Eine Medienschau über Klimaproteste und Streikdrohungen
[Aus der Druckausgabe 23/2022]
Da haben wir aber geschaut, als plötzlich Tarek Leitner „Im Zentrum“ leitete. Hat das was damit zu tun, daß Claudia Reiterer gerade ziemliche Probleme hat im ORF, nachdem sie bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer aufgetreten war und dort — im Sinne der Veranstalter — mit dem Protest der „Letzten Generation“ umgehen mußte und das halt nicht zusammenpaßt mit der Vorstellung einer neutralen Moderatorin?
Allerdings änderte das nichts an der Einladungspolitik des ORF, die dazu führte, daß da der „Investmentpunk“ Gerald Hörhan saß, um zum Thema „Streiks und hohe Inflation — Verdienen wir zu wenig?“ zu diskutieren. Da trat doch tatsächlich jemand auf, der für sich in Anspruch nimmt, einer rebellischen Jugendkultur anzugehören, aber in Wirklichkeit einfach nur sein Geld mit Spekulationen macht. Ein Mathematiker in schwarzer Lederjacke, der von Volkswirtschaft und Sozialpolitik keine Ahnung hat, vertritt da die Trickle-Down-Theorie. Einmal abgesehen davon, daß er für den Punk, einer der bis heute wirkmächtigsten und wertvollsten kulturellen Strömungen, eine einzige Beleidigung ist (So ist halt der Kapitalismus, der verwertet alles! Wie war das mit „kultureller Aneignung“?), hat jemand, der in seinem Leben noch nie irgendetwas Produktives zur Gesellschaft beigetragen hat, einfach nicht das Recht, davon zu reden, daß die Menschen produktiver sein und mehr arbeiten müßten, während die Steuern zu senken wären.
„Dafür muss man aber auch zuhören“
Dieses Verhalten entspricht aber genau dem von Harald Mahrer, der bei jenem WK-Event die Protestierenden der Letzten Generation aufforderte, sich doch anzuhören, was es für Ideen aus der Wirtschaft gäbe. Mahrer auf Facebook: „In einer vielfältigen Gesellschaft und Demokratie ist es wichtig, dass wir gemeinsam an unserer Zukunft arbeiten. Dafür muss man aber auch zuhören, zum Beispiel den Expert:innen, die heute zur Veranstaltung ‚Wärmewende made in Austria‘ gekommen sind, um ihre Erfahrungen, Ideen und Lösungsansätze zu teilen und zu diskutieren. … Das Gebot der Stunde heißt anpacken statt ankleben.“
Nein, Herr Mahrer, die jungen Protestierenden müssen sich das nicht anhören. Wer Macht hat, hat die Pflicht, den Protest hinzunehmen, und nicht das Recht, angehört zu werden. „Demokratie“ gibt es nur unter Gleichgestellten, das „Oben“ kann nicht glaubhaft machen, daß es mit dem „Unten“ auf gleicher Augenhöhe diskutiert.
Mittlerweile verrechnet die Polizei ja schon den Einsatz für den Verkehrshubschrauber den Straßenblockierern und Herr Klenk schreibt im Falter: „Der Klebe-Protest entzweit die Protestmasse und hat etwas klebrig Selbstgerechtes: Es geht den Aktivisten ja auch ein bisschen darum, sich auf Social Media moralisch gegenüber jenen Kleinbürgern zu erhöhen, denen die Rettung eines Klimtbilds oder die Verhinderung eines Staus angeblich wichtiger sei als die Rettung der Welt. Seht her, lautet die Botschaft, wir sind die Besseren, wir denken im größeren Rahmen — und daher bestrafen wir euch mit einem Stau. Und wir sind verzweifelte Opfer, also unangreifbar. Und wir schaffen es damit sogar in die Medien.“ Klenk tut das unter dem Titel „Nehmt die Kritik ernst“ und meint damit eben nicht die Kritik an der herrschenden Politik sondern eben die Kritik der herrschenden Politik an den zumeist jugendlichen Protestierenden. Ja, da bestimmt bei mir das Sein das Bewußtsein, oder besser das Gewesensein das Bewußtsein, als jemand, der auch schon Straßen blockiert und sich deswegen mit eben diesen rabiaten Kleinbürgern und der Polizei angelegt hat. Das ist rund 30 Jahre her, aber im Gegensatz zu Herrn Klenk weiß ich noch, wie sehr mir die guten Ratschläge von Menschen in seinem (oder meinem) heutigen Alter auf den Arsch gegangen sind. Wenn ich nicht gegen schwarze Pädagogik wäre, würde ich mir glatt wünschen, Armin Thurnher, sein publizistischer Papa, würde ihm die Ohren langziehen dafür!
Zurück zur Lohn-Streik-Debatte! An dieser Stelle muß ich Abbitte leisten — Johannes Rauch, den ich als einem der maßgeblichen Konstrukteure der aktuellen Koalition viel vorzuwerfen hätte, ist doch anscheinend einer der letzten verbliebenen Linken bei den Grünen. Dessen Statements bei „Im Zentrum“, daß Österreich sich wegen „Standortsicherheit“ keine Sorgen machen müßte, weil auch hochqualifizierte Kräfte lieber in einem Land arbeiten, in dem sie sozial abgesichert sind, oder daß Migration nichts Böses ist, oder daß wir uns bewußt sein müßten, daß unser Reichtum auf der Ausbeutung der Dritten Welt basiert, sind Dinge, die einem sogar diesen widerlichen Pseudo-Punk erträglich machen. Das ist eine Pragmatik guter sozialdemokratischer Prägung, wie man sie sich häufiger wünschen würde. Schade nur, daß dieser Minister wenig von seinen Überzeugungen umsetzen kann in reale Politik, weil die Arbeits-, Finanz- und Außenministerien eben in der Hand der ÖVP und die Rahmenbedingungen der EU halt neoliberal sind.
Lieb „Bitte“ und „Danke“ sagen!
Über Streiks wurde trotz des Titels der Sendung wenig geredet. Aber die diversen Zeitungskommentatoren zerrissen sich das Maul darüber, was den Eisenbahnern denn einfiele, einen ganzen Tag die Arbeit niederzulegen. Am Unterhaltsamsten war da noch der Leitartikel in der „Presse“ von Norbert Rief. Der meinte, daß es den Eisenbahnern eh nicht so schlecht ginge, weil: „Viele mittelständische Unternehmen haben derzeit Probleme, Lehrlinge und Mitarbeiter zu finden, weil diese wegen besserer Bezahlung … lieber zu den ÖBB gehen“. Allerdings rechnet uns Herr Rief auch vor, daß 400 Euro mehr über alle Lohnstufen hinweg bei geringen ÖBB-Einkommen sogar „ein Plus von 24 Prozent“ bedeuten würden. Weitergerechnet hat Herr Rief sicherheitshalber nicht, weil ein solches Gehalt netto nicht einmal 1400 Euro ausmacht — sprich: die zitierten „mittelständischen Unternehmen“ zahlen noch weniger.
Quer durch die Bank waren sich aber die meisten Kommentatoren der reichweitenstarken Medien einig, daß dieses von den Gewerkschaften hervorgerufene „Chaos“ eine Frechheit wäre. Womit wir wieder bei den Klimaprotesten wären. Denn der hiesige wie der globale Kapitalismus leben von einer billigen, leistungsfähigen und zuverlässigen Verkehrsinfrastruktur — und die darf nicht gestört werden. Einwände wegen Umweltzerstörung oder Ausbeutung sind da absolut nicht zu akzeptieren.
Das Großbürgertum tut sich eben schwer damit, daß es neben seinen Interessen auch noch andere gibt. Oder wie sagte Barbara Blaha von Momentum-Institut so schön in der ZiB2: „Wir haben uns den 8-Stunden-Tag nicht erkämpft, weil wir so lieb ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ gesagt haben.“ Und das gilt halt eben für jede gesellschaftliche Auseinandersetzung.
Bernhard Redl