Derzeit ist wieder säkulare Bibelexegese angesagt
[aus akin-Druckausgabe 6/2022]
Historische Vergleiche sind ja generell ein ziemlicher Topfen. Aber sie sind so praktisch — weil es gibt ja das Diktum, daß man aus der Geschichte lernen solle. Nur leider will kaum jemand was aus der Geschichte lernen, aber alle verwenden sie als Steinbruch, um Wurfgeschosse gegen diejenigen zu haben, die angeblich nichts aus der Geschichte lernen wollen. Hat man früher auch mit der „Heiligen Schrift“ gemacht, mit der läßt sich ja auch so jedes Verbrechen und jeder Blödsinn legitimieren. Geschichtsbücher sind heutzutage fast so etwas wie säkulare Bibeln.
Was da jetzt an Vergleichen auftaucht, ist natürlich abenteuerlich. Natürlich darf der Klassiker nicht fehlen: Der Hitlervergleich! Eh klar, ohne den geht es nicht. Präsentiert unter anderem von Wolf Biermann, der es eigentlich besser wissen müßte. Nicht nur wegen der Relativierung des Naziregimes, sondern auch, weil mit diesem Vergleich jede Diskussion beendet ist. Aber das ist ja wohl auch der Zweck von Hitlervergleichen. Paßt ja auch super, das Minsker Abkommen ist natürlich das von München, Chamberlain und Daladier heissen heute wahlweise Obama, Biden, Merkel, Macron oder von der Leyen. Luhansk und Donezk sind das Sudetenland und die Krim ist Österreich. Okay, Österreich war nicht Teil der Tschechoslowakei, sondern früher eher umgekehrt, aber es geht doch nur darum, was an Vergleichen möglich ist, den Rest können wir ja gnädig übersehen. Selenskyj wäre dann vielleicht Benesch? Nein, ich bastel mir was Besseres: Dollfuß! Oder Schuschnigg? „Mit einem deutschen Wort: Gott schütze Österreich!“ Oder eben „Slawa Ukraini“.
Okay, wollte nur mal zeigen, daß ich auch deppat sein kann. Historisch ist das natürlich kompletter Unsinn. Das, was aber immer gleich ist: Mit irgendeiner Parole muß man eine Fahne hochhalten, für die man anlaßbezogen arbeiten oder sterben soll und wo man dann an Soldatengräbern weinen darf. Deswegen werden jetzt hierzulande niederösterreichische Landesflaggen zweckentfremdet und so mancher weiß endlich, wozu er sich einstens einen Fanschal der Vienna zugelegt hat. Alles, was zumindest Linke eigentlich wirklich aus der Geschichte gelernt haben sollten, nämlich, daß Patriotismus immer gefährlicher Unfug ist, ist bei vielen schon wieder vergessen. Aber da waren wir ja schon immer anfällig: Wenn es um irgendeinen existierenden oder auch nur postulierten Staat geht, mit dem man solidarisch sein soll, packen wir irgendwelche Nationalflaggen aus — und prügeln dann beispielsweise mit Israel- und Palästinawimpeln zumeist verbal und bisweilen auch real gegenseitig aufeinander ein.
Putin sagt, die Ukraine sei ein erfundener Staat — großes Tamtam, das stimme ja überhaupt nicht. Aber ist nicht jeder Staat erfunden? Irgendwelche Armeen haben irgendwann irgendwelche Grenzen erkämpft. Oder es wurden Imperien zusammengeheiratet, tu felix austria nube, eh scho wissen. Wie das dann genau ausschauen soll mit den Vaterländern mußte dann aber noch ausbaldowert werden. Fürsten, Kanzler und Feldherren haben sich über Landkarten gebeugt und Striche darauf gemalt. Dann wurden entlang dieser Striche in der wirklichen Welt Schilder aufgestellt und Schlagbäume errichtet und die so eingezäunte Bevölkerung sollte stolz auf diese territoriale Verwaltungseinheit sein und wenn nötig, sie mit ihren Blute verteidigen. Sie weiß zwar nicht wieso, aber das muß sie ja auch nicht.
Das ist nämlich genau das mit dem gerade jetzt wieder so gerne zitierten Völkerrecht, das nie eines war. Im Krieg stehen ja nicht irgendwie definierte Völker gegeneinander, sondern Staaten und Armeen. Das jeweilige Staatsvolk ist nur dazu da, die Soldaten für diese Kriege zu stellen. Das Völkerrecht stammt aus einer Zeit, wo die Verhandlungen abliefen zwschen absolut regierenden Fürsten, die nicht ihren Staat oder dessen Bevölkerung repräsentierten, sondern selbst der Staat waren. Dann kam die an sich revolutionäre Idee mit dem Nationalstaat und die führte letztendlich dazu, daß mangels einheitlicher jeweiliger Nation passend gemacht wurde, was nicht paßte: Man bastelte sich einfach Staatsnationen — egal, ob das Tiroler waren, die zu Italienern mutierten, oder Kurden, die sich als Bergtürken wiederfanden, oder Serben und Kroaten und Bosnier, die plötzlich drei verschiedene Sprachen zu sprechen hatten. Lustig war sowas in der Geschichte selten, höchstens bei den Norwegern, die weder Schweden noch Dänen sein wollten, und deswegen daran gingen, sich eine eigene Nationalsprache zu basteln. Leider konnten sich die Staatsphilologen nicht einigen und so hat heute Norwegen zwei Nationalsprachen — beide sind Norwegisch und eigentlich eh Dänisch. Was man aber einem Norweger niemals sagen sollte.
Daher also die Vorstellung logisch-organischer Staatsgebilde. Deswegen gehört ja auch Südos-setien weiterhin zu Georgien, während der Kosovo ein souveräner Staat ist. Völkerrechtlich! Zumindest laut der „Internationalen Gemeinschaft“.
Zurück zum akuten Fall: Neben Fahnen, Hymnen, Nationalsprachen und viel Geschichtsklitterung braucht es natürlich auch Nationalhelden, wie hier etwa Stepan Bandera, zu dessen Ehren nicht nur Denkmäler in der Ukraine errichtet worden sind, sondern (unter der Präsidentschaft des vom Westen so geliebten Juschtschenko) 2009 auch eine Sonderbriefmarke der ukrainischen Post aufgelegt worden ist. Ich stelle mir gerade vor, in Österreich hätte es nach 1945 eine solche Briefmarke mit dem Konterfei von Dollfuß gegeben (und nicht nur 1934 unter Schuschnigg).
Wie gesagt: Historische Vergleiche sind immer Unfug, aber wenn die anderen spinnen, darf ich das auch. Schließlich habe ich neulich auf Facebook den interessanten Vergleich gelesen, daß die diversen Hilfswilligen aus allen möglichen EU-Staaten, die jetzt — mit dem Segen ihrer Heimat- resp. Vaterländer — in die ukrainischen Armee eintreten, doch nichts anderes wären als die Interbrigadisten in Francos Spanien. Dann sind das wohl alle internationalistische Kommunisten, Sozialisten oder Anarchisten. Und die Interbrigaden selbst wären sowas wie das Asow-Regiment, das sich gerne mit Nazirunen schmückt und in deren Reihen dem Vernehmen nach diese Krieger aufgenommen werden sollen. Selenskyj wäre dann wohl Durruti.
Spannend auch, daß die ersten dieser jetzigen Krieger ausgerechnet aus Lettland und Kroatien mobilisiert wurden — uh, Soldaten aus gerade diesen Ländern als Hilfstrupp einer fremden Macht im Kampf gegen Rußland, na servas, die historischen Vergleiche, die mir da einfallen, möchte ich eigentlich gleich wieder vergessen.
Aber bei uns in Wien ist da ja nicht so. Bei uns demonstriert man nicht mit Nazis. Hats zumindest bei den Corona-Demos geheissen. Bei den Ukrainedemos hingegen kann man über die hinwegsehen. Sind ja nur ein paar. Außerdem eh eigentlich gar keine wirklichen. Und mit „Ruhm der Ukraine“ hat ja nicht nur Bandera gegrüßt, sondern das ist viel älter und jetzt dadurch, daß die demokratische Armee der freien Ukraine das als offiziellen Bannerspruch hat, von allem Faschistischem gereinigt. Und Patriotismus ist ja an sich nichts Schlechtes. Oder so.
Überhaupt heißt es jetzt, eben wie bei Corona: Zusammenhalten! Wie sagte der Bundeskanzler? „Es gibt Krieg in unserer Nachbarschaft und wir begegnen uns heute hier aus meiner Sicht im Hohen Haus nicht als Vertreter von verschiedenen Fraktionen mit verschiedenen politischen Interessen, sondern geeint, mit einer Stimme für das Sicherheitsinteresse der Republik Österreich.“ Also da tuts mir leid, da muß ich doch nochmal historisch werden: „Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche. Zum Zeichen dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Stammesunterschiede, ohne Konfessionsunterschiede durchzuhalten mit Mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und Mir das in die Hand zu geloben.“ Das Protokoll der Reichstagsitzung vermerkte nach dieser Rede von Kaiser Wilhelm am 14. August 1914 „langanhaltendes brausendes Bravo“.
Da kann man ja wirklich schon froh sein, wenn Nehammer jetzt meint, daß wir unsere von den Russen aufgezwungene Restneutralität noch bewahren dürfen. Zumindest solange, solange es keine anderen Verfassungsmehrheiten im Parlament gibt.
Bernhard Redl