Aus dem Archiv: Baustellenbesetzungen sind zivilrechtlich klagbar

Vorbemerkung: Mittels Anwaltsschreiben hat die Stadt Wien Gegner der Stadtstraße aufgefordert, die Demonstrationscamps in der Donaustadt sofort zu räumen. Ansonsten würden zivilrechtliche Klagen in Millionenhöhe drohen.

Eine solche Vorgangsweise ist nicht neu. Anfang der 1990er begannen erstmals Bauträger von ökologisch umstrittenen Maßnahmen Baustellenbesetzer zu verklagen. Ein OGH-Urteil bestätigte dann die Ansprüche der Bauträger. Bis auf wenige Ausnahmen beendete dieses Urteil die Praxis der Baustellenbesetzungen.

Diese Judikatur hat sich bis heute nicht geändert. Ein Artikel aus akin 25/1994:

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Bürgerliche Freiheiten/Prozesse:

Teure Barrikaden

Die Vorgeschichte ist dem akin-Publikum wahrscheinlich noch in Erinnerung: Im November 1989 ließ die Steirische Wasserkraft- und Elektrizitäts-AG (STEWEAG) trotz massiver ökologischer Bedenken einer Bürgerinitiative mit den Bauarbeiten für das Mur-Kraftwerk Zeltweg-Farrach beginnen. Das später als Fisching bekannte Projekt wurde jedoch von Öko-Aktivisten 2 Monate lang blockiert. Nach einer nachträglichen Einholung eines Gutachtens ließ die STEWEAG die Bauarbeiten vorübergehend einstellen und im Winter 1991/92 mit überarbeiteten Plänen erneut mit der Errichtung beginnen. Mittlerweile ist das Kraftwerk fertiggestellt.

28 Aktivisten wurden damals wegen Besitzstörung zu Geldstrafen zwischen 5000 und 10.000 Schilling verurteilt. Doch das war den Errichtern noch nicht genug. Denn die beauftragte Baufirma Gebrüder Haider verlangte von der STEWEAG die Bezahlung der entstandenen Stehzeiten und bekam auch das Geld. Die Elektrizitätsgesellschaft klagte daraufhin namentlich bekannte Demonstranten auf Ersatz dieser Kosten. Erst- und Berufungsgericht gaben der STEWEAG recht. Der Oberste Gerichtshof (OGH) schließlich bestätigte nun das Urteil des Kreisgerichts Leoben endgültig: Die Betroffenen müssen zahlen. So schlimm das im konkreten Fall für diese ist, als Präzedenzurteil stellt es einen besonders schweren Schlag gegen die außerparlamentarische Opposition dar. Doch der Reihe nach:

Am 30.11. waren die ersten Demonstranten auf die Baustelle gekommen. Vier von ihnen wurde dabei von der Polizei namentlich „erfaßt“. Auch am 1.12 waren unter anderem diese vier auf dem Gelände. Gegen sie richtet sich das jetzt gefällte Urteil. Lediglich für diese beiden Tage wurden sie zu einem Schadenersatz von öS 85.000 verurteilt. Zusammen mit den Zinsen und den Verfahrenskosten macht das eine Gesamtschuld der Aktivisten von öS 160.000,- aus. Die STEWEAG machte sogar einen finanziellen Verlust von öS 675.000 geltend. Da die Blockaden insgesamt zu 2 Monate Stehzeit führten, konnte den Verurteilten nur ein Teilbetrag berechnet werden. Bei der Summe handelt es sich allerdings nicht nur um den Schadenersatz für die Stehzeiten der Baufirma Haider sondern auch „für Regiearbeiten zur Beseitigung von Absperrungen und für den Abbruch einer von den Demonstranten errichteten Blockhütte“.

Der Einwand der nunmehr Verurteilten, sie hätten an einer nicht untersagten Versammlung teilgenommen, sei für das schuldhafte Verhalten der Demonstranten unerheblich, so der OGH. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, daß die Beklagten in das „absolut geschützte Eigentumsrecht der klagenden Partei eingegriffen“ hätten. Außerdem schließe das Versammlungsrecht „nicht das Recht ein, ohne Einwilligung des Eigentümers fremde, nicht dem Gemeingebrauch gewidmete Liegenschaften zu benützen. Die fehlende Genehmigung kann daher privatrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“

Die Menschenrechtskonvention schütze — so der OGH — nur „friedliche“ Versammlungen. Eine zum Zweck der Behinderung durchgeführte Versammlung könne jedoch nicht als „friedlich“ verstanden werden.

Weiters führt das Höchstgericht aus: „Die Versammlungsfreiheit ist kein Rechtfertigungsgrund für Rechtsverletzungen, geschweige denn darf sie mit einem (übergesetzlichen) Widerstandsrecht verwechselt werden. Das verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter eingegriffen wird. … Von einer Überordnung des Versammlungsrechtes gegenüber dem Eigentumsrecht kann somit nicht gesprochen werden.“ Da die Vorsätzlichkeit des Handelns nach Ansicht des OGH nachweislich gegeben war, müsse von einem schuldhaften Verhalten der Beklagten gesprochen werden.

Auch die nachträgliche Rechtfertigung der Blockaden hilft hier also nicht weiter. Aufgrund der Aktionen vor Ort war ja die STEWEAG bereit gewesen, ein Gutachten anfertigen zu lassen, in Folge der darin formulierten Kritik die Arbeiten für 2 Jahre einzustellen und die Pläne in der Zwischenzeit zu ändern. So gesehen wäre ja die tätliche Kritik der Aktivisten berechtigt gewesen. Denn ein verwaltungsrechtliches Verfahren zu Erreichung einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätte zuviel Zeit in Anspruch genommen. Anwalt Thomas Prader in seinem Revisionsantrag vor dem OGH: „In der Zwischenzeit wäre das Kraftwerk längst gebaut worden und es stellt sich aus diesem Blickwinkel das außergerichtliche Tätigwerden als rechtmäßig dar“.

Durch die nun erneuerte Absage an ein Widerstandsrecht durch den OGH sind aber auch Handlungen, die gesetzt werden, um größeres Unheil zu vereiteln, ungesetzlich.

Anwalt Prader mahnte für seine Klienten auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Er zieht dazu einen Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichtes heran: „Der Schutz des privaten Rechtsgutes kann und muß umso mehr zurücktreten, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung in Verfolgung eigennütziger Ziele, (…) sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.“ Doch der OGH ist anderer Meinung: „Wie sich aus Art. 13 Staatsgrundgesetz deutlich ergibt, muß es sich um die Äußerung der Meinung durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung handeln. Damit hat aber die Ausübung von Zwang auf andere nichts zu tun“. Wie in unserer plutokratischen Medienlandschaft jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung anders als durch die bekannten „spektakulären“ Störaktionen gewährleistet werden soll, erwähnt der auf rein rechtliche Kategorien orientierte OGH natürlich nicht.

Dennoch: Daß dieses Urteil irgendwann einmal passiert, war eigentlich zu erwarten. Während in der BRD Schadenersatzklagen gegen Blockierer zum Alltag gehören, hatte man hierzulande davon Abstand genommen, obwohl die Rechtslage kaum ein Risiko für den Kläger bedeutete. Anwalt Prader, der mit derlei Materie doch schon recht viel Erfahrung gesammelt hat: „Das war überhaupt das erste Mal, daß ich von so einer Klage gehört habe“.

Meistens waren es doch staatliche Stellen, deren Eigentumsrechte verletzt wurden. Es schien nicht im staatlichen Interesse gewesen zu sein, ökologischen Widerstand nach Hainburg weiter zu radikalisieren. Daß nun die — sich in öffentlicher Hand befindliche — STEWEAG diesen Schritt getan hat, kann auch auf das dortige Management zurückzuführen sein. Es ist jedoch möglich, daß der Staat die Reste der in den Neunzigern ausklingenden ökologischen Basisbewegungen attackieren möchte, da er sich nicht mehr viel Widerstand erwartet. Schließlich ist der Großteil der Ökologiebewegung mittlerweile professionalisiert und institutionalisiert. Die wenigen, die nicht umarmt werden konnten, können nun mittels materieller Repression mundtot gemacht werden.

Das Urteil ist somit eine demokratiepolitische Katastrophe. Der OGH konnte — außer in Detailfragen — bei der bestehenden Rechtslage aber kaum anders entscheiden. Der Skandal ist die Vorgangsweise der STEWEAG, zu klagen, vor allem aber das Fehlen eines Widerstandsrechts in der österreichischen Verfassung.

Der — nicht auf ökologische Belange zu beschränkende — direkte Widerstand, der jetzt noch überbleibt, wird vielleicht die Taktiken des zivilen Ungehorsams ad acta legen und sich anderer Mittel bedienen. Diese Formen dann mit Hilfe des Strafrechts zu verfolgen, wird der Obrigkeit kein Problem mehr sein. Im Gegenteil, sie wird diese Formen wieder als Rechtfertigung verwenden können, den Polizeistaat vorantreiben zu können.

Vielleicht hat diese Vorgangsweise herrschaftlicher Institutionen nicht einmal Methode. Das ändert aber nichts an den absehbaren Konsequenzen, sollten weitere Klagen dieser Art folgen.

Was zu erwarten ist. Der OGH ist die letzte österreichische Instanz. Bei den Kraftwerksgegnern überlegt man noch den „Gang nach Straßburg“ zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, glaubt aber selbst nicht mehr recht an die Sinnhaftigkeit dieses letzten juridischen Mittels. Damit findet der Spruch Eingang in die Judikatur und ist in den nächsten Ausgaben der einschlägigen Rechtslehrbücher nachzulesen…

Bernhard Redl

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