Warum Linke die Grünen wählen sollten

Von Klaus Werner-Lobo *

Ich wähle seit Jahren nicht, weil ich mich an Wahlwexel beteilige, also einer Migrantin meine Stimme übertrage (wofür ich mehrfach erfolglos bei der Staatsanwaltschaft angezeigt wurde). Aber ich erlaube mir, eine Wahlempfehlung abzugeben, und zwar für jene Partei, aus der ich vor zwei Jahren ausgetreten bin und die ich immer wieder für ihre postdemokratische Beliebigkeit und vieles andere kritisiert habe und weiterhin kritisiere.
Es gibt mindestens hundert (für mich: 101) Gründe, die Grünen nicht zu mögen. Für mich die Wichtigsten: Ihre mangelnde Konfliktfreudigkeit, ihre Ängstlichkeit (z.B. gegenüber dem Boulevard), eine Handvoll machtgeiler und narzisstischer Kotzbrocken in der Führungsebene, eine teilweise wenig intelligente und unkritische Basis, ihre Oberlehrer_innenhaftigkeit und Überheblichkeit v.a. gegenüber weniger Bildungsprivilegierten, parteiinterne Intrigen und Seilschaften, ihr völliges Desinteresse an Kulturpolitik, die Machtübernahme der Marketingabteilungen über politische Entscheidungsprozesse und so weiter und so fort.
Aber: Es geht am 15. Oktober überhaupt nicht darum wen ich mag, ob meine Ideale zu hundert Prozent von einer Partei repräsentiert werden oder was auf einem Plakat steht. Sondern es geht darum, wer am ehesten imstande ist, dem nationalistischen, rassistischen, sexistischen und neoliberalen Mainstream wirksam etwas entgegenzusetzen und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und anderen im Nationalrat vertretenen Parteien den drohenden Rechtsruck, die Demontage von Demokratie und Sozialstaat und einen antiliberalen, antiökologischen, frauenfeindlichen und homophoben Backlash zu verhindern.

Und die SPÖ?

Die SPÖ hat – teilweise ohne Not – in der Vergangenheit immer wieder die Verschärfung der Asyl- und Fremdengesetze mitbeschlossen oder sogar mit vorangetrieben. Auch Bundeskanzler Kern übernimmt kritiklos die rassistischen, ausländer_innen- und islamfeindlichen Frames und das Wording der Rechten und des Stammtisch-Mainstreams (Stichwort Wirtschaftsflüchtlinge, Burkaverbot usw.). In Fragen der Umverteilung von Reichtum, gesellschaftspolitischen und ökologischen Themen wie Homoehe und Klimaschutz agiert die SPÖ wesentlich mutloser als die Grünen. In Wien, wo sie mit den Grünen regiert, blockiert sie deren Versuche zur Reduzierung der Schutzgeldzahlungen (Inserate) an den Boulevard, die Reduktion des Autoverkehrs, der Demokratisierung (Wahlrechtsreform, Transparenz) usw. Sie schließt eine Koalition mit der FPÖ nicht aus und die rechte Doskozilfraktion droht die Macht zu übernehmen und einen Kurz-Sobotka-Kurs zu fahren: Repression, Polizeistaat, weitere Verschärfungen von Asyl- und Fremdenrecht.
Ich glaube dennoch, dass wir in Österreich eine starke Sozialdemokratie brauchen und ihr die wichtigsten sozialen Errungenschaften verdanken. Und ich halte viele Sozialdemokrat_innen weiterhin für enge und unverzichtbare Verbündete. Ich glaube aber, dass wir gerade diese Verbündeten schwächen würden wenn mit den Grünen die einzige halbwegs link(sliberal)e parlamentarische Kraft geschwächt oder gar aus dem Parlament fliegen würde.

Und die Liste Pilz?

Ich habe Peter Pilz vor über zwanzig Jahren als freier Journalist kennengelernt. Schon damals benutzte er andere, um seine oft rücksichtslose Egomanie und sein Bedürfnis nach Anerkennung zu nähren. Narzissmus und Genialität liegen oft nahe beieinander. Pilz hat als Aufdecker und Kritiker vieles geleistet, einiges davon aber auch nicht selbst sondern sich mit fremden Federn geschmückt – etwa jenen von Gabi Moser in Sachen Aufdeckung oder Berivan Aslan in Sachen Kritik am politischen Islam. Wenn er Letzteren nun zum größten Problem des Landes hochstilisiert frage ich mich allerdings ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Was ist mit Armut? Klimawandel? Bildungsmisere? Rassismus? Den betreibt Pilz nun selber, indem er gezielt antimuslimische Ressentiments oder solche gegen Flüchtlinge nährt, die er in Lagern aussortieren und nur jene nach Europa lassen möchte, die die besten Integrationschancen mitbringen. Die misst nun wer nach welchen Kriterien? Und die Genfer Flüchtlingskonvention, die setzen wir derweil außer Kraft? Wer in Europa leben will, muss Europäer werden, fordert die Liste Pilz. Wenn meine brasilianischen Freund_innen, die hier leben, arbeiten, Familien gegründet haben nicht Europäer_innen werden wollen, werden sie von der Liste Pilz dann abgeschoben? Aja, und Doppelstaatsbürgerschaft solls auch keine geben. Da bin ich empfindlich, mein Sohn ist nämlich Doppelstaatsbürger und soll sich nicht mit 18 entscheiden müssen in welchem Land er alle Bürgerrechte genießen darf.
Ich kann ja hautnah die Kränkung nachvollziehen, wenn man bei einer Listenwahl gegen eine politische Nullnummer unterliegt. Aber sowas bespricht man dann mit Freund_innen oder in der Therapie und gründet nicht gleich eine Liste der gekränkten alten Männer. Die ich übrigens, soweit ich das in meiner Blase beobachte, für die Hauptzielgruppe des Projekts halte. Wenn dessen Aufruf zur Selbstverteidigung der Heimat Österreich zielgruppengerecht Identitäre, bisherige FPÖ-Wähler_innen und andere hirnlose Frustrierte anlocken sollte solls mir recht sein: Immer noch besser als Kurz oder Strache. Aber für Linke und reflektierte Menschen: No-Go.

Und KPÖ plus?

Inhaltlich sympathisiere ich sehr mit den durch die Jungen Grünen angereicherten Kommunist_innen, so wie Viele laut wahlkabine.at sogar am meisten. Und ich glaube seit langem, dass Österreich eine echte linke Wahlbewegung gut täte, auch im Parlament. Nur: Ich glaube auch, dass es dafür kompetentere Kandidat_innen und bessere Vorbereitung braucht. Ich sehe auf der Liste der Grünen wesentlich kompetentere linke KandidatInnen als bei den Kommunist_innen, ganz abgesehen davon dass die Chance dass die auch ins Parlament kommen doch erheblich größer ist. Ich würde es sehr gerne sehen wenn sich für die Wienwahl 2020 eine linke, aus Sozialen Bewegungen gespeiste Kraft entwickelt die auch den Machtanspruch stellt – auch weil das Potenzial in Wien dafür derzeit realistischer ist als bundesweit. Systemkritik: Ja bitte, aber bis der Kapitalismus abgeschafft ist müssen wir dennoch die Zertrümmerung des Sozialstaates verhindern, und das geht realistischerweise nur mit den Grünen und der SPÖ.

Und die Neos?

Ich gestehe: Ich finde Strolz und viele seiner Mitstreiter_innen voll sympathisch, zum Teil sogar sympathischer als manche meiner Gesinnungsgenoss_innen, weil sie Feuer unterm Arsch haben und selbstironisch sind (die Grünen tun immer so, als ob sie selbstironisch wären, das ist aber bei denen oft schlimmer als wenn sie einfach ernsthaft sind!). In Sachen Gesellschaftsliberalismus, Transparenz und so sind die Neos natürlich Verbündete. Aber wirtschafts- und sozialpolitisch sind sie die beinharten Vertreter der Reichen und Privilegierten. Na danke, davon hamma eh genug.

Und Gilt? Oder Nichtwählen?

Sehr witzig! Eigentlich: Nicht sehr witzig, sondern nur deppert.

Also: Die Grünen.

Nein, man muss sie nicht mögen. Aber wem menschenrechtliche, sozialpolitische, demokratische und ökologische Mindeststandards wichtig sind sollte sie wählen, weil Ulrike Lunacek und viele ihrer Mitstreiter_innen bei allen Schwächen der Grünen in all diesen Fragen am glaubwürdigsten und kompetentesten sind. Und: Weil Wahlen dazu da sind, Schlimmeres zu verhindern. Das Bessere müssen wir, auch nach dem 15. Oktober, selbst schaffen! ###

2 Gedanken zu „Warum Linke die Grünen wählen sollten

  1. Also,die Grünen haben ein Desinteresse für Kulturpolitik?Also,da
    hast du was nicht ganz mitbekommen,nämlich in der Auseinander-
    setzung rund um das Weltmuseum – das ja auch deshalb 3 Jahre
    lang geschlossen war,weil genau in den meisten Räumlichkeiten
    des Weltmuseums das neue „Haus der Geschichte“geplant
    war und ist.Dem Herrn Ostermeyer als früherem „Kulturminister“
    war das Weltmuseum sowas von scheissegal,und einzig die
    Grünen haben sich wirklich fürs Weltmuseum eingesetzt und
    Ostermeyer sehr deutlich kritisiert.

    Also,Desinteresse für Kulturpolitik?

    Vielleicht schadet es nicht,sich ein bisschen besser zu
    informieren! Gerhard Lehner

    • äh, nein, da muß die redaktion widersprechen. einmal abgesehen davon, daß es sich bei der debatte Weltmuseum oder HdG oder beides eher um wissenschafts- und gesellschaftpolitik geht denn um kulturpolitik im landläufigen sinn, braucht sich Werner-Lobo nicht wirklich besser informieren – als ehemaliger kultursprecher der wiener grünen saß er da 5 jahre lang an der quelle. sein statement ist wohl so zu verstehen, daß er innerparteilich zuwenig unterstützung für diese themen gefunden hat.

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