Die drei großen Unbekannten

Ein Verkehrsquiz –

Manche Verkehrszeichen führen ein unbedanktes Schattendasein. In der StVO sind sie angeführt, bei Autofahrkursen werden sie bisweilen erwähnt, aber kennen tut sie kaum jemand — vor allem nicht in Wien. Zufälligerweise handelt es sich dabei immer um Zeichen, in denen es um die Verbesserung der Rechte der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer geht. Daher zum besseren Verständnis hier eine alternative schriftliche Führerscheinprüfung:

1) Ein blaues Rechteck mit weißen Figuren, einem weißen Punkt, einem weißen Hauserl und einer weißen Autovorderansicht. Was bedeutet das?
a) Straße, in der sich jeder aufführen kann, wie er will.
b) Vorsicht, spielende Kinder!
c) Begegnungszone.

2) Ein weißes Quadrat mit einem blauen Kreis und darin einem weißen Fahrradsymbol, Zusatzinschrift „Fahrradstraße“. Was könnte das wohl sein?
a) Straße, auf der Fahrräder erlaubt sind.
b) Mittelding zwischen Radweg und Autostraße.
c) Straße, auf der man radfahrende Kinder unter 12 nicht niederführen darf.

3) Ein blaues Quadrat mit einem weißen Fahrradsymbol. Was ist denn das schon wieder?
a) Radweg.
b) Radweg?
c) Zulässige alternative Darstellung des Verkehrszeichens „Radweg“, wenn der Kommunalverwaltung die runden Schilder ausgegangen sind.

Die Auflösung

Natürlich sind sämtliche Antwortmöglichkeiten formal falsch. Allerdings kommen sie wohl den meisten Autofahrern — und vielen nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern — als mögliche richtige Antworten vor. Nur kennt die StVO halt keine gefühlten Interpretationen von Verkehrszeichen. Es gibt hier keine intuitive Straßenbenützerführung, sondern nur Vorschriften. Hier die richtigen Vorstellungen der Unbekannten:

1) Das Ignorierte

Das Symbol „Wohnstraße“ sollte mittlerweile eigentlich bekannt sein. Es steht seit 1983 in der hiesigen StVO. Noch in den späten 90ern mußte man es allerdings sogar Polizisten erklären, wenn die einen abmahnen wollten, weil man „den Verkehr“ — damit ist natürlich der Autoverkehr gemeint — behindere. Die meisten Autofahrer verstehen das Symbol aber immer noch als Verkehrszeichen für „Schleichweg“ oder gar „Abkürzung“, durch die man mit 50 Sachen brettern darf.
Tatsächlich handelt es sich um eine Verkehrsfläche in der man erstens nicht schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sein und zweitens als Motorisierter auch nicht durchfahren darf. Lediglich Zu- und Abfahrten sind erlaubt, sprich: Man muß zumindest glaubwürdig auf der Suche nach einem Parkplatz in dieser Straße sein, um überhaupt einfahren zu dürfen. Und dieser Autoverkehr darf von anderen Personen auch noch behindert werden — einzige Einschränkung: Das darf „nicht mutwillig“ passieren (StVO §76b). Und für Fahrräder gilt da die Einbahnverordnung nicht (§7, Abs.5).
Ein Tip fürs Finanzressort: Nebenbei könnten die Wohnstraßen auch zur Budgetsanierung genutzt werden. An manchen dieser Straßen könnte man kaum so schnell Strafen einkassieren wie Verwaltungsübertretungen begangen werden.

2) Das Ungenutzte

Laut Wiener Rathaus gibt es seit der grünen Regierungsbeteiligung in dieser Stadt mittlerweile ein paar „Fahrradstraßen“. 2012 eröffnete Maria Vassilakou mit großem Pressetrara mit der Ottakringer Hasnerstraße die erste davon. Pardon, es war „Wiens erste fahrradfreundliche Strasse“ — denn der Rechtsbegriff der „Fahrradstraße“ kam erst mit der Novelle 2013 in die Straßenverkehrsordnung. Seither gilt die Hasnerstraße aber als „Fahrradstraße“.
Realität wie Rechtssituation sehen aber anders aus. Da werden riesengroße Fahrradsymbole auf den Asphalt gepinselt, die den Autofahrern eindrücklich näherbringen sollen, daß das hier nicht ihr Hauptrevier sei. Was aber nichts nützt — die Hasnerstraße ist längst wieder vom Autoverkehr zurückerobert. Hie und da ist eine Kreuzung zwar abgepollert, aber das ist zu selten, um dem Autoverkehr in die Schranken zu weisen. Die Hernalser Rötzergasse hingegen ist derzeit überhaupt eine Autodurchzugsstraße, weil man halt erkannt hat, daß diese Fahrradstraßen ideale Reserveflächen sind, wenn man mal eine Umleitung braucht. Deswegen hat man wohl in der Rötzergasse gleich von Anfang an auf Poller verzichtet.
Aber das ist nur konsequent. Denn die Fahrradstraßen sind nämlich gar keine. In einer Fahrradstraße gilt: „In einer solchen Fahrradstraße ist außer dem Fahrradverkehr jeder Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon ist das Befahren mit den in §76a Abs.5 genannten Fahrzeugen [d.s. Einsatzfahrzeuge, Müllabfuhr. u.ä., Anm. akin] sowie das Befahren zum Zweck des Zu- und Abfahrens. […] Die Lenker von Fahrzeugen dürfen in Fahrradstraßen nicht schneller als 30 km/h fahren. Radfahrer dürfen weder gefährdet noch behindert werden.“
Aber nur wo „Fahrradstraße“ draufsteht, ist nach dem Gesetz auch Fahrradstraße drin. Das wird wohl der Grund sein, warum man das Schild „Fahrradstraße“ nirgendwo sieht. (Zumindest hat es der Autor dieser Zeilen in Wien noch nie gesehen. Man korrigiere mich, wenn es jemand wo entdecken sollte.)

3) Das Rätselhafte

Generell gilt: Radwege sind benützungspflichtig. Das hat seit den 1980ern dazu geführt, daß vor allem in Wien massiv Radwege „gebaut“ worden sind, weil die SPÖ erkannt hatte, daß sie damit den anwachsenden Radverkehr von der Fahrbahn auf umgepinselte Gehsteige zwingen kann. Auf Druck von Verkehrsinitiativen wurde daher ebenfalls mit der Novelle 2013 in die StVO eine Bestimmung eingeführt, daß es auch nichtbenützungspflichtige Radwege geben könne.
Das wars dann aber schon. Gebrauch wurde von dieser Bestimmung kaum gemacht. Nun verkündete die neue grüne Wiener Vizebürgermeisterin, daß erstmals die Argentinierstraße zum ersten nichtbenützungspflichtigen Radweg erklärt wurde. Ein Augenschein auf der Argentinierstraße kurz danach ergab: Trotzdem fahren diesen Sommer immer noch alle auf dem — derzeit auch meist recht überfüllten — Radweg. Und das tun die meisten wahrscheinlich nicht, weil sie sich dort sicherer fühlen, sondern weil sie schlicht keine Ahnung haben, daß ein Radwegsymbol, das nicht rund, sondern eckig ist, bedeutet, daß es sich dabei um die Aufhebung der Benützungspflicht handelt. Denn blaue, viereckige Symbole sind eben keine Gebots- sondern Hinweis- und Schutzzeichen.
Aber vielleicht sollte man dieses Symbol besser gar nicht erklären. Weil: Wenn man das tut, dann wissen ja die Radfahrer um ihr Recht, die Fahrbahn benutzen — und damit die armen, geplagten Autofahrer noch mehr ärgern — zu dürfen, und die Folge wäre, daß die Argentinierstraße nicht nur der erste, sondern auch der letzte „nichtbenützungspflichtige Radweg“ bleiben würde. Nach dem Motto: Was der Radfahrer nicht weiß, macht den Autofahrer nicht heiß.

Bonusschild: Das Illegale

In Wien werden immer mehr Einbahnstraßen mit Ausnahmen für den Fahrradverkehr definiert. Das ist ja recht schön. Weniger schön ist die heute übliche Ausschilderung. Seit einem Jahr spart man nämlich an den Zusatztafeln und schreibt dieses „AUSGEN“ + Fahrradsymbol mit einer dünnen weißen Schrift in das Einfahrt-verboten-Schild hinein.

Screenshot_20190828_053449Das wirkt zwar sehr hip, ist aber auf die Distanz und bei schlechten Lichtverhältnissen kaum zu erkennen. Und nein, es ist auch nicht StVO-konform, denn das Gesetz schreibt echte Zusatztafeln vor. Das ist auch gut so, weil die sind auch von Weitem lesbar. Vor allem blöd ist das nämlich, wenn man mit dem Fahrrad auf einer anscheinend so gedachten Route durch mehrere Ausnahmeeinbahnen gefahren ist und plötzlich in einem Anschlußstück die Ausnahme nicht mehr gilt — da kann man das dann sehr leicht übersehen.

Das war keine „Information des Bundesministeriums für Verkehr im Interesse der Allgemeinheit“ und auch keine „Information der Stadt Wien“. Und auch kein aus Steuergeldern bezahltes Inserat. Aber vielleicht interessierts ja trotzdem die Allgemeinheit.

Mario Czerny

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