Corona Cancel Culture

In eigener Sache: Warum den Redakteur ein Abo-Storno dermaßen aufregt, daß er einen Leitartikel dazu verfassen muß. Und eine dringende Bitte um langatmige Diskussionsbeiträge! (akin-Printausgabe 2/2022)

Seit zwei Jahren ist die Welt im Panikmodus. Österreich ist da keine Ausnahme. Da es aber natürlich vor allem ein Problem ist, wo von der Politik Antworten gefordert werden, ist es auch in den jeweiligen Ländern vor allem eine nationale Angelegenheit. Die Auseinandersetzung findet zwar global statt, aber in den einzelnen Staaten sind die Akteure die selben, die schon vorher da waren. In den sich als Demokratien verstehenden Staaten sind das — mit lokalen unterschiedlichen Ausprägungen, wo man oft genug nicht weiß, wer wer ist — die konservativen, sozialdemokratischen, liberalen und nationalistischen Parteien sowie die diversen Ökoversionen davon, die Religionsvertreter, die Beamten, die NGOs, die Wissenschafter aller Disziplinen, die Konzerne, die parteilosen Oppositionellen und Wutbürger und Verschwörungsphantasten und die Massenmedien. Und alle beschäftigen sich seit zwei Jahren hauptsächlich mit Corona-Fragen, jeweils mit ihren gewohnten Herangehensweisen und Welterklärungsmodellen, und viele mißbrauchen diese Debatten auch. Die Süppchen, die da auf der lodernden Flamme der Pandemie gekocht werden, sind aber so ziemlich alle grauslich.

Unmutsverschuldung

Daher ist es auch kein Wunder, daß hinter jedem Statement nicht der Inhalt dessen sondern etwas Anderes als Beweggrund vermutet wird — oft sogar zu Recht. Für jedes Argument gilt die Schuldvermutung. Auch das ist zwar nichts Neues in der öffentlichen Auseinandersetzung, mit Corona aber wurde das auf die Spitze getrieben. Dazu kommt, daß man vielleicht als Einzelner noch die Seuche an sich ignorieren konnte, die Maßnahmen dagegen aber jeden betreffen, was die Debatte weiter anheizt, weil sich jeder damit auseinandersetzen und letztlich auch positionieren muß. Damit ist aber ein seriöser öffentlicher und auch privater Diskurs so gut wie unmöglich geworden.

Das hat aber auch damit zu tun, daß hier sehr viele Ebenen gleichzeitig behandelt werden, die wohl getrennt werden müßten. Man kann prinzipiell für Impfungen sein, aber diesen konkreten Impfstoffen mißtrauen. Man kann ihnen auch mißtrauen, wenn man nicht glaubt, daß man dadurch genverändert, gechipt oder magnetisiert wird. Man kann generell Wissenschaftern vertrauen, aber schon auch fragen, welche Wissenschafter für wen arbeiten. Man kann prinzipiell der Medizin vertrauen, aber man kann schon noch nachfragen, ob die Mediziner das Recht haben, ihre Wissenschaft als für die Gesellschaft einzig relevante anzusehen. Und man kann ihr mechanistisches Weltbild kritisieren, ohne irgendwelche homöopathischen Strahlungsausleiter oder das Wurmmittel des Gaulreiters für Alternativen zu halten. Es kann einem bei den Nazis auf den Demos das Kotzen kommen, man kann diese Demos aber trotzdem für notwendig halten. Man kann auch die Maßnahmen prinzipiell für richtig halten, aber skeptisch sein, ob sie nicht gerade jenen gesellschaftlichen Zusammenhalt ruinieren, der da von Regierungsseite beschworen wird — nationale Schulterschlüsse brauchen bekanntermassen immer unsolidarische Volksverräter. Da kann man sich auch Sorgen darüber machen, welche psychischen und kulturellen Folgen das alles zeitigt. Man kann sogar für eine Impfpflicht sein und Faschismus-Vergleiche für daneben halten, trotzdem aber vor der Gewöhnung an autoritäre Tendenzen warnen.

Nein, Faschismus ist das noch lange nicht, aber…

Und so weiter und so fort. Gerade was Letzteres angeht, sind in Österreich besonders in diesen Tagen Tendenzen zu beobachten, die diskutiert werden müssen. Da gibt es eine Regierungsumbildung, wo ein ehemaliger Berufsoffizier Bundeskanzler wird und man dessen Nachfolger im Innenministerium als Austrofaschismusleugner titulieren muß. Es wird eine Kommission namens GECKO ins Leben gerufen, die eine Art Nebenregierung bildet, und explizit dazu aufgerufen ist, als „Hilfestellung“ für die Polizei „Richtlinien“ zu erarbeiten, welche Demonstrationen zu untersagen seien. In dieser GECKO bestimmt ein aktiver Generalmajor aus dem Abwehramt, der im Flecktarn auftritt und, seinem Vokabular nach zu urteilen, eine Impfspritze nicht von einem StG77 unterscheiden kann. Da tritt eine grüne Klubchefin auf, die verkündet, daß man bei einem unbotmäßigen Mandatar bereits „die Konsequenzen gezogen“, sprich: diesen aus dem Amt entfernt habe. Ebenjene Klubchefin erklärt auch, daß bei der Abstimmung über die Impfpflicht es in der Nationalratsfraktion keinen Klubzwang gäbe, aber eh alle einer Meinung seien — da fragt man sich schon, ob das was mit so problemlos ziehbaren „Konsequenzen“ zu tun habe. Da brechen demokratische Dämme, die nach Corona nur sehr schwer wieder zu errichten sein werden, wenn überhaupt daran das Interesse noch vorhanden sein sollte. Und eben genau das: Gewöhnen dürfen wir uns an derlei wirklich nicht!

Kein Leserbrief

Ja, der Verfasser dieser Zeilen und Redakteur dieses Blattes hat in eben diesem sehr viel Kritik an der Regierungspolitik und der offiziellen Erzählung geübt und zugelassen. Vielleicht war diese Kritik bisweilen überzogen — in diesen hysterischen Zeiten, wo die vielbemühten Evidenzen unsicher sowie die Interessenslagen vielfältig sind, ist das auch kein Wunder. Und ich hätte diese Dinge auch gerne in diesem Blatt diskutiert — aber offensichtlich ist die Linke in diesem Land genauso diskussionsunfähig geworden wie der Rest der Bevölkerung.

Was die akin hingegen jetzt bekommen hat, ist ein Abo-Storno, begründet mit der Corona-Berichterstattung und -Kommentierung. Ein Storno kommt schon mal vor, in diesem Fall aber bat ich den Stornierer darum, seine Begründung als Leserbrief abdrucken zu dürfen. Das allerdings möchte der Briefschreiber nicht, weil er nicht als „Feigenblatt“ fungieren möchte. Das heißt für die akin und für mich: ‚Wir wollen solche Sachen nicht lesen und auch nicht darüber diskutieren. Haltet einfach euer Maul!‘ Vor allem, wenn ich dann über Umwege erfahre, daß jener Briefschreiber dieses sein Abo-Storno sehr wohl verbreitet wissen wollte — über einen eigenen Verteiler, was ich nur als Werbung dafür verstehen kann, es ihm gleich zu tun. Sorry, das ist Cancel Culture at his worst!

Die akin versteht sich immer noch als Diskussionsorgan und so etwas ist gerade heute, wo nur mehr schnell herausgeschossene Debattenbeiträge mittels schimpfwortgeschwängerten Einzeilern in Facebook passieren, einfach notwendig. Derlei Plattformen tun aber auch deswegen Not, weil nicht nur wegen Corona Diskussionen von Angesicht zu Angesicht kaum mehr passieren — sowas findet nur mehr im Fernsehen statt, aber eben nach den Regeln dieses Mediums und nur unter den als vom jeweiligen Sender als relevant angesehenen Promis und Experten. Und das kann man halt nur konsumieren und nicht mitreden.

Ja, vielleicht ist das akin-Konzept aus der Zeit gefallen und der Redakteur ein Kommunikations-Dinosaurier, der langatmige textbasierte Analysen und Debattenbeiträge für notwendig hält und lustige Youtube-Videos nicht. Aber ich bitte die geneigte Leserschaft darum, sollte ihr das so sehen wie ich, dann antwortet doch mit abdruckbaren Texten auf Dinge, die ihr in der akin lest und für falsch haltet. Bitte und Danke!

Bernhard Redl


PS: Andere Medien, andere Umgangsformen. Im Radio muß es halt deftiger sein. Wer den Redakteur einmal so richtig grantig hören möchte, dem sei der Podcast „Schallmooser Gespräche #209: Lauter (,) Trotteln!“ ans Herz gelegt. Da ist auch viel Wut-, Grant- und Spottmusik zu hören, über die man sich noch mehr ärgern kann, wenn man möchte: https://cba.fro.at/537236
Nebenbei sei hier auch noch jene grüne Plattform erwähnt, die Alternativen zur herrschenden Coronapolitik fordert. Auch die könnte in der akin gerne jemand kritisieren:
https://www.corona-strategie.at

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s