Die Linke braucht eine neue Gesprächskultur
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Aus der Druckausgabe der akin 12/2014.
Audio-Version: http://cba.fro.at/259260
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Jetzt sind sie also in Österreich angekommen, die Montagsdemos, deren primärer Inhalt die Warnung vor einem Krieg in der Ukraine ist, der sich auch zu einem europäischen Krieg ausweiten könnte. Die erste dieser „Demos“, also eigentlich bislang nur Standkundgebungen, war am 28.April in Wien. Und mit diesen Kundgebungen importierten wir natürlich auch die Debatte aus Deutschland darüber, da sich bei den deutschen Demos auch regelmäßig Verschwörungstheoretiker, Antisemiten und Rassisten einfinden.
Ein Freund kommentierte diese Demos lapidar mit: „Für mich sind das Spinner!“
So einfach ist das? Für mich ist diese Aussage aus zweierlei Gründen problematisch, denn erstens wird damit wegen einiger
verschwörungstheoretischer und vielleicht auch antisemitisch deutbarer Plakate auf diesen Demos alles gleich in Bausch und Bogen verurteilt. Und das ist nicht gerechtfertigt, denn zu diesen Demos rufen mittlerweile auch sehr vernünftige Menschen auf.
Und zweitens: Als „Spinner“ bin ich auch schon oft bezeichnet worden seit den Zeiten der Öko-Bewegung. Es braucht die Spinner für den Fortschritt, sonst bleibt die Gesellschaft im Althergebrachten.
Wobei die Öko-Bewegung da noch aus einem anderem Grund zu einem Vergleich taugt: Denn in dieser war auch genug Blut-und-Boden-Ideologie, aber das rechte Gesindel hatte damals keinen guten Stand, weil die Linke in dieser Bewegung einfach zu stark war. Die Öko-Bewegung gibt es als solche nicht mehr, heute wird der Ökogedanken hauptsächlich von bürgerlichen Institutionen getragen. Doch die sind eben nicht braun und das verdanken wir einer Linken, die diese Bewegung eben nicht rechts liegengelassen hat.
Offene Gesellschaft
Diese heutigen Bewegungen, sei es jetzt Occupy oder die Montagsdemos oder auch die allmonatlichen Anti-EU-Demos in Wien sind ideologisch völlig offen, solange es in diesen Ein-Punkt-Bewegungen (wie anno dazumal bei den Bürgerinitiativen) eine Übereinstimmung bezüglich dieses einen Themas gibt.
Diese Offenheit ist natürlich nicht unproblematisch, denn bekanntermaßen heißt nach allen Seiten offen zu sein, daß man nicht ganz dicht ist. die Occupy-bewegung hier in Österreich ist sehr schnell von Esoterikern und Zeitgeistlern übernommen worden und war damit ein Reinfall, weil diese alle anderen rasch vertrieben haben. Aber auch da war die Idee einer demokratischen Herangehensweise vorhanden, eben jedem Gedanken das offene Mikrophon zur Verfügung zu stellen.
Die traditionelle Linke (und das sind heute wir!) findet sich mit dieser Kultur nicht zurecht. Sie schaut auf diese neuen Bewegungen mit ähnlich skeptischen bis ablehnenden Blicken wie anno dazumal die orthodox-marxistische Linke auf die 68er sah, die sie als kleinbürgerlich abtat.
Die heutige Linke wirft diesen neuen Bewegungen Verschwörungstheoretisiererei und Nazismus vor — das mag für manche, die da heute auf der Straße stehen wohl auch stimmen. Aber mir kommt eher vor, die Skepsis kommt daher, daß da nicht hauptsächlich roten Fahnen wehen, und die Organisatoren nicht vorher auf unsere Plena gekommen sind — sprich, daß da Leute ohne marxistische Schulung oder jahrelanges Bakunin-Studium hergehen und Protest auf die Straße bringen, ohne die traditionelle Linke vorher um Erlaubnis oder wenigstens Beistand gefragt zu haben.
Sind wir denn schon so verzopft, daß wir neue Bewegungen einfach nicht verstehen wollen?
Bewegungen der Zukunft
Hier geht es nicht nur um die Montagsdemos, es geht um eine neue erwachte Citoyenneté, eine echte „Zivilgesellschaft“ neuen Typs, ganz neue soziale Bewegungen also, die uns in Zukunft wahrscheinlich immer häufiger begegnen werden.
Zwei Elemente fallen in diesen Bewegungen immer besonders ungut auf. Das sind Leute, die an rechtsextremen Gedankengut anstreifen (oder auch mehr als nur anstreifen), und das sind Verschwörungstheoretiker. Aber das sind, auch wenn es da Verbindungen gibt, schon mal zwei verschiedene Gruppen. Denn wenn auch viele Verschwörungstheoretiker bei dieser EU-Wahl sich überlegen, FPÖ, Stadler oder EU-Stop zu wählen, sind sie nicht per se rechts.
Diese Leute halten zwar nichts von Ockhams Rasierklinge, haben von Politischer Ökonomie keine Ahnung und wollen von den Hauptsätzen der Thermodynamik schon gar nichts hören. Aber immerhin sind sie äußerst kritisch gegenüber den Verlautbarungen aus Staatskanzleien,
Mainstream-Redaktionen und Konzernzentralen und das ist schon ganz gut. Denn daß wir hinten wie vorne belogen und manipuliert werden, das haben sie zumindest erkannt. Sie sind durchaus in einem linken Sinne systemkritisch. Und wenn man der Obrigkeit nicht mehr glaubt, muß man sich von anderswo Informationen suchen — daß da viel Unsinn dabei ist, braucht wirklich nicht zu verwundern.
Die Linke hat gelernt, bei allen internen Streitereien, doch zusammenzuarbeiten. Ich werde bei Blödsinnigkeiten wie Chemtrails oder „Freier Energie“ auch sehr ärgerlich, aber auch nicht mehr, wie daß mir jemand den Arbeitsfetisch reindrücken will oder die Notwendigkeit einer Kaderpartei oder daß Linke das Bundesheer unterwandern müßten oder daß die israelischen Streitkräfte ein Born des Antifaschismus wären. Ebenso wird es anderen Linken mit vielen meiner Positionen wohl auch gehen.
Aber wenn wir mit einigen Schrammen diese Debatten überstanden haben, dann können wir auch allesamt wohl auch mit Leuten reden, die daran glauben, die Serienproduktion des Wasserautos würde von der
Erdölindustrie unterdrückt. Eine wechselseitige Akzeptanz der Glaubensgebäude wäre da allerdings die Voraussetzung.
Schreien ist zuwenig
Aber ein kompletter Fehler wäre es, diese Menschen den rechten Ideologen zu überlassen. Wir können uns nicht hinstellen und alles, was wir nicht verstehen oder nicht gutheissen können, gleich als rechtsextrem oder antisemitisch hinzustellen. Denn wenn man nur den Leuten oft genug sagt, sie seien Nazis, dann werden sie sich auch irgendwann bei den Nazis zuhause fühlen — und deren ideologischen Dreck fressen als wäre es Nektar und Ambrosia.
Und danach könnten wir ideologisch Gefestigten uns hinstellen und weiter schreien: „Nazi, Nazi!“ Das würde dann sogar stimmen und wir könnten uns bestätigt fühlen. und wir würden nicht auf die Idee kommen, daß wir selbst daran mit schuld sind, weil wir kritische Menschen Naziideologen überlassen haben. Nein, wir würden uns in unserer linken Standhaftigkeit gut und bestätigt fühlen und daß wir ja eh immer recht gehabt hätten. Aber ich denke nicht, daß dieses gute Gefühl ein achtenswerter Grund für politisches Ausgrenzungsverhalten ist.
Nein, ich bin nicht der Meinung sich auf einen Diskurs á la Jürgen Elsässer einzulassen. Die Querfront gehört isoliert. Aber wir sollten mit jenen Menschen reden, die wir heute als Verschwörungstheoretiker oder Spinner abtun, die aber oft genug einfach nur Menschen sind, die der Meinung sind, daß Politik zu wichtig ist, um sie den Politikern zu überlassen.
Die „Junge Linke“, kurz „Juli“, hatte zu der Montagsdemo letzter Woche aufgerufen, diese zu stören. Tatsächlich kamen auch ein paar Leute mit einem Plakat: „Aluhüte gegen Bullshit“. Doch als der JuLi-Sprecher das Offene Mikrophon in der Hand hielt, machte er zwar seinen
antifaschistischen Standpunkt sehr klar, aber auch, daß er nicht annehme, daß alle hier Anwesenden Nazis seien. Und er ersetzte die Parolen durch kluge Antworten, in dem er beispielsweise den
Warencharakter des Geldes erklärte und warum Zinskritik in ihrer Verkürztheit falsch ist.
Solche Dialogangebote zu bringen und sich auf Debatten einzulassen, ist natürlich viel schwieriger als nur „Pfui!“ zu schreien. Aber genau so müssen wir mit Menschen reden, die in ihrer Kritik am Kapitalimus Ansichten haben, die uns vielleicht seltsam erscheinen.
Geht das bitte irgendwie? Oder fällt uns da gleich ein Stein aus unserer proletarisch-revolutionären Krone?
Bernhard Redl
Verschwörungstheoretiker sind „nicht per se rechts“? Doch, würde ich schon meinen. Jedenfalls haben sie keine Bedenken, rechte und faschistische Ideologien in ihr Weltbild aufzunehmen, solange sie nur nicht „Mainstream“ sind, als sei das schon ein Wert an sich. Sie haben keine humanistische und radikaldemokratische Grundhaltung, und die würde ich bei Bündnispartnern schon voraussetzen.
„Nein, ich bin nicht der Meinung sich auf einen Diskurs á la Jürgen Elsässer einzulassen. Die Querfront gehört isoliert. Aber wir sollten mit jenen Menschen reden, die wir heute als Verschwörungstheoretiker oder Spinner abtun, die aber oft genug einfach nur Menschen sind, die der Meinung sind, daß Politik zu wichtig ist, um sie den Politikern zu überlassen.“ Anderes hat keiner gesagt… Kampf den Gurus, Aufklärung ihrem Gefolge. Zur Isolierung der Querfront gehört aber auch die Isolierung eines Ken Jebsen, und die ist erst kürzlich aufgebrochen worden. http://kenfm.de/blog/2014/05/14/pedram-shahyar/
„Doch als der JuLi-Sprecher das Offene Mikrophon in der Hand hielt, machte er zwar seinen antifaschistischen Standpunkt sehr klar.“ Ja, er hat eine tolle, aufklärerische, kluge Rede gehalten. Die Erwiderung des Organisators (?) der Mahnwache war: „Hallo? HALLO? WIR SIND FÜR FRIEDEN!!!“, ins Mikro gebrüllt. Sorry, aber so wird das halt nichts, so Leid es mir tut. =(