Vor dem Hintergrund des im Gefolge von Ibiza aufpoppenden Sittenbilds der heimischen Kultur des Postenschachers gibt Daniela Kittner im Kurier vom 19.11.2019 einen sehr plausiblen Rückblick auf die Geschichte des Proporz: Ursprünglich war er eine der Lehren, die ÖVP und SPÖ nach 1945 aus Bürgerkrieg und Austrofaschismus zogen: „Keine Partei sollte überproportional im Staatsapparat vertreten sein, ein Parteiengleichgewicht sollte die Demokratie festigen.“ Bis in die achtziger Jahre hinein hatte er dann eine gesellschaftsstabilisierende Wirkung. Denn die heimische Wirtschaft war bis zu jener Zeit eine klassische „National-Ökonomie“ mit hohem Staatsanteil und geschützten Märkten, in der die Sozialpartner lenkend auf Preise, Löhne und die Geldpolitik Einfluss nehmen konnten. Daniela Kittner ist auch zuzustimmen bei ihrer Feststellung, dass es „diese Welt des geschlossenen österreichischen Systems“ heute nicht mehr gibt, und dass wir in einer Welt des globalisierten Konkurrenzkampfs leben, „in der sich von den Schülern angefangen jede und jeder internationalen Benchmarks, Pisastudien und Produktivitätsvergleichen stellen muss.“
Zurückweisen möchte ich aber die von ihr aus dieser Situationsbeschreibung abgeleitete Schlussfolgerung. Denn die besagt, dass in dieser neuen Welt des globalisierten Konkurrenzkampfs „eine Personalrekrutierung wie in den 1950er-Jahren vielleicht doch etwas outgedatet (ist)“ und dass die Grünen jetzt „die Jahrhundertchance (haben), das zu tun, was die FPÖ zwar stets versprochen, aber nie gehalten hat: zumindest auf Bundesebene das Postenschachern abzustellen.“
Das klingt unheimlich überzeugend, ist aber eine Falle! Man muss sich nämlich fragen, wer denn dann nach welchen Kriterien die zu besetzenden Posten vergeben wird. Die Antwort ist ernüchternd: Es werden dann (im besten Fall!) jene internen und externen ‚Experten‘ bestimmen, die ihr Expertentum in den Kaderschmieden jener ökonomischen Leitkultur erworben haben, welche gerade dabei ist, den gesamten Planeten an die Wand zu fahren.
Wenn man (bloß zum Spielen!) einmal kurz annimmt, dass es den Grünen ein Anliegen ist, gegen die Herrschaft dieser Leitkultur anzukämpfen, dann müssen sie weiterhin auf sehr altmodische Weise um jeden Posten ringen – in der vagen Hoffnung, dass sie dies nicht nur für die KarrieristInnen des eigenen Lagers tun, sondern dabei auch den einen oder anderen kritischen Geist in Stellung bringen können, der sich nicht sofort und umstandslos jenen scheinbar unausweichlichen ‚Sachzwängen‘ unterwirft, die besagte Leitkultur täglich über alle Medienkanäle von A (wie Angebotspolitik) bis Z (wie Zinsentief) für uns durchbuchstabiert.
Apropos Fallenstellen: einer der gefährlichsten Steller einschlägiger Fallen ist Franz Fiedler, Ehrenpräsident des Beirats von Transparency International Österreich. In einer ORF-Diskussion zur Postenschacher-Thematik spricht er sich dagegen aus, dass politische Wechsel an der Spitze von Ministerien auch zu entsprechenden politischen Umfärbungen bei den in deren Einflussbereich stehenden Unternehmen führen. „Denn dann werden in Wahrheit nicht die Interessen des Eigentümers, der Republik, sondern einer politischen Partei zum Durchbruch kommen.„
Diese Begründung lässt tief blicken auf das Staats- und Politikverständnis bei Transparency International. Auf der einen Seite verklärt Fiedler hier den Staat zur frei über allen Sonderinteressen schwebenden Agentur eines fiktiven Allgemeininteresses. Und auf der anderen Seite negiert er von vornherein die Möglichkeit, dass die von einer politischen Partei vertretenen Ziele so etwas wie ein gesamtgesellschaftliches Interesse verkörpern könnten. Ob dies im Einzelfall zutrifft, muss natürlich diskutiert werden. Man darf es aber doch nicht von vornherein ausschließen – und mit diesem Ausschluss den Parteien prinzipiell das Recht absprechen, dem von ihnen jeweils vertretenen Anliegen durch entsprechende Personalpolitik zum Durchbruch zu verhelfen. Wer so argumentiert, gibt sich als Agent jener Sonderinteressen zu erkennen, die sich hinter einer an ‚Sachzwängen‘ orientierten ‚Sachpolitik‘ verstecken, welche dem fiktiven Allgemeininteresse „der Republik“ zu dienen vorgibt.
Karl Czasny