Opernball-Wutrede 1990

Zur Geschichte der Anti-Opernball-Demos! Vor 33 Jahren, in Ausgabe 8/1990, erschien zum unerträglichsten Fest der Republik folgender Text in der akin:

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Ich könnte heulen vor Wut. Was heißt, ich könnte? Ich heule wie ein Schloßhund über diese verfluchte Welt, wo Gewalt regiert, die von sich behauptet, „demokratisch“ und „freiheitlich“ zu sein. Ich sitze daheim und höre mir im Radio die ewigen Lügen der Polizei an, kolportiert vom Staatsfunk.

Das höre ich jetzt schon zum vierten Mal nach dem Opernball, und ich könnte brüllen vor Wut, Haß und Rachsucht.

Mir gehen dann so die Opernbälle durch den Sinn:

1987 bin ich als friedens- und antiatomkraftbewegter Schüler zur Demonstration gegangen und ließ mich verprügeln von Neugeborns Schergen. Auch damals saß ich danach vor dem Radio und bebte vor Wut und Erniedrigung. Die Bilder, die ich damals gesehen hatte, bin ich nicht mehr losgeworden.

1988, als die verfluchten Bullen eine Demonstrantin überfuhren, stand auch ich an jener Kreuzung und brüllte wieder in ohnmächtiger Wut, Wut, Wut, ich weiß kein anderes Wort, mir fehlen da einfach die Worte, und brüllte: „Mörder, Mörder!“ und erinnere ich mich noch gut dieser übergeschnappten Weißen Mäuse, die in die Menge fuhren, einer genau auf mich los. Und auch ich hab mich gewehrt, das einzige Mal bei einer Opernballdemo. Da hab ich „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ geleistet. Und zwar ordentlich. Besinnungslos vor Wut, wie ich war.

1989 wollten die Schweine wieder das selbe machen und sie haben es auch gemacht. Aber wie jedes Jahr erst ab 10 Uhr, wenn nämlich der Ball beginnt, und keine Gefahr mehr für die Bonzen ist, weil sie verdammt nochmal schon in der Oper drin sind und nur deren körperliche Unversehrtheit zählt ja in diesem verdammten Staat. Aber vor 10 haben die Leute dann doch angegriffen und haben gezeigt, daß sie sich nicht mehr alles gefallen lassen. Damals habe ich die Randale noch für falsch gehalten, weil mir das Bild in der breiten Öffentlichkeit wichtig war. (…)

1990 nämlich hats keinen massiven Angriff auf die Polizei gegeben. Und trotzdem knüppelten sie genau 3 Minuten vor 10 Uhr die Demonstration nieder. Ich hab geglaubt, daß ich weiß, wie die Polizei ist. Und kurz nach den heurigen Ereignissen, so gegen 1 war ich ziemlich müde, konnte Freunden gegenüber sogar lächeln und mir die Ein-Uhr-Nachrichten mit einiger Contenance anhören. Doch in der Nacht, nachdem ich gegen 3 Uhr endlich eingeschlafen war, habe ich von den Bullen geträumt. Bin ich aufgewacht, mit dem Gedanken, du mußt aus diesem verdammten Kessel raus, raus, raus, raus. Und dann war ich wach und sag zu mir, sei ruhig, ganz ruhig, du bist daheim, hier herein kommen sie nicht, jetzt ist alles vorbei, du stehst nicht mehr am Karlsplatz. Und zitternd der bleiernen Müdigkeit wegen wieder eingeschlafen und wieder aufgewacht und noch öfters so in dieser Nacht. Und dann das Mittagsjournal. Die Darstellungen der Polizei machen mich wütend, obwohl ich ganz genau weiß, DASS ES JA GAR NICHT ANDERS SEIN KANN. Nur diesmal mit der Variante, daß es die guten Demonstranten gab, deren Kundgebung friedlich verlaufen war, und die bösen Chaoten, die mit den Neonazis, die die Kundgebung ja wirklich angegriffen haben, in einen Topf geworfen werden. Dieses „Teile und Herrsche“ ist ihnen ja wieder wundervoll gelungen.

Die Medien berichten jedes Jahr dasselbe. Es ist ihnen noch nicht aufgefallen, daß die Polizei es eigentümlicherweise immer exakt um die selbe Uhrzeit für nötig hält, zu räumen, wurscht was vor der Oper passiert. Was die Medien betrifft, ist es also völlig egal, die berichten jedes Jahr dasselbe. Und ich weiß auch, daß mit Gewalt die Revolution nicht zu machen ist, denn heraus käme dann doch nur wieder ein Gewaltsystem. Aber gerade weil wir keine revolutionäre Situation haben, wie in den stalinistischen Staaten gewesen, müssen wir den Herrschenden zeigen, die ihre Informationen nicht nur aus der Presse beziehen, daß wir es uns nicht mehr gefallen lassen, wenn sie so weiter machen wie bisher. (…)

Mario

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Anmerkung der Redaktion 2023: Die Wiederveröffentlichung dieses Textes ist nicht als Aufruf zu irgendwas oder als Gutheißung von irgendwas zu verstehen, sondern als Dokumentation. Allerdings wurde der Originaltext um jene Passagen gekürzt, die heute auch im Rahmen einer Dokumentation wohl nicht mehr gefahrlos publiziert werden können.
Der Ekel vor dieser öffentlich-rechtlich fernsehübertragenen, affirmativen Zurschaustellung der Prasserei der Upper Class ist dem Redakteur dieses Blogs allerdings bis heute nicht vergangen.

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