Politikerinnen und Politiker betonen gerade vor Wahlen immer wieder, wie wichtig es doch wäre, den BürgerInnen zuzuhören und auf ihre Sorgen einzugehen. Wie sehr das daneben gehen kann, zeigt folgender Dialog:
Aus einer Email-Aussendung von „LH.Stv.in Astrid Rössler, Landessprecherin Die Grünen Salzburg“:
„Seit 31 Jahren sind die Grünen im Nationalrat vertreten. Seit 31 Jahren sind sie die einzige glaubwürdige Stimme für die Umwelt. Ich mag mir nicht ausmalen, was es für Umwelt und Natur bedeutet, wenn diese Stimme nur noch sehr leise zu hören sein wird. […]
Denn die Grüne Stimme ist in der Politik notwendiger denn je. Tagtäglich werden in Österreich hektarweise wertvolle Flächen zubetoniert, die dann beim Hochwasserschutz und der Nahrungsmittelproduktion fehlen. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien geht unglaublich schleppend voran – zum Schaden des Klimas und der heimischen Wirtschaft. In Sachen Verkehr – einem unserer Hauptprobleme beim Klimaschutz – sind einzig die Grünen konsequente Antreiber für einen gut ausgebauten öffentlichen Verkehr und leistbare Tickets.[…]
Keine andere Partei agiert in Fragen des Natur- und Umweltschutzes so beharrlich, standhaft und verantwortungsvoll wie wir Grüne. Niemand sonst im Parlament stellt sich derart entschlossen den drängenden Fragen. Vor allem aber ist niemand sonst mutig genug, die oft unbequemen Antworten dazu zu geben! […]
Ich bitte Sie deshalb bei der Nationalratswahl am kommenden Sonntag um Ihre Stimme für die Stimme der Umwelt. Seien Sie versichert: Wir werden verantwortungsvoll mit ihr umgehen.“
Antwort von Rosalia Krenn, Sozialarbeiterin, derzeit arbeitslos:
„Sehr geehrte Frau Rössler,
ich bedanke mich für Ihre wahlwerbende Aussendung zur kommenden Nationalratswahl. Sie treten in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung und faktisch bestehender Armut in einem der reichsten Länder der Welt dafür ein, Naturschutz zu betreiben. Umweltbewußtsein zu leben, die Natur zu schützen, dies ist auch mir ein großes Anliegen. Wer Kinder hat, möchte der nächsten Generation eine geschonte Umwelt weitergeben, mit der sorgsam umgegangen wird. Sie plädieren für Umwelt und Natur, die eine starke Stimme brauchen.
Das sehe ich auch so. Was ich vermisse, sind sozialpolitische Antworten auf die dringlichen Fragen, die Umweltverträglichkeit garantieren sollen. Bei einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit und sich vermehrender Armut werden es sich immer weniger Menschen leiten können, sich „gesund“ zu ernähren, es werden täglich mehr Menschen heranwachsen, die auf ungesunde Billigprodukte zurückgreifen müssen, weil schlicht und einfach das Geld fehlt für ein gesundes Leben. Mit keinem Wort erwähnen Sie, dass es eine Frage des zur Verfügung stehenden Kapitals ist, wie viel einem Natur und Umwelt bedeuten kann, wieviel sich Mindestgeld-Bezieher_innen davon überhaupt noch leisten können. Sie klammern die Frage aus, wer sich einen Einkauf im Bio-Markt überhaupt noch leisten kann. Ihrem Text entnehme ich, dass die Grünen längst nicht mehr als Sprachrohr armer und armutsgefährdeter Menschen dienen, sondern längst in einer bürgerlich geprägten Mittel- bis Oberschicht angelangt sind. Wahrheit kann manchmal weh tun und Robert Jungk hätte sich im Grabe umgedreht.
Sie warnen vor einem schwarz-blauen oder rot-blauen Komplott. Es mag sein, dass diese Angst ernst gemeint ist. Es fehlen mir aber die Antworten auf die dringlichsten Probleme, die Menschen in die Hände von Konservativen und Faschisten treiben: die soziale Antwort bleiben uns zumindest in dieser Aussendung auch die Grünen schuldig. Hochachtungsvoll
Rosalia Krenn“
Die Antwort des Büros der Salzburger Grünen:
„Sehr geehrte Frau Krenn,
danke für Ihr Feedback zu unserer Aussendung und Ihre kritischen Anmerkungen zum fehlenden Sozialaspekt. Ich gebe Ihnen gerne Recht, dass ein (sehr) umweltbewusstes Leben in vielen Fällen auch mehr kostet/kosten kann. Zum Beispiel sind Vollholzmöbel und Kinderbekleidung aus Biobaumwolle sehr teuer, bei den Biolebensmitteln sehe ich es schon etwas differenzierter, dann alle Lebensmittelketten bis hin zum Hofer und auch DM führen inzwischen sehr erschwingliche Biolebensmittel. Ich sehe aber beim Thema „Gesunde Ernährung“ das größere Problem darin, dass gesunde Ernährung vielfach mit selbst kochen und frisch kochen zusammenhängt und dieses Wissen und die Bereitschaft zurückgehen. Zu oft wird auf minderwertige Halbfertig- und Fertigprodukte zurückgegriffen. Grundnahrungsmittel sind auch in Bioqualität sehr erschwinglich, Frischgemüse gibt es in guter Bio- und Nichtbioqualität ebenfalls erschwinglich – das ist auch für Menschen mit geringem Einkommen machbar. – Der Anteil der Lebensmittelkosten am Haushaltseinkommen wird in Wahrheit immer kleiner, weil (leider) die Kosten für Wohnen und Auto/Mobilität schon so hoch geworden sind. Das ist keine gute Entwicklung, weil damit der Wert und die Bedeutung von Ernährung/selbst zubereiteten Speisen, die Bedeutung von gemeinsamen Mahlzeiten zuhause, das Weitergeben von Kochfertigkeiten innerhalb der Familie rückläufig ist. Vielleicht kann ich Ihnen damit vermitteln, dass das Thema Gesunde Ernährung für mich eine sehr starke soziale Komponente hat, die immer mitschwingt. Und nicht zuletzt möchte ich auch ansprechen, dass die unglaublich großen Mengen von weggeworfenen Lebensmitteln im Abfall ein echtes Alarmsignal sind. Aus Mülluntersuchungen wissen wir, dass dieses Phänomen absolut nicht auf wohlhabende Personen beschränkt ist. Daraus schließen wir, dass im Bereich der Lebensmittelkunde und Lebensmittelbevorratung tatsächlich ein Defizit herrscht. Man möchte meinen, die Lebensmittel sind zu billig, sonst würden nicht derart erschreckende Mengen im Müll landen. Deshalb bieten wir aus dem Umweltressort Schülerworkshops an, bei denen das Thema Lebensmittel mit angesprochen wird. Mit herzlichen Grüßen
Astrid Rössler“
Resümee der Bürgerin:
„Sehr geehrte Frau Rössler, ich gebe Ihnen bedingungslos recht, wenn es um die Frage gesunder Ernährung geht. Diese ist auch meiner Meinung nach dafür ausschlaggebend, dass unsere Kinder gesunde Voraussetzungen dafür finden, sich in einem beinharten neoliberalistischen System nicht krank machen zu lassen. Ich lese aus Ihrem Text heraus, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt. Was ich vermisse, ist die Antwort auf meine dringlichsten Fragen: Wie sehen Ihre Antworten auf die konkrete Frage aus, wie Sie in Zukunft mit Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung und konkreter Armut umzugehen gedenken? Diese Fragen waren Ihnen keine Zeile Antwort wert. Wollen Sie sozialpolitische Fragen mit umweltpolitischen Fragen nicht mehr verknüpft wissen? Sozusagen „gesund“ erhähren kann sich weder ein Sozialhilfe-Empfänger noch eine Bezieherin eines Mindesteinkommens leisten. Auf welcher rosaroten Wolke schweben Sie eigentlich? Gesund und Bio? In einer Welt, die in Armut erstickt. Sie Glückliche, ersparen Sie es den Menschen, die von heute auf morgen nicht wissen, wovon sie sich ernähren sollen, ihnen von Ihren gesunden Weisheiten zu erzählen. Die Probleme liegen wo anders. In einem der reichsten Länder der Welt gibt es Armutsgefährdung und Armut. Die betroffenen Menschen kennen andere Probleme als die der Bioeernährung. Hochachtungsvoll,
Rosalia Krenn“
Es ist schon lang her,dass ich mit Rosalia Krenn quasi einen
Dialog geführt habe,nämlich zum Thema strukturelle Gewalt,
mit dem ich mich in einem Leserbrief zu einem Disney-Film
(„Disney einmal anders“),in dem eine junge Frau Opfer struktureller
Gewalt ist und grad darum ihren künftigen Partner,den Glöckner
Quasimodo,gut verstehen kann, auseinandergesetzt habe.
Ja,Rosalia,du hast völlig recht,das Soziale gehört zu den
Dingen,bei denen die Grünen ein inhaltliches Defizit haben.
Ausserdem sprechen die Grünen vielfach nicht das,was ich erst
kürzlich bei einem Amnesty-Workshop gelernt habe:“einfache
Sprache“.
Problematisch ist bei den Grünen auch ein deutliches
Demokratie-Defizit,das sich sehr deutlich beim Umgang mit
den Jungen Grünen gezeigt hat.
Ich glaube,dass Voggenhuber recht hat,wenn er sinngemäss meint,
dass die Grünen,na ja,ganz neu von vorn anfangen
müssen/sollten.
Gerhard lehner