Die Redaktion der akin bat die wahlwerbenden Gruppierungen der kommenden Wahlen um Erklärungen, warum Linke ausgerechnet bei ihnen ein Kreuzerl machen sollten. Für die Grünen versucht dies Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, zu vermitteln: –
Natürlich bin ich wütend. Die FPÖ verdoppelt ihre Stimmen, und ich frage mich, warum es uns so leicht fällt, unmenschlich zu sein, und warum die Welle der Mitmenschlichkeit, die weite Teile des Landes in den letzten Wochen erfasst hat, keine Auswirkungen auf das Wahlverhalten von über 30 % der OberösterreicherInnen zeigt. Ich habe in den letzten Wochen Erstaunliches erlebt – einen Sommer der Solidarität, unglaubliche Hilfsbereitschaft der Bevölkerung angesichts dessen, was der Boulevard „Flüchtlingskrise“ nennt, was tatsächlich aber eine Krise der Menschenrechte ist, die Entstehung einer österreichischen Zivilgesellschaft, die diesen Namen auch verdient. Wir Grünen waren und sind mittendrin – wir vernetzen, organisieren, koordinieren, halten Kontakt mit den Behörden, unterstützen, wo immer wir können – und haben trotz Wahlkampfs unser Engagement nicht öffentlichkeitsmirksam verkauft, weil wir uns Teil der Zvilbevölkerung sehen.
Was mich zurück in den Wahlkampf bringt. Jetzt, nach der oberösterreichischen Ohrfeige, machen wir uns wieder in die Hosen vor den Rechten – oder tun zumindest glaubhaft so, als ob. Das nützt zumindest der SPÖ. Unsere Koalitionspartnerin wird Michael Häupl als die letzte Hoffnung für Wien verkaufen – mit sündhaft teuren Inseraten, deren Volumen Rot-Grün gemeinsam beschlossen hat. Am 12. Oktober können wir dann durchatmen. Die SPÖ wird weniger verloren haben, als die von ihr zurzeit auch aus taktischen Gründen veröffentlichten Umfragen nahelegen, und knapp 40 % der WählerInnenstimmen auf sich vereinigt haben. Die FPÖ wird unter 30 % geblieben sein, das Ergebnis dennoch als einen großartigen Sieg feiern. Wir Grünen werden dazugewonnen haben. Die Neos werden den Einzug in den Gemeinderat ev. geschafft haben, Wien anders nicht, und die ÖVP wird sich angesichts von weniger als 10 % Zustimmung fragen, wo sie einen neuen Landesparteiobmann hernehmen soll.
All den Menschen, die sich wie auch schon 2005 und 2010 denken: „Ein allerletztes Mal wähle ich mit Heulen, Jaulen und Zähneknirschen die SPÖ, damit nicht der Strache .“ möchte ich Folgendes ins Stammbuch schreiben: Nur eine Stimme für Grün ist eine Stimme gegen die FPÖ. Dazu muss ich gar nicht das burgenländische Beispiel bemühen. Nur wer Grün wählt, wählt Rot-Grün. Nur wir stehen für die Fortsetzung von Rot-Grün – wer kann ausschließen, dass eine halbwegs gestärkte SPÖ sich für die nächste Legislaturperiode nicht einen Bettvorleger als Koalitionspartnerin holt, also die ÖVP!? Ich möchte gute Sozialpolitik für Wien. Und das ging und geht nur gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen
Rot-Schwarz würde sofort Verschärfungen hinsichtlich der Mindestsicherung durchsetzen, von denen einige tausend Menschen unmittelbar betroffen wären. Wir Grüne konnten dies bisher verhindern und werden dies weiter tun. Die Kindermindestsicherung ist ein wichtiger finanzieller Beitrag für armutsbedrohte Haushalte, den die SPÖ immer wieder in Frage gestellt hat und den die ÖVP prinzipiell ablehnt. Nur wir Grüne garantieren, dass es diese sozialpolitische Maßnahme weiter geben wird.
Die Bio-Jause war eine Grüne Idee, die unter Rot-Grün realisiert wurde. Die ÖVP war dagegen. Wir Grüne stehen für die Fortsetzung der Bio-Jause in den nächsten fünf Jahren.
Wir Grüne haben gemeinsam mit der SPÖ ein Berufsgesetz für soziale Arbeit und Sozialpädagogik auf den Weg gebracht. Die ÖVP steht hingegen für das Ehrenamt: wahrhaftig, christlich, preiswert. Unter Rot-Schwarz würde dieser wichtige Gesetzesentwurf in einer Schublade verschwinden.
Wie Rot-Schwarz hinsichtlich Bettelverboten und der Vertreibung von SexarbeiterInnen und Obdachlosen in Wien agieren würde, mag ich mir gar nicht vorstellen.
Über die UN-Behindertenkonvention, gegen deren Umsetzung ÖVP und Wirtschaftskammer sich seit Jahren mit Händen und Füßen wehren, will ich gar nicht reden. Oder über Freiräume wie das Amerlinghaus, das WUK, die Pankahyttn oder die selbstbestimmten Wagenplätze.
Natürlich war und ist nicht alles leiwand unter Rot-Grün.
Wir haben das Inseratenvolumen nicht gekürzt. Stimmt. War blöd. War eine Bedingung der SPÖ, und wir haben schweren Herzens eine Entscheidung getroffen.
Wir waren in Kontrollfragen nicht laut genug. Mag sein. Aber wir haben in zähen zweieinhalbjährigen Verhandlungen die Befugnisse des nunmehrigen Stadtrechnungshofes erweitert. Was das bedeutet, werden die nächsten fünf Jahre zeigen.
Es ist uns nicht gelungen, bestehende Strukturen der Stadtregierung und -verwaltung aufzubrechen. Stimmt. Gegen die Hochsicherheitszäune, mit denen die Ressorts ihre Schrebergärten abstecken, verblasst selbst der Eiserne Vorhang. Doch wir lassen nicht locker, wir bleiben unbequem, und irgendwann wird es uns zum Beispiel gelingen, eine vernünftige Delogierungsprävention auf die Beine zu stellen, obwohl das Sozial- und das Wohnbauressort Zeter und Mordio schreien.
Und ich freue mich darüber, durch die Mariahilferstraße zu radeln und zu bemerken, dass viel mehr RollstuhlfahrerInnen als früher das Stadtbild prägen. Freiraum und Freiheit sind unter Rot-Grün nicht bloß nebulöse Schlagwörter geblieben.
Ich freue mich über unsere Housing-first-Modelle, die obdachlosen Menschen selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ich bin froh über das rot-grüne Winterpaket, das sicherstellt, dass niemand erfriert, egal woher sie oder er kommt.
Ich freue mich darüber, dass wir zumindest ein bisschen beigetragen haben, die schillernde Kultur der Roma zu sehen und diese Menschen nicht bloß pauschal als BettlerInnen zu denunzieren. Linke Politik – das muss hier einmal hinausgeschrien werden – gibt es nur mit uns Grünen. Es wird nie genug sein, wir werden nie zufrieden sein, wir werden immer und immer wieder an Sachzwängen, Routinen, Koalitionsbedingungen und ähnlich unappetitlichen Strukturen scheitern. Eh. So ist Demokratie. Politik ist die Kunst des Möglichen, wie schon Bismarck wusste. Aber wir geben nicht auf und scheitern beim nächsten Mal besser, um ein weiteres Zitat, diesmal von Samuel Beckett, zu bemühen. (Ich gebe zu, die Zitaten habe ich nur mit Hilfe gefunden).
Außerdem haben wir in fünf Jahren Regierung dazugelernt. Wir wissen mehr als früher, wir haben bessere Kontakte und besseren Zugang zu Informationen, wir haben die Koalitionspartnerin und dessen Befindlichkeiten kennengelernt, wir glauben zu wissen, wo wir ansetzen müssen, um diese Stadt in eine bessere Zukunft zu führen. Das gelingt uns nicht von heute auf morgen. Wer geglaubt hat, wir könnten in einer Legislaturperiode fast 90 Jahre sozialdemokratische Strukturen in Wien aufbrechen, tja, der hat uns und sich selbst allzu viel zugetraut.
Rot-Grün hat auch mich ernüchtert. Dennoch: Rot-Grün in Wien macht Sinn. Und dafür müsst ihr Grün wählen. Gemeinsam gelingt uns, auch für Menschen- und Grundrechte einzustehen.