[Aus der Printausgabe 9/2022]
Wenn man sich die aktuellen Meldungen so anschaut, stellt man fest, daß offensichtlich Nazis von allen Seiten die jeweils andere Seite entnazifizieren wollen. Kaum ist irgendwo ein Akteur zu finden, der nicht von irgendwem als Faschisten angesehen wird. Aber was heißt das eigentlich?
In Österreich und Deutschland ist „Nazi“ zumindest einigermassen im Strafrecht definiert – so ungefähr als Wiedergänger des historischen Nationalsozialismus, also mit eindeutigem Hitler-Bezug. Je weiter weg man vom deutschsprachigen Gebiet kommt, desto schwammiger wird der Begriff genutzt.
„Faschist“ ist hingegen überhaupt nur mehr ein Kampfbegriff. Faschismustheorien und -definitionen gibt es wie Sand am Meer und fast alle haben Allgemeingültigkeitsanspruch. Die helfen uns in den medialen Auseinandersetzungen aber ohnehin nicht weiter. Die Faschisten, das sind die Anderen, könnte man in einer Sartre-Paraphrase sagen. Oder mit Popper die Intoleranten, die man nicht tolerieren dürfe. Und während bei Popper historische Nazis und Stalinisten in Bausch und Bogen abgehandelt wurden, war es spätestens bei Walter Ulbricht der „Antifaschistische Schutzwall“, der die Rolle der Faschisten dem politischen Westen zuwies.
Im aktuellen Krieg haben wir es vor allem mit Nichtdeutschen zu tun, die auf Hitlerfans machen. Aus Rußland kommt die Söldnertruppe der „Gruppe Wagner“, begründet von einem russisch-ukrainischen Neonazi, der sich gerne mit Hakenkreuzen und SS-Runen schmückt und nach dessen Kampfnamen dieser paramilitärische Söldnertrupp benannt ist. In der Ukraine haben wir die Asow-Brigaden, die dieselben Symbole verwenden. (Daneben gibts noch ein belarussisch dominiertes Bataillon auf Seiten der Ukraine, das auch nicht ganz koscher ist.) Wir hätten da also nicht nur ethnische Russen und Ukrainer, sondern einen ganzen Haufen Angehöriger aller möglicher (wie auch immer definierter) Nationen, die da etwas spät für das Dritte Reich kämpfen – und zwar gegeneinander. Man verzeihe mir, wenn ich das nur mehr mit einem ungläubigen „Hääää?“ quittieren kann. Dazu kommt, daß die Asow-Brigaden von einem israelisch-ukrainischen Oligarchen begründet worden sind und stolz darauf, daß auch Juden in der Einheit kämpfen. Wird zumindest von den Paramilitärs behauptet. Und dokumentiert sind auch Kämpfer, die sich nicht ganz sicher waren, ob sie jetzt lieber der ukrainischen oder der russischen Seite anschliessen wollen.
Sicher, auch schon der historische Nazismus hat sich Hilfswilliger slawischer, baltischer oder sonstiger Volksidentität bedient – siehe Bandera oder lettische SS -, schwer verständlich bleibt es trotzdem, wenn heute Männer, die sich definitiv nicht als Deutsche verstehen, mit Batches herumlaufen, auf denen bspw. „German-SS“ steht. Eine explizit deutsche Nazi-Ideologie kann dahinter nicht stehen, eher sowas wie der quasi erlebnispädagogische Ansatz des italienischen Faschismus, der ja nur eine rudimentäre Ideologie besaß, und eher aufgestellt war nach dem Motto: Sei ein harter Kerl, der für irgendwas kämpft um des Kämpfens Willen. Nation und Ideologie sind da austauschbar. Hauptsache, es fließt Blut und man steht nicht als Mörder, Plünderer und Vergewaltiger da, sondern als stolzer Krieger.
Genau da hakt es. Wo ist denn da der Unterschied zu anderen Armeen? Als Tucholsky schrieb, daß Soldaten Mörder seien, war das noch am Vorabend von Hitlers „Machtergreifung“ und gemeint hatte er die Soldaten des Ersten Weltkriegs. In welchem Krieg kam es denn nicht zu dem, was heutzutage so unter „Kriegsverbrechen“ läuft? (Derlei wurde ja in noch früheren Kriegen sowieso nur thematisiert, wenn es militärisch oder politisch zu Problemen führte und die Effizienz der Kriegsführung behinderte.)
Da gibt es immer diese Imagination der demokratischen, menschenrechtsbeflissenen Armeen, die nur militärische Ziele attackieren, quasi den ritterlichen Krieger, der sich auf offenem Feld in fairem Kampf seinen Gegner stellt, oder im Wilden Westen auf der Main Street ein Duell bestreitet. Und natürlich auch noch für das Gute kämpft, dessen Sinn er sich vollends bewußt ist. Der ist natürlich kein Nazi. Blöderweise gibt es den nicht.
„Die russische Armee ist ein Gefängnis“ las ich neulich eine Schlagzeile. Glaub ich sofort! Aber wenn Wolfgang Ambros in einem Lied über das österreichische Bundesheer meint „Es ist so wia im Häfn!“ hat das wohl auch einen Grund. Oder wenn man in Kubricks „Full Metal Jacket“ das Verhalten des Schleifers sieht, wie er versucht, aus Menschen explizit Kampfmaschinen zu formen, die keine Fragen stellen, sollte man bedenken, daß sich das Kubrick nicht einfach ausgedacht hat, sondern daß das auch deswegen der Wahrheit so nahe kam, weil der Darsteller des Drill Sergeants tatsächlich ein echter Schleifer der US-Armee war.
Aber Nazis oder Faschisten sind das selbstverständlich alle nicht, eben, weil sie sich nicht auf Hitler berufen. Sondern lupenreine Demokraten, ordentliche Bürger in Uniform.
Es stellt sich nur die Frage, ob man den Übergang von Militarismus zu Faschismus wirklich dort festmachen sollte, wo diese Krieger anfangen, sich mit Nazisymbolen zu schmücken.
Bernhard Redl