Keine Angst!

(30.3.2020) Also ich bin ja kein Arzt, aber wenn man den Ärzten früher so zugehört hat, weiß man ja, was wichtig für ein gutes Immunsystem ist. Vor allem ist Bewegung an der frischen Luft wichtig, das Geniessen des Sonnenscheins und natürlich der sozialen Kontakte, auch Liebe ist hilfreich und ganz besonders Zärtlichkeiten und Sex — das boostet so richtig das Immunsystem. Hingegen ist Streß der absolute Immunkiller, alles was einem Angst macht, sollte man vermeiden, egal, ob das jetzt die Angst ist, sich eine tödliche Krankheit einzufangen oder den Arbeitsplatz zu verlieren.

Gut, daß jetzt wegen des Corona-Virus alles getan wird, um das Immunsystem aufzupäppeln. Leider nur in Schweden, aber immerhin.

Wenn man sich anschaut, wie indes im Ursprungsland der Psychoanalyse die psychosomatischen Auswirkungen der Corona-Berichterstattungen und -Beschränkungen ignoriert werden, kann man sich ungefähr vorstellen, wie Sigmund Freud, Josef Breuer und Alfred Adler in ihren Gräbern rotieren. Gegen den Streß bietet das Gesundheitsministerium aber “Empfehlungen zur psychischen Gesundheit während der COVID-19-Pandemie für die allgemeine Bevölkerung” an. Dort haben immerhin vier Oberkochmezzer von der MedUni Wien sehr hilfreiche Tips zur Verfügung gestellt wie etwa “Halten Sie regelmäßige Schlafroutinen ein und ernähren Sie sich gesund” oder: “Nehmen Sie an gesunden Aktivitäten teil, die Ihnen Spaß machen”.

Blöd, daß Letzteres oft genug genau das ist, was man laut der Regierung nicht machen soll.

Dann gibt es noch den Ratschlag: “Vermeiden Sie, sich Nachrichten, die Sie potentiell in Angst, Stress oder Panik versetzen, unreflektiert auszusetzen.” Heißt das, ich soll bei Pressekonferenzen des Bundeskanzlers den Ton abdrehen? Nein, natürlich nicht, sondern “Suchen Sie zu fixen Tageszeiten, etwa ein- bis zweimal täglich, nach aktualisierten Informationen von Plattformen der örtlichen Gesundheitsbehörden bzw. der Webseite der WHO, um Fakten von Gerüchten oder noch unbekannten Aspekten unterscheiden zu können.” Ja, ein stärkeres Beruhigungsmittel kann ich mir jetzt auch nicht vorstellen als die Homepage des Gesundheitsministeriums, wo ich topaktuell über die letzten Corona-Todesfälle informiert werde.

Wir leben derzeit in einem Klima der Angst. Wer noch einen Arbeitsplatz hat, befürchtet, ihn zu verlieren. Da nutzt es auch nichts, daß es jetzt die Gewähr geben soll, daß besonders Gefährdete zu Hause bleiben könnten und die Unternehmen das Gehalt ersetzt bekämen — wer will sich schon gegenüber seinem Chef als nicht mehr ganz so fit deklarieren? Einen Kündigungsschutz gibt es nämlich nicht. Kleingewerbetreibende fragen sich, ob sie nach der Krise noch einen Kundenstamm haben werden — da nutzen keine Härtefonds.

Jeder, dem wir auf der Straße begegnen oder gar im Supermarkt könnte ein Virenüberträger sein — ist der Nachbar mein Todesengel? Wenn alle dann Masken tragen, wird man psychisch noch distanzierter sein — der andere genauso wie man selbst wird zum Anonymisierten, zur nicht mehr sichtbaren Gefahr, wie das Virus selbst, zum Zombie. Man glaubt, in irgendeiner Hollywood-Apokalypse rumzulaufen.

Auch stellt sich die Frage: Kann ich noch zu einem Arzt gehen oder sind die Praxen alle zu? Wenn ich Symptome habe, will ich dann genau wissen, ob das Corona ist? Weil schließlich werde ich dann zu Hausarrest verdammt und kann nicht einmal mehr spazierengehen. Oder wäre es lebensgefährlich, wenn ich es nicht wissen will?

Die Polizei hat sich zwar mittlerweile einigermassen erklären lassen, was gerade rechtens ist, aber allein die Tatsache, daß ich jetzt jederzeit einem Polizisten Rede und Antwort stehen muß, wo ich hinwill und wie ich diesen Weg rechtfertige, ist nicht etwas, was zu meiner Beruhigung beiträgt.

Die Hölle, das sind die Anderen

Und dann gibt es natürlich auch noch diese Blockwarte, diese Hausnazis, denen es Spaß macht, andere zu vernadern und die jetzt ein tolles Betätigungsfeld bekommen haben. Nicht zu vergessen sind aber auch die mittlerweile unschön werdenden Debatten in den sogenannten Sozialen Medien zwischen den Menschen mit Virusängsten und denen mit Ängsten vor der Allmacht des Staates, die sich wechselseitig als Verharmloser beschimpfen und die Moralkeule schwingen. Und hier, in diesen Online-Communities, die keine sind, gibt es ebenfalls die Blockwarte, die Beiträge bei den Betreibern melden, wenn jemand die Weisheit des Lockdowns in Zweifel zieht.

Werden unsere Handys schon überwacht? Eine Firma hat die Wege der Ischgl-Infizierten verfolgt an Hand ihrer Datenspur, die sie über Smartphone-Apps selbst unbewußt gelegt haben. Auch das ist gespenstisch. Und die Regierung denkt laut darüber nach, vielleicht doch den Datenschutz zu kübeln. Gleichzeitig ist völlig unabsehbar, wie lange diese Situation noch andauern soll — werden wir überhaupt auch nur ansatzweise einen Sommer haben? Wie kaputt wird die Wirtschaft sein und wie kaputt werden wir sein, wenn es endlich Entwarnung gibt? Wie kaputt werden Sozial- und Rechtsstaat danach sein? Wird der Gesalbte vielleicht bald ähnlich regieren wie jetzt schon der Reichsverweser im Nachbarstaat?

Ängste bestimmen derzeit unser Leben in einem Ausmaß wie nie zuvor — und die vor dem Virus ist nur eine davon. “Fahles Nachtgespenst, du verdirbst die Phantasie!” beschimpfte einst Maria Bill die Angst. Vielleicht sollten wir es ihr gleichtun, vielleicht ist es gerade jetzt das notwendige Wesen der Politik, die Angst zu bekämpfen, also auch jene, die davon profitieren wollen.

Und gesund wäre es auch.

Bernhard Redl
(aus akin 8a/2020)

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