Die Industriestaaten werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Über die Versuche, ein Ausbeutungssystem, an dem man lange gut verdient hat und das sich jetzt gegen einen selbst wendet, doch noch erträglich zu machen. Und was das mit dem geplanten Multilateral Investment Court zu tun hat.
[Aus der Druckausgabe 6/2017]
Am 15.März endet das Begutachtungsverfahren der EU-Kommission über die Einrichtung ein neues internationales Investitionsschiedsgericht. In Zusammenarbeit mit Canada und auch einigen asiatischen Staaten soll dieser Multilateral Investment Court (MIC) als Ersatz für die bisherigen Ad-hoc-Gerichte dienen. Wie alle neuen Ideen zum Thema
Investitionsgerichtsbarkeit ist natürlich auch diese Ziel der Kritik. „Ein Gericht, uns alle zu knechten!“ betitelt die NGO-Plattform WeMove.EU etwas polemisch einen diesbezüglichen Protestaufruf.
Tatsächlich erscheinen die Entwürfe für diesen Gerichtshof als Verbesserung gegenüber den bisherigen Gerichten, die üblicherweise über das von der Weltbank eingerichtete ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) organisiert werden. Ansätze von echter Transparenz werden versprochen und sogar die Möglichkeit eines Berufungsverfahren.
Zuerst der Trikont…
Doch wieso jetzt dieses Interesse an einem neuen Schiedsverfahren? Hatten die alten Gerichte nicht funktioniert? Doch, natürlich, aber nur für die klassischen, postkolonial geprägten bilateralen Investitionsschutzabkommen. Denn die — je nach Zählweise — 2000 bis 3000 in Kraft befindlichen einschlägigen Abkommen sind fast alle Verträge zwischen jeweils eben nur zwei Staaten, die sich nicht auf Augenhöhe begegnen können: Einem reichen Industriestaat und einem armen, weniger entwickelten. Diese Verträge sind zwar formal symmetrisch und verpflichten beide Partner im gleichen Sinne, doch es war immer klar, daß es dabei um ein Klagsrecht eines Konzern mit Sitz im reichen Staat gegen die Regierung und Gesetzgebung des armen Staats geht — ein Instrument also dafür, was man früher einmal Ausbeutung der Dritten Welt genannt hat. Nebenbei bemerkt: Einen solchen Wirbel wie jetzt um TTIP und CETA hat man in den Industriestaaten um diese Abkommen nie gemacht und es interessiert sich bei uns bis heute kaum jemand dafür, denn davon haben wir ja in den reichen Ländern immer mitprofitiert. Doch mittlerweile ist einiges anders geworden. Jetzt werden auch EU-Staaten verklagt. Daß das jetzt möglich ist, hat mehrere Gründe.
… dann der COMECON …
Einer davon ist, daß neben den klassischen Drittweltländern Anfang der 90er auch ehemalige Teilstaaten der zerfallenen Sowjetunion sowie frühere COMECON-Staaten zu verklagbaren Parteien wurden. Auch diese ökonomisch eher hinterherhinkenden Staaten gingen nun auf solche Deals ein — zur „Anlockung von Investitionskapital“, wie man das euphemistisch nennt. Auf einem solchen Abkommen zwischen Canada und Rumänien beruht die derzeit anstehende Klage von Gabriel Limitits gegen Rumänien in der Causa Rosia Montana. Der kanadische Konzern verklagt Rumänien auf 4 Milliarden Euro, weil Regierung und Parlament nicht mehr der Meinung sind, daß man zum Zwecke des Goldabbaus (der dort zwar eine jahrhundertelange, aber nicht gar so brutale Tradition hat) eine ganze Region in eine Kraterlandschaft und Giftmülldeponie verwandeln dürfe.
… zuletzt die Herrenländer
Daß aber mittlerweile auch der kapitalistische Musterschüler Deutschland verklagt werden kann, hat einen anderen Grund. Der Trend geht jetzt nämlich doch hin zu multilateralen Abkommen. Während CETA und TTIP groß thematisiert werden (und vor 20 Jahren das gescheiterte MAI große Öffentlichkeit erfuhr), wurde zum Beispiel der multilaterale Energiecharta-Vertrag weitgehend ignoriert. Das ist auch kein Wunder, denn die Idee dahinter war ähnlich jener der bisherigen bilateralen Verträgen: Die maroden, aber profitversprechenden Energiebetriebe des COMECON und der ehemaligen Sowjetstaaten sollten der Verwertung durch westliche Konzerne zugeführt werden. Wenn man sich nur das immense Beteiligungsportefeuille der doch eher niedlichen BEWAG (heute „Energie Burgenland“) in Osteuropa ansieht, wird klar, wie effektiv dieses Abkommen war — ohne harte Absicherung dieser Einkaufstouren wären diese nicht möglich gewesen. Allerdings rächt sich das nun, denn jetzt kann auch ein Konzern aus einem reichen Staat einen anderen reichen Staat klagen — wie in den beiden Causen Vattenfall gegen Deutschland. Der eine Streitpunkt ging durch die internationalen Medien: Der schwedische Konzern klagt die Bundesrepublik wegen ihres geplanten Atomausstiegs. Dieses Verfahren ist noch im Laufen. Die zweite Klage ist weniger bekannt, aber viel pikanter: Wegen Umweltauflagen für ein kalorisches Kraftwerrk in Hamburg strengte Vattenfall eine Klage auf Schadenersatz oder Rücknahme dieser Auflagen an. Die Pointe daran: Deutschland resp. das Land Hamburg hätten eigentlich rechtlich gar nicht anders gekonnt, als diese Auflagen zu verordnen — denn sie beruhen auf einer EU-Richtlinie. Trotzdem einigte man sich mit Vattenfall auf einen Kompromiß abgemilderter Auflagen. Das allerdings nimmt jetzt die EU-Kommission zum Anlaß, eine Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten.
Doch es kommt noch verzwickter: Vattenfall ist zu 100% in schwedischem Staatsbesitz — also kein privater Konzern. Die schwedische Regierung hintertreibt also auf dem Umweg über einen Staatsbetrieb EU-Umweltbestimmungen. Oder: Der Konzern, obwohl in Staatsbesitz ist schon so mächtig, daß die schwedische Regierung da gar nicht mehr eingreifen kann. Tatsächlich erscheint es so, daß die Multis mittlerweile nicht mehr als Konzerne ihrer Staaten agieren, sondern umgekehrt die Staaten als Vasallen ihrer Konzerne. Und denen ist es egal, wo Menschen oder Umwelt ausgebeutet werden — das müssen nicht mehr nur Ressourcen in ärmeren Ländern sein, wie das zu Zeiten galt, als die reichen Staaten noch eher die Kontrolle über die Weltwirtschaft hatten. Ganz offensichtlich sind die reichen Staaten nicht mehr in der Lage, sich Begehrlichkeiten der Industrie zu widersetzen, die nicht auch die eigenen Intererssen bedienen. Genau deswegen dürfte der Trend weg von bilateralen hin zu multilateralen Abkommen gehen. Daß man da in den reichen Staaten wenigstens einen Gerichtshof möchte, der nicht derartig windig ist wie die Adhoc-Gerichte, die bei Urteilen gegen Drittweltländern so hilfreich waren, ist schon verständlich.
Eine Chance
Es klingt absurd, aber in gewisser Weise sind Abkommen wie TTIP und CETA ein Beitrag zu mehr Fairness — denn denn nun sitzen die nicht mehr gar so mächtigen Industriestaaten klassischen Zuschnitts beinahe im gleichen Boot wie die Schwellen- und Entwicklungsländer. Und das könnte die Bevölkerungen dieser Industriestaaten dazu bringen, von ihren Regierungen nicht nur eine Beendigung solcher Abkommen zu fordern, sondern generell auch eine Regulierung der globalen Konzernmacht. Über die Gefahr der Globalisierung wird seit 20 Jahren gejammert, jetzt aber wird sie mit den multilateralen Abkommen plötzlich weitaus konkreter als bisher. Die Debatte um CETA und TTIP kann man also auch als Chance begreifen, grundsätzlichen Fragestellungen Wirkmacht zu geben. Die Frage ist nur, ob diese Chance auch ergriffen werden kann.
Bernhard Redl