Mittagsjournal am 1.September. Man ärgert sich über einen Multimilionär als neuen Finanzminister, die EU mit ihrem neuen Ratspräsidenten, die wenig ausgewogene Berichterstattung des Aktuellen Dienstes über den Ukraine-Konflikt. Das Übliche halt.
Doch zur Halbzeit des Journals hört man einen historischen Rückblick anläßlich des 75.Jahrestags des Ausbruchs des 2.Weltkriegs. Und da hört man plötzlich die Stimme Adolf Hitlers. Es ist eine Aufnahme — so die Geschichte dazu –, die vom finnischen Rundfunk ohne Wissen Hitlers gemacht worden sein soll. In dem vielleicht 15 Sekunden dauernden Ausschnitt hört man Hitler über die Bedeutung des Wetters für seine militärischen Überlegungen reden.
Ich sitze vor dem Radio und bin geschockt. Es gruselt mich. Das war jetzt Hitler im O-Ton? Wirklich? War das nicht einfach ein Ausschnitt aus einem Spielfilm? Es geht mir nicht ins Hirn.
Der Inhalt dessen, was er gesagt hatte, ist da jetzt völlig egal, es geht um den Tonfall, der so unerträglich banal, ungekünstelt, natürlich ist.
Nein, es stimmt schon, das war Hitler. Aber wo war der Dämon? Sonst hörte man ja in Tondokumenten nur den belfernd-outrierenden Hitler, die Bestie, den Kommandoton der Radioansprachen. Aber dieser Hitler jetzt?
Natürlich, ich habe mich immer über die Dämonisierung dieser Figur geärgert. Mit Dämonisierung schafft man Abspaltung, das Böse ist als das andere definierbar, das mit uns nichts zu tun hat. Historisches lernen wird dadurch geschickt vermieden.
Und trotzdem: Es gruselte mich. Warum? Plötzlich wird mir klar, daß all das, was ich von Hitler kannte — die Reden, die inszenierten militärischen Auftritte, die haßerfüllten Texte –, auch in mir das Bild von Hitler als Dämonen einbetoniert hat. Auch ich habe das Böse abgespalten, es in der Person Hitlers personifiziert und nicht als Teil des Menschlichen gesehen — oder besser gefühlt. Doch mit diesen einfachen, nicht gebrüllten, sondern recht nüchtern vorgetragenen Worten wird mir schlagartig klar: Hitler, Goebbels, die SS — die gehörten alle der menschlichen Gemeinschaft an.
Vielleicht klingt es ja lächerlich. Natürlich waren das alle Menschen und keine Aliens. Aber gefühlt hab ich offensichtlich bislang etwas anderes. Mit diesen wenigen Worten Hitlers dringt das plötzlich auch ins Gefühl ein — und macht mir meinen emotionalen Selbstbetrug klar.
Jetzt verstehe ich erst wirklich, was Hannah Arendt damit meinte, daß das Böse banal sei. Und das ist wirklich gruselig.
Bernhard Redl
(aus akin 18/2014, Rubrik „Letzte Worte“)