Die Androhung von Zwangsgewalt gegen Separatisten ist ganz normal. Denn der Staat ist souverän, nicht das Volk.
[aus akin 21/2017]
Als Regierungschef Rajoy jetzt die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung androhte, wurde rasch die Frage laut: Wieso gibt es eine solche Bestimmung überhaupt? Sei denn das mit einem Verfassungsstaat überhaupt vereinbar? Beantwortet wurde die Frage damit, daß dieser Artikel in die Verfassung Spaniens von 1978 nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes geschrieben worden war. Dieses Grundgesetz gilt ganz allgemein als besonders fortschrittlich und demokratisch, da es einen radikalen Bruch mit deutschen Verfasungstraditionen nach dem Ende der Naziherschaft bedeutet hatte. Also alles in Ordnung mit den Vorstellungen von Demokratie und Verfassungsrecht in Spanien? Oder ist das deutsche Grundgesetz auch nicht so superdemokratisch?
Weder – noch. Denn tatsächlich hat so ziemlich jeder souveräne Staat irgendsoeine Rechtsgrundlage im Köcher. Souveränität bedeutet nunmal, daß das Recht dieses Staates auf seinem gesamten Territorium gilt. Darauf beruht auch die UNO: Diese ist ein Zusammenschluß souveräner Staaten, untersagt prinzipiell Grenzveränderungen ohne Zustimmung des Staates, der Territorium verlieren würde, und sieht jeden Konflikt, der nicht zwischen anerkannten souveränen Staaten stattfindet, als „innere Angelegenheit“, der sie nichts anzugehen hat. Nur unter dieser Voraussetzung konnte die UNO erst geschaffen werden. Damit verfestigte sie aber auf internationaler Ebene das Verbot einer Abspaltung eines Teils eines Staates. Das mit dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist eine Floskel, die mangels Definitionsunmöglichkeit des Begriffs „Volk“ gerne dieses einfach als das jeweilige Staatsvolk deklariert und damit eher Sezessionsbestrebungen ablehnt.
Moralische Fragen verbieten sich in diesem Zusammenhang. Ob Katalonien das Recht hat, sich abzuspalten, kann man nur damit beantworten, ob dieses Land (sprich seine Regionalregierung oder Separatistenführer) die Macht hat, eine solche Abspaltung durchzusetzen – egal, ob militärisch oder sonstwie. Recht ist nunmal immer Ausfluß von Kämpfen. Es gibt kein „Naturrecht“.
Besonders gut zu beobachten war das beim Zerfall Jugoslawiens. Dieser Staat sah sich offiziell als freiwlliger Staatenbund, dessen Mitglieder formal auch das Recht hätten, diesen Bund zu verlassen. Allerdings widersprach das völlig dem Gedanken des souveränen Staates. Und so reagierte auch Restjugoslawien und erklärte die Abspaltung Sloweniens und Kroatiens für inakzeptabel.
Daß Spanien und Deutschland (dort heißt das übrigens recht treffend „Bundeszwang“) so einen Artikel in ihrer Verfassungen haben ist weniger autoritär und undemokratisch als einfach nur ehrlich. Denn in Österreich, wo man sich gerne um solche Eindeutigkeiten drückt, gibt es so ein explizites Instrument nicht. Die Praxis hat es aber schon sehr wohl gegeben, denn hier ist das Wörgler Schwundgeld in der ersten Republik zu erwähnen. Das ist in diesem Zusammenhang deswegen relevant, weil dieses Notgeld ebenfalls die Souveränität des Staates über die Währung in Frage stellte. Tatsächlich wurde das Geldexperiment auch mit der Androhung eines Bundesheereinsatzes im September 1933 beendet.
Damals reagierte Dollfuß schon autoritär, die Verfassungsfrage stellte sich also gar nicht. Wenn man wissen aber will, wie so ein Reaktion auf Sezessionsbestrebungen heute legitimiert werden könnte, landet man bezeichnenderweise bei ausländischen Texten. Eine Studie für den deutschen Bundestag über den Bundeszwang befaßt sich auch mit den Regelungen anderer Länder. Die deutschen Autoren fanden da für Österreich vor allem den berüchtigten Art. 79 Abs. 2 B-VG, wonach das Bundesheer eingesetzt werden kann, um „die verfassungsmäßige Ordnung“ wiederherzustellen. Nachdem die verfassungsmäßige Ordnung eine Einheit des Bundesgebiets vorsieht, ergibt sich daraus de facto eine Entsprechung für den deutschen Bundeszwang. Da ist zwar keine formelle Entmachtung regionaler Regierungen vorgesehen, aber man kann halt auch den Zweck über die militärischen Mittel definieren. So eindeutig hineinschreiben wollte man es aber wohl halt nicht in unsere Verfassung.
Die Deutschen allerdings kennen diese Praxis des Bundeszwangs auch schon lange. 1923 wurde über Sachsen und Thüringen die „Reichsexekution“ verhängt, weil sich da Regierungen gebildet hatten, an denen die Kommunisten teilhatten, was die Reichsregierung Stresemann nicht dulden wollte. Und 1932 kam es zum „Preußenschlag“: Als sich im dortigen Parlament keine Regierungsmehrheit finden ließ, nahm das Reichskanzler Franz von Papen zum Anlaß die preussische Regierung durch einen Reichskommissar zu ersetzen. Die meisten Historiker sehen das heute als die entscheidende Erleichterung an, die Hitler kurz darauf gebraucht hatte, in Deutschland die Macht zu ergreifen.
Bernhard Redl
Die erwähnte deutsche Studie zum Bundeszwang:
http://tinyurl.com/akin21EXEK oder
https://www.bundestag.de/blob/413444/081ff6f96f13d47bc85c48eafa185cf1/wf-xi-g-055-06-pdf-data.pdf
Tja,das mit den inneren Angelegenheiten haben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty immer „super“gefunden
insbesondere wenn Menschen,die sich für Menschenrechte einsetzen,
dann auch noch als ausländische Agenten oder dergleichen
angesehen werden – so wie es z.B.gegenwärtig Amnesty-Vertretern
in Ungarn ergeht – von Russland ganz zu schweigen.
Und in der Türkei sitzen führende Amnesty-Vertreter ohnehin in
Haft.
Die Abspaltung diverser Teile eines Landes habe ich immer
für einen Unsinn gehalten. „Gebilde“ wie z.B.die historische
Donaumonarchie haben/hatten eine bzw.zwei Verwaltungseinheiten
mit allem,was an Verwaltungsapparat,Steuereintreibung und
dgl. so anfällt, weshalb ansonsten das vorhandene Geld für
produktive Dinge(Bildung und so)ausgegeben werden kann
-vorausgesetzt,dass ein zentraler Verwaltungsstaat oder
auch ein Bundesstatt dies auch tut.(Manchmal täte dies ein
Bundesstaat auch gern- Theodore Roosevelt hätte in seiner
Zeit(1901 – 1909)gern mehr für Arbeitnehmerrechte(betreffend
Haftung von Arbeitgebern)getan,scheiterte aber an der US-
Bundesverfassung.)
Es bleibt natürlich die ganz wesentliche Frage,WIE und mit
welchen Methoden ein Staat(Spanien,Türkei…)seine „Einheit
sichert“ – und ob ein Staat,auch historisch,das korrekt und
ausgewogen tut – z.B.konnte Stresemann damals gegen
den Hitlerputsch 1923 NICHT vorgehen.
Wer sagte das doch gleich?“Ich liebe Österreich nicht
-ein Land kann man nicht lieben,nur Menschen.“
Und ich bin auch fest davon überzeugt,so wie einst
Schopenhauer,dass sich Nationalisten deshalb so viel
darauf einbilden,dass sie Katalenen,Iren oder sonstwas
sind,weil sie sonst nix haben,auf das sie stolz sein können.
Menschen mit ausgeprägter Persönlichkeit und eigenenen
Leistungen brauchen diesen Nationalismus/“Patriotismus“
ganz gewiss nicht!
Gerhard Lehner