Aus dem Archiv: „Es ist oft wie eine Gummiwand“ (Birgit Hebein, 2012)

Birgit Hebein ist grüne Gemeinderätin. Aber auch eine alte Freundin des Interviewers Bernhard Redl. Und im übrigen auch noch Schriftführerin des Herausgebervereins der akin. Und daher wurde das hier wiedergegebene Interview trotz aller politischen Widersprüche zu einem recht amikalen Streitgespräch. Es geht einerseits um Sozial- und Verkehrspolitik sowie Prostitution und andererseits um die Schwierigkeiten der Wiener Grünen mit dem Koalitionspartner, dem knappen Budget und der eigenen Bundespartei. [aus akin 19/2012]


akin: Birgit, du bist jetzt seit fast 2 Jahren Abgeordnete zum Wiener Landtag und bist damals auch gleich Mitglied einer Regierungsfraktion geworden. Wie fühlst du dich jetzt in dieser Rolle?

Birgit: Was ist das für eine Frage? Das ist doch völlig bedeutungslos. Das Entscheidende ist, ich bin angetreten, weil ich einen Beitrag leisten will, daß es sich verbessert für die Menschen in der Stadt.

akin: Das klingt jetzt sehr nach Politikerantwort.

Birgit: Na, was hast du dir erwartet? Aber ich meine es wirklich so. Was soll ich sagen auf die Frage: Wie fühlst du dich? Ich kann dir nur sagen, kurz bevor ich hergekommen bin, da war es recht hektisch, weil morgen ist Regierungsklausur, noch schnell Papiere schreiben, noch schnell herumtelefonieren — und mitten drin krieg ich dann einen Anruf von einem Bekannten, der mich fragt: ‚Du, Ich will eine Motorsäge kaufen, welche empfiehlst mir denn?‘ Das war dann mittendrinnen… (lacht)

akin: Okay, reden wir Tacheles. Du sagst, du willst etwas verbessern in dieser Stadt. Was willst du verbessern? Und wo siehst du etwas, von dem du glaubst, du hast etwas verbessert.

Birgit: Ich bin Sozialsprecherin, ich hab 13 verschiedene Themenbereiche, unter anderem auch Kontrolle, Transparenz und Korruption, behinderte Menschen, Drogenkranke, Obdachlose, alles was mit Gewalt zu tun hat, soziales Wohnen, Delogierungen, Schulsozialarbeit und so weiter. So ziemlich umfangreiche Themen und es gibt halt einfach auch Schwerpunktbereiche, an denen ich gerade arbeite: Der nächste Winter steht vor der Tür, die Armut steigt, die Mietpreise steigen, die Energiekosten steigen und da ist die Frage ressortübergreifend zusammenzuarbeiten und zu schauen, was kann man da nachhaltig für Konzepte umsetzen; nachhaltig im Sinne: Wie erreicht man die Leute, die es betrifft? Schafft man es mit Energieberatung, schafft man es mit Thermenaustausch, schafft man es mit Sanierungen der Fenster? Damit die sich einfach das Heizen leisten können. Das ist eines der Projekte und ich finde das schon eine Herausforderung. Mach die Augen auf und du siehst, daß die Armut massiv zunimmt.

akin: Deswegen ist der Heizkostenzuschuß gefallen? (1)

Birgit: Nein, der Heizkostenzuschuß heißt, 100 Euro kriegen 54.000 Haushalte in Wien und die Frage ist, wie kann man das verbessern, wie kann man das nachhaltiger machen? Und da dann reden mit ExpertInnen der Armutskonferenz über die Energieberater bis zu Leuten, die da schon Projekte gemacht haben in Wien und anderen Städten, um dann zu schauen, okay, wo können wir da sinnvoll ansetzen.

akin: Du hast dich auch sehr engagiert beim Thema Prostitution. Was dabei rausgekommen ist, war meines Erachtens ein bißerl ein Selbstfaller. Weil jetzt werden die Prostituierten irgendwohin abgedrängt. Das war aber wohl nicht das Ziel?

Birgit: Wir haben zwei Ziele verhandelt: Das eine ist, daß die Frauen sichere Arbeitsbereiche brauchen, indoor und outdoor, und das andere ist, daß wir sie rausnehmen aus dem dichtverbauten Wohngebiet. Wir haben da eine Kompromiß erziehlt, aber ich muß sagen, ja, die Umsetzung ist uns noch nicht gelungen. Die Frauen werden gerade in die Wohnungsprostitution verdrängt. Es gibt massive Wickel am Auhof und auch im Prater. Viele Frauen, die wir früher über Streetwork und Polizei erreicht haben, sind nicht mehr erreichbar. Ja, es happert an der Umsetzung. Da blockieren die Bezirke, daß wir genug Erlaubnisbereiche haben und die Diskussion rennt noch immer unaufrichtig, stimmt.

akin: Aber du warst ja nicht ganz unbeteiligt an der Gesetzesänderung und hast genau gewußt, daß diese Vertreibung dann am Verordnungsweg passiert…

Birgit: Dieses Verherrlichen der Situation von vorher ist sowas von unehrlich. Red einmal mit den betroffenen Frauen, was es geheißen hat, hinten im 15.Bezirk kochendes Wasser drübergeschüttet bekommen haben! Die Situation ist eskaliert. Man hat das politisch in den letzten Jahren immer enger gemacht, so daß es eskaliert ist. Und es hat aber auch Anrainer gegeben, die schwer okay waren, die gesagt haben, bitte macht etwas, schafft genügend sichere Bereiche im öffentlichen Raum, aber ich muß schlafen können und das hallt dermaßen in den Seitengassen. Wenn, dann muß man genau hinschauen: Dann reden wir darüber, daß wir verändert haben, daß die Frauen bei der Anmeldung bei der Polizei Erstberatungen aus dem NGO-Bereich bekommen — so daß man überhaupt einen Zugang zu ihnen findet, wo man dann schauen kann, was brauchen die, ist Menschenhandel dahinter, ist Zuhälterei dahinter, wie geht es ihnen überhaupt, was brauchens?
Wir haben zweieinhalbtausend legale Sexarbeiterinnen und doppelt soviele illegalisierte. Kein Mensch fragt: Wo sind die? Was passiert in den Lokalen? Was passiert bei den Veränderungen, daß es jetzt Zuverlässigkeitsüberprüfungen gibt für die BordellbetreiberInnen, wo die Leute früher oft ausgeliefert waren, mitsaufen haben müssen und das nicht mehr ertragen haben.
Ich brauche nichts verherrlichen und beschönigen. Und dann reden wir einmal darüber, was dahinter steckt und das ist die Armut und die nimmt immer mehr zu. Und ja, es kommen immer mehr Frauen aus Bulgarien und Rumänien, weil dort die Armut so verheerend ist.
Langer Rede kurzer Sinn: Rot-grün hat einen Kompromiß erzielt und eines der Ziele war, genügend sichere Bereiche im öffentlichen Raum zu schaffen. Und ja, das ist noch nicht umgesetzt.

akin: Kommen wir zurück ins Generelle: Wo ist die grüne Handschrift in dieser Koalition? Mir kommt vor, die SPÖ macht dort weiter, wo sie aufgehört hat…?

Birgit: Jetzt aufzuzählen, was alles passiert ist in den letzten zwei Jahren, ist wahrscheinlich Quaqua. Aber laß es mich an zwei Beispielen zeigen. Das eine ist die Verkehrspolitik in der Stadt. Die Diskussionen, die stattfinden seit letztem Jahr, das Aufwerten der RadlerInnen, die Emotionalisierung bei der Parkraumbewirtschaftung, wo wir Grüne uns hinstellen und sagen, so gehts nimmer weiter, die Autos nehmen einfach viel zu viel Raum ein, wir brauchen eine Parkraumbewirtschaftung. Das sind für mich schon Schritte, wo man sagt: Ja, das geht in die richtige Richtung.
Wenn du hergehst und dir anschaust, was im letzten Winter passiert ist: Das Thema war vor zwei Jahren, daß Obdachlose, die die Mindestsicherung beziehen, den Wohnungsbeitrag von 190 Euro nicht mehr erhalten sollen oder sie sollen zumindest 4 Euro Nächtigungsgebühr zahlen (2), da haben wir zumindest vereinbart: Nein, der Wohnungsbeitrag muß bleiben und wir reduzieren die Gebühr auf zwei Euro. Und ich würd mir wünschen, daß uns die Leute nicht dafür kritisieren, daß es jetzt zwei Euro kostet und nicht null. Das hätte ich auch lieber.
Letzten Winter war es arschkalt und es ist niemand erfroren. Wir haben tausend obdachlose Menschen untergebracht und niemand hat gefragt, woher kommt der- oder diejenige. Und da haben extrem viele Leute mitgeholfen, daß das überhaupt möglich war, Schulen und Tageszentren aufzumachen und weitere Einrichtungen zu eröffnen und miteinander das Bestmögliche zu schaffen — sogar mit der ÖBB Gespräche zu führen, warum denn die Bahnhöfe geschlossen sind.
Und ja, die Revolution hat halt noch nicht stattgefunden und ja, die Strukturen verändern sich extrem langsam.

akin: Entschuldige, aber mir fallen jetzt konkret die abmontierten Bänke am Karlsplatz ein. Das werfe ich sicher nicht den Grünen vor. nur schaut das halt nach einen Beispiel aus, daß ihr genau nichts bewegts außer daß die SPÖ wieder die Mehrheit im Rathaus hat.

Birgit: Ja, die Bänke sind abmontiert worden. Ja, es kommen neue hin. Und ja, die werden viel unbequemer. Und wie man den Zeitungen entnehmen kann, hat man sie auch abmontiert wegen den Drogenkranken. Ja, eine total ungute Aktion, überhaupt keine Frage. Und von dem Beispiel der Wiener Linien kommst du jetzt daher zu sagen, daß wir grüne Politik machen für die SPÖ. Kannst du mir das erklären?

akin: Mein Problem ist, daß ich keine großartige Angebote der SPÖ an euch sehe, die irgendwie die Mehrheit legitimiert. Das einzige ist, daß ihr eine Stadträtin habt, die für alles mögliche zuständig ist, aber nichts entscheiden kann, weil die Brauner auf dem Geld sitzt. Es geht euch genauso wie anno dazumal der ÖVP in der Koalition. Und ihr habt gewußt aus dieser ÖVP-Phase, wie die SPÖ mit kleinen Koalitionspartnern umgeht: Sie scheißt auf sie, Hauptsache, sie hat die Mehrheit.

Birgit (seufzt): Das mußt du auseinanderdröseln. Ja, wir sind der kleine Partner. Ja wir haben das Verkehrsressort, die Stadtplanung und die BürgerInnenbeteiligung, ein riesiges Ressort. Und bei aller Kritik, schau einmal genauer hin, was die Mary (Anm. Vassilakou) auf die Füße stellt! Miß es an den konkreten Dinge, die passieren! Du meinst doch nicht ernsthaft, daß unter rot-schwarz das gleiche passiert wäre wie jetzt. Die ganzen Privatisierungsgeschichten! Du weißt genau, in der SPÖ ist ein Riesenapparat mit verschiedenen Interessen und da würden sich einige sicher leichter tun mit der ÖVP. Hätte es eine Kindermindestsicherung gegeben, hätts eine Parkraumbewirtschaftung gegeben, hätts einen Radlausbau gegeben?

akin: Moment, das mit dem Radlausbau ist ein Schmonzes. Die Radwege, die jetzt gebaut werden, sehen genauso aus, wie das Magistrat schon immer Radwege gebaut hat: als Radler-Entsorgungsmittel! Ich weiß schon, so schnell geht es nicht. Nach einem Jahr hab ich mir gedacht, okay, das waren noch die Planungen von der alten Regierung, aber mittlerweile werden neue Radwege immer noch Entsorgungswege!

Birgit: Das ist doch Schwachsinn! Ich bin auch Sommer wie Winter auf der Straße unterwegs. Es sind irrsinnig viele Leute jetzt aufs Radl umgestiegen. Ich finde das Klima auf der Straße jetzt ganz anders. RadlfahrerInnen sind endlich Thema in der Stadt — ebenso wie FußgängerInnen. Es gibt einen heftigen Clinch, wie man die Autofahrer zurückdrängt.

akin: Aber es passiert doch kein Zurückdrängen von Autofahrern! Was man hat, sind die üblichen Radwege, die gleichzeitig Sportplatz und Gehsteig und Kinderspielplatz sind — das alles auf schmalsten Raum. Es ist dasselbe wie vorher: Man baut Radwege, erklärt, man tue etwas für die Radfahrer, aber in Wirklichkeit tut man etwas für die Autofahrer.

Birgit (schweigt und schüttelt den Kopf ).

akin: Na schau, mein Problem mit den Grünen in der Regierung ist, daß ich glaube, daß ihr viel mehr zusammengebracht hättet, wenn ihr in der Oppposition geblieben wärt, einfach deswegen, um zu kommunizieren, was falsch läuft in der Stadt. Es gab eine Menge Wiener grüne Blogs, die ich gerne gelesen habe, speziell den von Martin Margulies, der wirklich alles aufgemacht hat, was er von den Finanzen in die Finger gekkriegt hat. Und diese Blogs sind jetzt tot, weil es eine Koalition gibt. Umgekehrt darf die ÖVP jetzt die Stadträtin Sima fragen, wie das denn nun passiert ist mit den seltsamen Verträgen der Abfallberater — von euch ist da nichts gekommen. Und das ist das Problem, das ihr in der Opppostion nicht mehr vorhanden seid. Mir geht es um die Öffentlichkeit: Man hört kaum mehr etwas!

Birgit: Da sprichst du einen heiklen Punkt an. Es stimmt, wir kommunizieren wenig und ich überleg mir täglich, daß ich eigentlich ein riesiges Bedürfnis habe zu kommunizieren und zu sagen, bitteschön, schaut euch das an. Aber es hat niemand was davon, wenn ich hergehe und laut herumbrülle. Da nutze ich keinem Menschen was. Mein Job ist es, Gespräche zu führen und zu schauen, das sich irgendwas verändert. Wenn ich irgendwem was ausrichte über die Medien, wem soll das irgendwas bringen?
Vor ein paar Tagen war in der Heinestraße ein Brand. (3) Keine Medien haben berichtet darüber, daß vor der Tür dann 20 bis 30 Obdachlose gestanden sind. Wir sind verständigt worden, wir haben dann Gespräche geführt mit dem Büro für Sofortmaßnahmen und mit der Wohnungslosenhilfe. Die einen haben dann gesagt: ‚Die waren illegalisiert drinnen, also ohne Mietverträge, wie sollen wir die wo unterbringen?‘, die anderen haben gesagt, ‚Die haben Touristenstatus, wir sind nicht zuständig‘ — und da kannst du dann nur Gespräche führen unter dem Motto: ‚Heh, da stehen 20 bis 30 Leute auf der Straße!‘ Dann Dolmetsch organisieren, die Bettellobby informieren, Netzwerken, Schauen, daß Leute vor Ort sind — und dann kannst du weiter recherchieren, wer waren die Spekulanten und wo haben die weitere Häuser?
Und: Wie geht man um mit Obdachlosen aus nicht anspruchsberechtigten EU-Ländern? Macht man jetzt mal ein Notfallspaket? Wäre es nicht besser Streetwork statt Polizei einzusetzen? Wäre es nicht besser, für Obdachlose die eine Hacken haben, sich aber keine teuren Wohnungen leisten können, da Möglichkeiten zu schaffen. Mein Job ist zu schauen, daß da was weitergeht und deswegen muß ich mit allen Beteiligten Gespräch führen.
Und jetzt stell ich dir mal eine Gegenfrage: Warum schaffst es du nicht zu differenzieren? Warum sagst du nicht bei den Grünen da und da war es in Ordnung, was sie gemacht haben, und da und da erhöhe ich den Druck? Weil ohne den Druck kann ich keine Sozialpolitik machen. Ohne daß ich mich vernetze, daß diese Sachen überhaupt Thema werden, kann ich meine Politik nicht machen. Also unterstütze die Anliegen! Aber alles zu zerpflücken geht mir echt am Zager!

akin: Ich bin nicht dazu da, das Positive aufzuzeigen. Ich bin zum Nörgeln da, bejubeln könnt ihr euch schon selbst.

Birgit: Was heißt bejubeln? Wenn dir was wichtig ist, klink dich ein! Ich find es schon in Ordnung, an PolitikerInnen hohe Ansprüche zu haben, aber uns die Politik zu überlassen, ist Schwachsinn. Und ich sag dir noch was: Ich hab den Eindruck, daß die Menschen sich immer mehr ins Private zurückziehen. Diese Wirtschaftskrise, der zunehmende Druck auf die Leute führt dazu, daß die Menschen aufhören, Medien zu lesen und sich zu informieren. Die finden, daß eh alles ein Schas ist.

akin: Na, dann kommen wir doch mal zum Positiven — die Geschichte in der Mühlheimstraße. Da gibts ja die ‚Pizzeria Anarchia‘ — die sind in einem Haus gleich ums Eck von dem erwähnten Haus, das abgebrannt ist. Da sind ein paar Punks einquartiert worden, um die wenigen verbliebenen Mieter zu vertreiben, das hat allerdings nicht funktioniert, weil die sich mit ihren Nachbarn solidarisiert haben. Das Haus der Pizzeria und das abgebrannte Haus, das übrigens als Lagerhaus gewidmet war, gehören den selben Spekulanten. Und als du dich da bei diesen Geschichten so eingesetzt hast, haben die Punks dich ehrlich belobigt, daß du so toll gewesen währst, meinten allerdings, du solltest doch von den Grünen austreten.

Birgit: Bei dem was ich machen will, ist es niemanden geholfen, wenn ich aus der Partei austrete. Die Logik ist mir nicht ganz verständlich, was haben die Betroffenen davon, wenn ich aus der Partei aussteige?

akin: Ich verstehe voll und ganz, daß es darum geht, eine politische Operationsbasis zu haben. Meine Frage ist vielmehr: Wie gehts dir mit der Partei?

Birgit: Die Grünen stehen mir am Nähesten und dadurch habe ich natürlich auch viel Kritik. Wir sind ja kein homogener Haufen und sind nicht in allem einig. Jetzt zum Beispiel stört es mich irrsinnig, daß die Grünen für ein Berufsheer eintreten, was sie doch überhaupt noch nie getan haben…

akin: Also die Abschaffung des Bundesheeres haben die Grünen schon lange gestanzt!

Birgit: Die Grünen sind immer für die Abschaffung des Bundesheeres eingetreten. Ich hab eine Arbeitsgruppe geleitet, da haben wir das genau so festgeschrieben. Nächste Woche ist das Thema in der Landeskonferenz und wir kommunizieren das auch schon mit den Bundesgrünen. Und natürlich ärgert mich das. Zwölf Jahre bei der Gruppe für Totalverweigerung haben mich geprägt. Aber ich bin nunmal eine Grüne und ich kann nicht sagen, daß ich das alles super finde, aber ich stehe dazu.

akin: Also mir kommt ja vor, als wären die Wiener Grünen ziemlich eingeklemmt und hätten überhaupt keine Möglichkeit mehr, eine eigenständige Position zu vertreten. Denn zum Einen hängen sie zusammen mit der SPÖ, die klar signalisiert: ‚Bitte, das wird alles intern besprochen!‘ und zum Anderen mit der grünen Bundespartei, die dasselbe signalisiert. Viel hört man von euch an Positionen nicht mehr. Das ist mein Problem.

Birgit: Da hast nicht unrecht. Aber ich kann dir nicht helfen… (lacht.)

akin: Du hättest, wenn nicht vorzeitig gewählt wird, noch drei Jahre im Gemeinderat. Glaubst du, daß du nach diese Zeit weiter auf dieser Ebene arbeiten möchtest? Und wie kannst du dir vorstellen, daß das weitergeht mit den Grünen in der Landesregierung?

Birgit: Mich reißt es oft schon hin und her und manchmal ist es schon zäh. Es ist oft wie eine Gummiwand. Und das Budget ist irrsinnig knapp. Der Handlungsspielraum, wirklich zu gestalten! Zum Beispiel für leistbare Wohnungen, und zwar für die nächsten 10, 20 Jahre. Was kann man tun, daß uns die Gesellschaft nicht auseinanderbricht? Wo kann man ansetzen? Wie kommt man an die privaten Bauträger ran, daß die nach sozialen Kriterien bauen? Da gibts einfach noch viel an Herausforderung.
Es geht darum, daß die Leute Perspektiven haben! Das mag schon naiv klingen, aber dafür zahlt es sich aus. Manchmal gibts Rückschläge, manchmal knallt man ein bißchen heftiger auf die Nase. Aber dann steht man wieder auf, weil ich werde ja nicht fürs Jammern bezahlt. Ganz ehrlich: Solange es einen Sinn macht, werde ich das machen, sonst muß ich mich halt umdrehen und wieder etwas anderes machen. Aber es hat schon was, in einer Rolle zu sein, wo du Entscheidungen treffen kannst.
Aber in einem Punkt hast du natürlich recht: Wir Grünen müssen höllisch aufpassen, daß wir weiter sagen: ‚Dafür stehen wir, das sind unsere Ziele. Das eine haben wir erreichen können, das andere noch nicht. Aber das ändert nichts an unseren Zielen.‘ Da gibts eine Gefahr, daß wir zu sehr eingelullt werden im Alltag, darauf müssen wir aufpassen. Dafür haben wir dann Leute wie dich, die uns immer wieder drauf hinstoßen. (lacht.)

akin: Naja, jetzt hast Du ja einmal deinen O-Ton aus rein grüner Sicht in der akin. Ich danke dir für das Interview.


*

(1) Die neue Landesregierung kam Anfang 2011 stark in Kritik, weil der
Heizkostenzuschuss massiv gekuerzt worden war.
Siehe akin 1/2011, http://akin.mediaweb.at/2011/01/01heiz.htm

(2) Das Problem stellte sich im Wahlkampf 2010, also noch in der
Alleinregierungszeit der SPOe. Siehe akin 21/2010,
http://akin.mediaweb.at/2010/21/21obdach.htm

(3) Siehe auch diese Ausgabe, „Wenn in Wien ein Lager brennt“,
http://akin.mediaweb.at/2012/19/19pizza.htm

*

Das komplette 52minuetige Interview, in dem es auch um die
Aufregerthemen Cannabis-Legalisierung und Bezirkswahlrecht geht, ist
nachzuhoeren unter: http://cba.fro.at/63788

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s