre Zuständigkeit bezüglich Investitionsschutz praktisch ausüben soll — die Frage war nur, wie diese Regelung aussehen kann. Wollte man gar keine Regelung, müßte man den Vertrag von Lissabon wieder abändern.
Zurück zur Telekom. Denn auch hier waren die Akteure Getriebene. Die Gefahr steht nämlich im Raum, daß Carlos Slim noch weitere Anteile, die schon länger nicht mehr im Besitz der ÖIAG sind, aufkaufen würde und dann die Aktienmehrheit hätte. Tatsächlich hat Slim den Aufkauf weiterer Anteile schon angekündigt. Da Slim weiters angekündigt hat, eine Kapitalaufstockung vornehmen zu wollen, was die ÖIAG befürwortet, könnte auch das Gesamtaktienvolumen steigen, wodurch die ÖIAG, wenn sie sich an der Aufstockung nicht beteiligen will, sogar die Sperrminorität verlieren dürfte. Mit dem jetzt abgeschlossenen Vertrag will man daher eine Einflußnahme auf den Konzern durch die ÖIAG zumindest auf eine gewisse Zeit sicherstellen. Hätte man die komplette Kontrolle über den Konzern behalten wollen, hätte der Staat niemals eine Privatisierung der Mehrheitsanteile durchführen dürfen.
Doch hier hakt es. Denn viel Druck auf den Aufsichtsrat, diesen Vertrag abzuschließen, kam auch aus dem Vorstand der Telekom — mit dem ganz speziellen Hintergrund eben dieser Kapitalaufstockung. Denn das Management möchte auch weiterhin die Telekom-Gruppe wachsen sehen, sprich: Auf Einkaufstour gehen. Der Telekom gehören nämlich schon von Liechtenstein bis Mazedonien acht andere europäische
Telekomgesellschaften. Denn wir reden hier nicht von der netten kleinen österreichischen Telefongesellschaft, die von einem bösen Mega-Oligarchen aus dem Ausland geschluckt wird. Diese ehemalige österreichische Telefonverwaltung ist mittlerweile selbst ein multinationaler Konzern, der anderswo diktiert, welche Arbeitsplätze erhaltenswert und welche Infrastruktur gewinnbringend ist — der Ingrimm darob war aber hierzulande eher verhalten. Erst jetzt, wo ein noch größerer Fisch die Telekom schluckt, gibt es Proteste. Daß die Telekom unter Kontrolle Slims auch weiterhin in Europa expandieren möchte, stört hingegen immer noch kaum jemand. Also: Wer ist hier der amoralische Räuber? Carlos Slim ganz alleine? Oder vielleicht nicht auch die Telekom Austria Gruppe?
Hier geht es nicht um das arme kleine Österreich, dessen Betriebe vom bösen Ausland geschluckt werden, sondern das ist der internationale Kapitalismus. Das ist das Fressen und Gefressenwerden und die in Österreich beheimateten Konzerne wie zum Beispiel auch die OMV oder die hiesigen Banken sind oft genug diejenigen, die anderswo sich Firmen einverleiben und den Profit abziehen.
Und hier komme ich wieder zurück zur Debatte um das Geschehen im EU-Parlament. Denn die meisten der bilateralen
Investitionsschutzabkommen bestehen zwischen reichen alten
Industriestaaten und Schwellenländern. Die Etablierung dieser Abkommen ist nämlich vor allem im Kontext der formalen Entkolonialisierung zu sehen. Damals wollten sich vor allem europäische Staaten ihr Eigentum in den neuen souveränen Staaten sichern, denen man nicht mehr einfach befehlen konnte, welche Gesetze sie zu erlassen hätten. Eine weitere Welle an Abkommen kam nach 1989 — als sich die westeuropäischen Konzerne ihren Anteil an den Privatisierungen jenseits des Eisernen Vorhang sichern wollten. So ist es kein Wunder, daß Deutschland mit 130 Staaten solche Abkommen hat, aber keines mit den USA — genausowenig wie Österreich, das immerhin mit 67 Staaten
Investitionsschutzabkommen hat. Und da regt sich natürlich niemand auf, denn wenn Österreich ein Abkommen mit Pakistan hat, ist schon klar, daß es nicht viele pakistanische Investoren geben wird, die Österreich verklagen. Nein, hier geht es um europäische Konzerne, die in Ländern mit geringen arbeits- und umweltrechtlichen Standards mittels Klagsdrohungen die dortigen Gesetze beeinflußen oder sich ihre behaupteten Investitionsverluste sehr lukrativ von ohnehin schwachen Volkswirtschaften „entgelten“ lassen können. Wie oft das schon passiert ist, weiß man nicht, denn die meisten dieser Klagen bleiben geheim, nur wenige erlangen durch glückliche Umstände das Licht der Öffentlichkeit — schließlich möchte kein Konzern als Erpresser dastehen und kein Staat als erpreßbar.
Aber jetzt gibt es die große Erregung darüber, so ein Abkommen mit den USA abzuschließen. Natürlich auch nur mit der Erregung darüber, daß US-Konzerne europäische Gesetze beeinflussen könnten — daß EU-Konzerne das Gleiche in den USA machen könnten, ist da kein Thema.
Jetzt zu jammern, daß US-Konzerne mit den EU-Staaten das Gleiche machen könnten, wie europäische Konzerne das seit mehr als einem halben Jahrhundert im Trikont praktizieren, ist ein wenig einseitig und naiv — nett gesagt. Man könnte auch sagen: verlogen.
Die großartig zivilisierte EU genauso wie das liebe kleine Österreich sind nicht die Opfer der Globalisierung, sondern bislang die Profiteure — obwohl mittlerweile auch in Westeuropa viele Menschen pauperisiert sind.
Kritik an der Globalisierung ist dringend notwendig. Sinnvoll ist sie jedoch nur, wenn man aus dem Blickwinkel der weltweit Ausgebeuteten auf das heimische wie internationale Kapital schaut — und nicht aus der nationalen Perspektive.
Bernhard Redl
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