Iran: Die Sache mit der Souveränität

Mit welcher iranischen Opposition wird der Westen wohl diesmal solidarisch sein?

[Aus der Druckausgabe 23/2022]

Die Berichterstattung über den Iran und speziell jetzt die aktuellen Proteste hat zwei Defizite. Zwei fundamentale Fragen werden da nicht gestellt. Erstens: Wieso ist dieses grausliche politische System nach immerhin 43 Jahren immer noch so stabil? Zweitens: Was kann danach kommen?

Die Geschichte des Irans im 20. Jahrhundert ist ja recht verzwickt, vor allem deswegen, weil sie voll von Interventionen wirtschaftlicher, diplomatischer, geheimdienstlicher und offen militärischer Art war. Federführend waren da immer die kolonialistischen und imperialistischen Kräfte — egal welchen formalen Selbstverständnisses und ob direkt oder über Vasallenstaaten. Und meistens ging es da um die Bodenschätze, vor allem eben um das Öl. UK und USA haben da immer gerne reinregiert, aber auch Nazi-Deutschland und die Sowjetunion, und später auch die BRD und Frankreich. Demokratische Zustände im feudalen Persien hatten nie eine Chance und waren auch nie das Anliegen dieser Interventionsmächte. Allerdings war es zeitweilig von den westlichen Mächten schon gewünscht, daß es zumindest irgendwie nach Demokratie aussieht. Das war schon beim Sturz von Premier Mohammad Mossadegh so, der beileibe kein Demokrat war, dessen Verbrechen aber das konsequente Beharren darauf war, daß die iranischen Bodenschätze auch dem Iran gehören. Nach der Operation Ajax, mit der die CIA 1953 dem Schah die Rekonstruktion des Feudalismus erlaubte, hatte man aber ein massives Problem. Denn im Iran empfand die Bevölkerung die faktische Alleinherschaft des persischen König nicht gerade als Fortschritt. Das war dem Westen lange Zeit sehr egal. Als aber das System von einer sozialistisch orientierten Revolution hinweggefegt zu werden drohte, setzten sich die westlichen Mächte wieder zusammen, und schickten Ruhollah Chomeini hin — in der Hoffnung, er würde den Iran wieder stabilisieren. Das Ergebnis ist bekannt.

Die Islamische Republik hat sich tatsächlich als antiimperialistisch herausgestellt — in einer Art, die fortschrittlich und menschenrechtsfreundlich gesinnten Menschen nicht gefallen kann, aber nach all den Interventionen das System politisch stabil gehalten hat. Es ist ähnlich wie bei höchst unterschiedlichen Regimen wie Castros Cuba, Titos Jugoslawien, Gaddafis Libyen oder Hoxhas Albanien — nach vielen Jahrzehnten Kontrolle durch imperialistische und neokolonialistische Mächte konnten sich Systeme stabilisieren, die Souveränität lebten und sich höchstens Verbündete suchten, von denen keine unmittelbare Gefahr drohte: Weder hätte die Sowjetunion jemals in Cuba einmarschieren können noch China in Albanien.

Instabil werden solche System zumeist erst, wenn der große Oberzampano stirbt oder es doch wieder von außen konsequent durchgezogene militärische Interventionen gibt — oder aber soviele Jahrzehnte ins Land gezogen sind, daß die maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte die Fremdherrschaften nur mehr aus Schulbüchern kennen. Genau das ist aber jetzt im Iran der Fall: Wer noch die Folterkeller des Schah-Geimdienstes Savak er- und überlebt hat, geht zumindest schon auf die 70 zu. Der Großteil der Bevölkerung kennt nur die Islamische Republik als politisches System.

Die Protestierenden heute im Iran wissen, was sie nicht mehr wollen. Hier im „freien Westen“ ist die veröffentlichte Meinung klar, daß der protestierende Teil der Bevölkerung im Iran ein ähnliches System wolle, wie wir es haben. Unausgesprochen dabei bleibt, daß es eher eines sein soll, das der NATO wohlgesonnen ist, das Atomprogramm beendet und Öl zu günstigen Konditionen liefert. Die Führung im Iran ist wohl immer noch der Meinung, die Proteste wären aus dem Ausland gelenkt — und vielleicht ist da sogar was Wahres dran, wenn man sich an 1953 oder auch eben an die Islamische Revolution selbst erinnert. Und es könnte auch sein, daß ein Niedergang des alten Regimes eben genau wieder eine Regierung hervorbringt, die von westlichen Mächten gewünscht ist aber nicht von den jetzt Protestierenden — man erinnere sich an den Arabischen Frühling in Ägypten und der darauf folgenden Militärdiktatur.

Solidarität mit den protestierenden Iranern und vor allem den Iranerinnen kann nur heißen, in Europa und Nordamerika deren Exil-NGOs zu unterstützen, aber gleichzeitig unseren Regierungen nahezulegen, doch bitte diesmal nicht irgendwem in diesem Land helfen zu wollen.

Bernhard Redl

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