Aus der Causa Teichtmeister kann man nichts lernen, wohl aber aus der Debatte darüber. Und zwar weit über die Thematik hinaus. Wird man aber nicht. Weil es sich einfach besser anfühlt, empört zu sein. [aus der Printausgabe 2/2023]
Die Debatte um den Fall Teichtmeister hat etwas Mittelalterliches. Die Hl. Inquisition feiert fröhliche Urständ in der modernen Form einer Vox Populi. Natürlich ist die Tat widerlich…
Halt, Stopp, da fängt es schon an!
Der öffentliche oder veröffentlichte Diskurs lieferte da nur selten Lichtblicke, einer war der „Runde Tisch“ im ORF. Erstaunlicherweise trauten sich da alle Diskutanten – entgegen der anscheinenden Volksmeinung – der These zuzustimmen, daß höhere Strafen in der Prävention genau gar nichts bringen würden. Und Moderator Tarek Leitner präsentierte genau die Frage, die man sich in diesem Zusammenhang vor allem stellen sollte: „Jeder, der sich zu Wort meldet bei dieser Debatte, … trägt vor sich her, wie empört er ist und wie sehr das zu verurteilen ist, was wir nie tun, wenn wir z.B. über Morde reden. … Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?“
Ist das die Angst, die Adressaten einer Aussage könnten annehmen, man hätte für den Täter irgendsowas wie Verständnis, gar Empathie?
Eine Bannbulle
Alles, was der Schauspieler je berührt hat, ist jetzt unrein und verderbt.
Man ist empört darüber, daß die Regisseurin des gefeierten Films „Corsage“, in dem Teichmeister eine wichtige Nebenrolle hat, nicht zurückzieht und weiter aufführen läßt.
Aber warum sollte sie? Sollen all diejenigen, die zum Teil jahrelang an diesem Film gearbeitet haben, für die Verfehlungen eines einzelnen Schauspielers büßen? Es ist hier eine Debatte, die alle als mitschuldig an der Unterstützung eines Verbrechens macht; eine Unterstützungskette quasi, ein Metaverbrechen, das schon bei Teichtmeister beginnt. Denn dieser hat selbst keinem Kind ein Leid getan, sondern lediglich Bilder von Kindesmißbrauch konsumiert – damit aber natürlich die eigentlichen Mißbrauchstäter in ihrem Tun unterstützt. Wenn aber diese Unterstützung ein Verbrechen ist, dann ist natürlich die weitere Anstellung des Schauspielers oder das Aufführen eines Films mit ihm als Mitwirkenden auch ein Verbrechen. Jeder der sich diesen Film im Kino anschaut, wird damit ebenso zum Verbrecher. Wo hört das auf? Macht sich dann auch die Putzfrau, die den Müll im Kino zusammenräumt, des Kindesmißbrauchs auf einer Metaebene schuldig?
Ähnlich sieht das aus, wenn Michael Rami, der Anwalt Teichtmeisters und Mitglied der Verfassungsgerichtshofs, davon spricht, es handle sich dabei eben lediglich um ein „digitales Delikt“: Große Empörung! Wie kann der nur so etwas sagen? Und wieso vertritt der überhaupt so jemanden? Kann so ein Anwalt überhaupt weiter Verfassungsrichter sein? Die Pointe ist ja die, daß das gerade von Leuten kommt, die bislang kein Problem mit Rami hatten, der ja nur dank der FPÖ in diesem Gerichtshof sitzt. Nein, verdammungswürdig ist Rami jetzt, weil er seine Arbeit als Verteidiger macht und im Sinne seines Mandanten agiert.
Jehova, Jehova!
Ähnliche virtuelle Watschen bekommt jetzt Florian Klenk. Normalerweise macht dieser ja gern auf Moralapostel, aber diese Debatte stößt sogar ihm sauer auf, sodaß er darauf verweisen muß, daß das Ganze doch bitte im Rahmen des Rechtsstaats abgehandelt werden müsse. Er schreibt im „Falter“-Newsletter: „Wir sollten als Publikum den Rechtsfindungsprozess nicht durch ‚Hang him high‘-Geschrei stören, sondern wir müssen zuhören, worin die Ursachen seiner Straftat liegen. … Die Gesellschaft soll sich mit einem, der sich aus der Gesellschaft entfernt hat, wieder ‚versöhnen‘. Re-Sozialisierung ist das Ziel des modernen Strafrechts, nicht ewige Ächtung.“ Die Kommentare in den ach so sozialen Medien dazu zitiere ich da lieber nicht…
Es ist der totale Vernichtungswillen, der da die Debatte beherrscht. Was bei der konkreten Causa sowieso ein wenig seltsam ist, denn die bürgerliche Existenz des Schauspielers ist sowieso auf Dauer zerstört. Es ist illusorisch, wenn Klenk schreibt, die Öffentlichkeit müsse akzeptieren: „Wenn die Strafe getilgt ist, dann ist der Rechtsfrieden wiederhergestellt. Man darf Teichtmeister dann seine Taten nicht mehr vorwerfen, auch das schreibt das Gesetz vor.“ Weder in seinem bisherigen noch in einem auch nur irgendwie qualifizierten Beruf wird der Schauspieler jemals wieder einen Job finden, denn man wird das nunmal nicht vergessen.
Dieser Vernichtungswillen, der bis ins dritte und vierte Glied der Beziehungen zu den als solche identifizierten Tätern geht, ist bemerkenswert. Das könnte man natürlich auch in anderen Fragen weiterspinnen. Wenn Teichtmeister sich als Konsument von Darstellungen von Kindesmißbrauch selbst zum Mißbrauchstäter gemacht hat, was sind wir anderen dann alle? Wir profitieren hier in Ländern, die man politisch als Norden und Westen ansieht, doch auch von dem, was man früher als „Dritte Welt“ bezeichnet hat. Egal, ob wir uns heute eine Tafel Schokolade, ein E-Auto, eine Banane, ein Handy oder irgendeinen Fetzen aus der Produktion in einem asiatischen Sweatshop kaufen, sind wir indirekt alle mitverantwortlich für Ausbeutung, Elend und letztlich auch Mord. Demnach müßten wir uns alle gegenseitig einsperren und aus den Gegenden Westeuropas und Anglo-Amerikas einen einzigen großen Häfen machen. Ist das der Grund, warum gar so viele Richter und Henker sein möchten und so wenige zur Vorsicht mahnen? Oder hat es damit zu tun, daß es in der Causa um den Sexualtrieb geht, der hier in einer nicht gesellschaftskonformen Art und Weise durchgebrochen ist? Teichtmeister ist ja letztlich nur seine Sucht und seine mangelnde Impulskontrolle vorzuwerfen. Aber genau das erscheint einer absoluten Mehrheit in der Gesellschaft, wo erwartet wird, daß wir uns alle immer „in der Gewalt“ haben, als besonders pönalisierenswertes, weil antizivilisatorisches Verhalten. Etwas also, was man sich selbst nie zutrauen will.
Hier ist schon eine gewisse christlich und da vor allem katholisch geprägte Gesellschaftsmechanik festzustellen: „Wer unschuldig ist, werfe den ersten Stein!“ wird zu: „Werfen wir mit Steinen, um zu zeigen, daß wir unschuldig sind!“
Die Figur des Bösewichts
Um das Gute zu erreichen, muß das Böse bekämpft werden. Dazu muß aber das absolut Böse definiert werden, von dem man sich distanzieren kann, um sich selbst die Gloriole des Guten zu sichern.
Ähnliche Muster sind in anderen gesellschaftlichen Debatten zu erkennen – inclusive Vernichtungswillen und Distanzierungsnotwendigkeit. Ein aktuelles Beispiel liefert hier die Putin-Ukraine-Debatte: Wer zur Vorsicht mahnt und Diplomatie einfordert, muß vorher schon betonen, daß er natürlich den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine verurteile. Und zwar zutiefst! Das schützt denjenigen zwar nicht vor der Punze „Putinversteher“, aber wenigstens darf der jeweilige Sprecher eine geringe Hoffnung haben, daß man ihm vielleicht ein klein wenig zuhört. Wenn er dieses Glaubensbekenntnis unterläßt, wird er sowieso als mitschuldig am Morden angesehen und zumindest medial für vogelfrei erklärt. So ist auch die Debatte in Deutschland zu verstehen: Der sozialdemokratische Kanzler ist ein Realpolitiker mit einer guten materialistischen Schulung, der versucht, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Sein grüner Koalitionspartner hingegen ist zuständig für Moral und idealistische Wertvorstellungen: ‚Putin ist Hitler, der muß bekämpft werden, schon allein wegen des Völkerrechts und der heiligen Grenzen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, auch wenn der Krieg ewig dauert und die halbe Bevölkerung in der Ukraine draufgeht sowie die gesamte russische Armee. Weil wir sind die Guten, weil wir das, was wir als böse ausgemacht haben, bekämpfen – koste es, was es wolle.‘
Mit allen Mitteln
Dieses Prinzip, ein definitiv Böses ausmachen zu wollen, daß man „mit allen Mitteln“ bekämpfen muß, egal, wer da sonst noch unter diesem Heiligen Krieg leidet, ist nur zu bekannt. In vielen Fällen sind diese Kollataralschäden gar keine, sondern das eigentliche Ziel, das man aber moralisch nicht rechtfertigen kann. Beispiel: Die Abwehr von Flüchtlingen und Migranten! Man macht die Grenzen dicht, aber die Menschen kommen ja doch. Blöderweise sind das nicht per se Verbrecher, also braucht man eine passende Figur, um das Böse dingfest zu machen: Den Schlepper! Den erwischt man zwar nur selten, büßen dürfen aber die Opfer.
Ähnlich bei Menschenhändlern: Interessiert sich irgendwer für die Prostituierten, kümmert man sich dann um sie und verschafft ihnen Aufenthaltsberechtigungen? Nein, man schiebt sie zurück, wenns ganz blöd hergeht, sogar noch bevor sie bei Gericht gegen den Menschenhändler aussagen konnten.
Oder der Drogenhandel: Man verbietet bestimmte Drogen, weil diese als nicht gesellschaftlich akzeptiert gelten. Diese Drogen werden aber trotzdem konsumiert. Die Konsumenten gelten als krank und als Opfer. Können also nicht die Bösen sein. Aber man hat ja den Drogenhändler als den Bösen – den es gar nicht gäbe, wenn diese Drogen nicht als verdammenswert angesehen würden. Den Drogenhändler kann man verfolgen, weil der ist das Böse schlechthin. Wenn man damit die Spirale der Gewalt weiterdreht, ist das ganz egal und ebenso, daß letztlich doch nur die Abhängigen leiden.
Usw. usf. etc., Beispiele für diese Mechanismen gibt es viele. Die Teichtmeister-Debatte könnte hierzulande so zu mehr Reflektion und einem zivilisatorischen Fortschritt führen. Sollte sie auch. Wird sie aber wohl nicht.
Bernhard Redl