Audioglosse: http://cba.fro.at/272697
“Die heutige Jugend…” — dieses Lamento ist ein paar Tausend Jahre alt und wird von Generation zu Generation weitervererbt. Und in jeder Generation hat es ganz bestimmte Konnotationen und Färbungen. Unvergessen bleibt uns da zum Beispiel Otto König, der in den 70ern via TV ernsthaft bezweifelte, daß die Menschheit das Jahr 2000 erleben würde, weil die damalige heutige Jugend so verantwortungslos und verweichlicht sei, daß sie das Überleben unserer Gesellschaft nicht werde sichern können.
Die heutige heutige Jugend ist quasi das Gegenteil davon. Diese Jugend hat wieder Ideale und will in den Kampf ziehen — sollte man meinen, wenn man dieser Tage den Fernseher aufdreht und vor allem den Boulevard liest. Horden von mitteleuropäischen Jugendlichen ziehen in den Dschihad! Die muß man aber sofort einsperren; auch wenn sie 14 Jahre alt sind, denn die Gesellschaft weiß sich offensichtlich nicht anders zu helfen. Und denjenigen von diesen Massen — die sich dann bei genauerem Hinsehen als doch nicht ganz so massenhaft herausstellen —, die schon ins “Kalifat” gefahren sind, läßt man gleich mitteilen, daß sie zu Hause schon der Strafrichter erwartet, sollten sie lebend zurückkehren.
Ja, so kümmert sich die Republik um ihren Nachwuchs. Aber, einem christlichen Gott sei Dank, das sind ja gar nicht “unsere” Jugendlichen. Das sind die Kinder von den Anderen, den Fremden, denen aus der Unterschicht. Denen muß man ja keine Hoffnungen geben, die kann man ruhig fertigmachen. Thomas Schmidinger sei gedankt, als er in einer Fernsehdiskussion erwähnte, daß sich in der Beratungsstelle, in der er sich engagiert, auch nichtmigrantische Eltern gemeldet hätten, deren Kinder Begeisterung für IS und Co. zeigen. Nur ging das halt leider in der Debatte unter und der hier geborene Mittelstandsbürger kann das überhören.
Szenenwechsel. Am Wiener Alsergrund wird demnächst eine Suchtberatungsstelle eröffnet. Riesenwirbel im Grätzel — natürlich auch ordentlich angeheizt von FPÖ und ÖVP: Man könne das doch nicht in der Nähe von Schulen machen, so der Tenor des Protests von Anrainern. Achja? Einmal abgesehen davon, daß in Wien fast überall viele Schulen sind und daß es nicht sinnvoll wäre, eine niederschwellige Einrichtung an der Höhenstraße oder beim Friedhof der Namenlosen zu situieren, wo die Klientel wohl nicht so leicht hinfindet, stellt sich die Frage: Warum eigentlich nicht in der Nähe von Schulen? Das seien “die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, allen voran die der Eltern um ihre Kinder, die sie vor dem Kontakt mit Junkies und Drogen bewahren wollen”, so der Herr Gudenus von der FPÖ. Ja, klar, weil die Jugendlichen, die dort in die Schulen gehen, würden ja sonst nie und nimmer in Gefahr geraten, suchtkrank zu werden. Sicher, denn zu so einer Beratungsstelle kämen ja sicher nur erstens Erwachsene und zweitens von wo ganz anders in diesen braven bürgerlichen Bezirk. Daß die eigenen Kinder vielleicht einmal ein Drogenproblem haben könnten und es ganz sinnvoll sein könnte, wenn in der Nähe eine Beratungsstelle ist — auf die Idee kommt der gemeine Mittelstandsspießer gar nicht. Denn auch hier gilt: Das sind doch nicht unseren Jugendlichen!
So sieht das Lamento in unseren Tagen also aus: “Diese heutige Jugend der Anderen…” Und um die muß man sich auch gar nicht mehr kümmern und die muß man auch nicht mehr verstehen. Weil um die ist es nicht schad! Wegsperren oder sonst irgendwie aus dem Blickfeld mit ihnen!
Die Beschäftigung des Spießers mit der heutigen Jugend kann sich so auf das wohlige Gruseln beim Lesen der nächsten Krone-Schlagzeile beschränken. Und wenn sich das alles irgendwann gesellschaftlich doch nicht mehr ausgeht, bleibt ihm immer noch die Befriedigung, es immer schon gewußt zu haben.
Bernhard Redl