Wovon reden wir eigentlich?

Überraschung: Der Ukrainekonflikt dreht sich um wirtschaftliche Interessen.
[aus akin 5/2022]

Also wir haben ja schon alle mitgekriegt, daß es zuallererst ums Erdgas geht. Allerdings meistens in dem Kontext, daß diese unsolidarischen Europäer sich so vor Putins Macht über den Gashahn fürchten, daß sie nicht konsequent gegen Rußland vorgehen wollen. Immerhin sind die Deutschen jetzt doch so brav und sperren Nord Stream II nicht auf.

Glücklicherweise gibts ja noch Nord Stream I. Sonst würde man Russland nämlich einen guten Grund geben, die ganze Ukraine zu besetzen, denn die anderen Pipelines in die EU führen alle über ukrainischen Boden. Immerhin: Die Gefahr, daß nicht Rußland, sondern die Ukraine das Gas abdrehen könnte, wenn EU und NATO nicht eingreifen, ist bei diesen anderen Pipelines sehr wohl gegeben. Aber über dieses Drohszenario wird sicherheitshalber nicht geredet. Weil die ukrainische Regierung ist ja schließlich das Opfer.

Auch über eine andere Pipeline wird nicht geredet. Nämlich über Blue Stream. Über die liefert nämlich Rußland Gas in die Türkei. Ein kleines Stück dieser Pipeline läuft über formal ukrainisches Staatsgebiet — und zwar genau durch jenes Gebiet, das bisher als Oblast Luhansk bekannt war. Die dürfte jetzt wieder unter russischer Kontrolle sein. [Update 24.2.: Noch dürfte der Norden der Oblast unter Kiewer Kontrolle sein. Der nächste Schritt Moskaus ist damit aber vorprogrammiert.]

Viel hingegen ist die Rede über US-Flüssiggas, das in der EU russisches Erdgas ersetzen könnte. Allerdings als großzügige Hilfeleistung, um die EU in ihrer Auseinandersetzung mit Rußland zu unterstützen. Weniger gern redet man darüber, daß es sich um Gas aus Frackingförderung handelt, die wegen befürchteter Umweltschäden schwer umstritten ist. Auch die Tatsache, daß Verflüssigung und Transport dieses Gases es doch etwas klimaschädlicher machen als das Pipelinegas, wird nur ungern erwähnt. Und gar nicht darüber reden will man, daß die Gaspreise in den USA für die dortigen Förderfirmen viel zu gering sind, weil man das Überangebot nicht los wird. Eine europäische Nachfrage würde da vieles leichter machen.

Nebenbei: In der Ukraine gibt es große, noch völlig unerschlossene Schiefergasvorkommen, die für US-Firmen, die das Fracking-Know-How haben, sicher sehr interessant werden können, wenn es in den USA doch mal knapp wird mit dem Gas — entweder weil die Lagerstätten ausgebeutet sein werden oder sich doch strengere Umweltauflagen nicht mehr vermeiden lassen, wodurch die Förderungen unrentabel würden.

Nicht nur das Gas

Aber es gibt natürlich auch noch andere Gründe für diesen Konflikt. Nein, nicht die ethnische Auseinandersetzung oder die unterschiedliche Interpretation des Völkerrechts, das sind nur so Sachen für die Marketingabteilungen beider Seiten. Zum Beispiel die Sache mit der Krim. Ob dort mehr Russen oder mehr Ukrainer leben, sprich, ob die dort eher Kiewer oder Moskauer Dialekt reden, ist egal. Interessanter ist da schon der Militärhafen von Sewastopol, der im Übrigen auch schon vor 2014 eine militärische Sonderverwaltungszone war, die von der übrigen Krim weitgehend abgeschottet war. Aber man könnte vielleicht auch an das andere Ende der Krim schauen, zur Straße von Kertsch, der einzigen schiffbaren Verbindung zwischen dem Assowschen und dem Schwarzen Meer. Denn 2013 hatten sich Rußland und die Ukraine nach langwierigen Verhandlungen auf eine Brückenverbindung über die Meerenge geeinigt. Mit der Annexion der Krim waren diese Pläne aber obsolet. Jetzt waren de facto beide Ufer russisches Gebiet. Gebaut wurde die Brücke dennoch — von Russland alleine. Das war auch notwendig, weil die Versorgung der Krim über ukrainisches Gebiet kaum mehr möglich war. Allerdings ist die jetzige, 2018 eröffnete Brücke so niedrig gebaut, daß nur kleine Schiffe durchkommen. Was massiv den für die ukrainische Wirtschaft wichtigen Hafen Mariopul schädigt. Es ist sicher nur ein Zufall, daß genau dieser Hafen nicht zum Vassallenstaat von Donezk kam, kolportierterweise, weil die lokalen Oligarchen 2014 noch rechtzeitig die Seiten wechselten. Dazu kommt, daß Rußland jetzt in die Lage versetzt ist, im Bedarfsfall die Wasserstraße auch ganz zu sperren. Aber auch über derlei Interessenslagen liest man eher selten in den Schlagzeilen.

Die Logik der Pokerspieler

Die Anerkennung der Gebiete um Luhansk und Donezk sowie die Invasion dort folgen einer eigenen Logik, die nicht soweit von der der NATO entfernt ist. Rußland hat nämlich gar keine Interesse daran, daß diese Anerkennungen vom Westen geteilt werden — hier hat man die Analogie zu Transnistrien sowie Südossetion und Abchasien. Dank dieser russischer Vasallenstaaten können die Republik Moldau und Georgien nicht der NATO beitreten. Es würde sonst nämlich sofort der Bündnisfall eintreten, sprich NATO-Truppen müßten dort aktiv werden, um das offizielle Territorium seiner neuen Mitgliedsländer zu schützen resp. wiederzuerobern. Das würde aber wohl einen unmittelbaren militärischen Konflikt mit Rußland bedeuten, was sich die NATO und die EU nicht antun wollen — glücklicherweise. Solange aber keine NATO-Mitgliedschaft besteht, wird in der EU aber nicht einmal darüber nachgedacht, ob eine EU-Mitgliedschaft denkbar wäre. Umgekehrt wird da auch ein Schuh daraus: Die Beteuerung des Westens, die Ukraine nicht in die NATO aufnehmen zu wollen, ist unglaubwürdig, da die Bestrebungen ja da sind, die Ukraine in die EU zu bekommen. Aber eben: Bislang ist kein einziger Staat aus dem politischen Osten (also Ex-SU, Ex-Comecon und Ex-Jugoslawien) ohne NATO-Beitritt in die EU aufgenommen worden. Warum sollte es bei der Ukraine anders sein?

Ein ganz, ganz großer Markt

Das Interesse der EU an der Ukraine ist aber natürlich weniger ein militärisches, sondern eben auch wieder das alte Lied: „It’s the ecomomy, stupid!“ Schon 2014 erklärte uns das Herr Ascan Iredi, deutscher Börsianer und FDP-Politiker in einem ARD-Bericht so: „Ein ganz ungeheures Potential würde sich da öffnen. Die Ukraine ist zum einen reich, das ist ihr Vorteil, auch für ihre Zukunft, und zum anderen ist das auch ein ganz, ganz großer Markt. … Grundsätzlich haben wir das Problem, daß Rußland die Hand darüber hält und dieses Land sich dadurch sehr schlecht und nur sehr langsam entwickelt. … Das Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig! … Das können wir aber andererseits nutzen, das könnte zu einer Art Werkbank werden, für die Europäische Union. Und die Bodenschätze sind sehr wichtig, was wiederum den Reichtum für dieses Land sichert. …“

Und dann gibts da noch die riesigen Agrarflächen mit der weltweit besten Schwarzerde. Bei diesen Böden gibt es jetzt schon den großen internationalen Ausverkauf — wenn man sich da jetzt nicht ranhält, kaufen am Ende alles die Chinesen.

Nicht zuletzt ist das beiderseitige Interesse am Donbas, also die Gebiete von und um Luhansk, Donezk und Mariopul zu erwähnen — das zentrale Industriegebiet der Ukraine und früher einmal auch der ganzen Sowjetunion. Der österreichische Außengraf hingegen redet davon, daß die Ukraine ja so nahe liege — vergißt aber zu erwähnen, daß das eine ganz andere Gegend ist, nämlich jener Westzipfel der Ukraine, der, und daran wird der Aristokrat wohl gedacht haben, früher einmal zur Habsburger-Monarchie gehört hat.

Wozu ein Staat gut ist

Wenn Putin meint, er spreche dem Ukrainischen Staat die Legitimität ab, weil er in den 30 Jahren seines Bestehens die wirtschaftliche Lage seiner Bevölkerung nicht verbessert habe und korrupte Oligarchen regieren, ist es natürlich ein Witz, weil das ausgerechnet vom russischen Dauerherrscher kommt. Schließlich gilt wohl für Rußland dasselbe. Andererseits merkt man da natürlich schon die marxistische Schulung des ehemaligen KGB-Offiziers: Die Legitimität einer Regierung oder eines Staates liegt nicht darin, ob aus oftmals eher zufälligen geschichtlichen Ereignissen sich eine Macht auf einem bestimmten Territorium stabilisiert hat oder eine Herrschaft einen schönen Nationalmythos samt Hymne und Fahne zusammenbasteln kann, sondern darin, wie es den Untertanen geht. „Gruppen sind etwas Sekundäres – der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, daß der Staat lebe – es kommt darauf an, daß der Mensch lebe“, heißt es in Tucholskys „Blick in ferne Zukunft“ von 1930.

Die Oligarchen regieren, egal ob in Moskau, Kiew, Washington, Berlin oder Wien. Das ist nichts Neues. Und alle kommen sie mit dem Zuckerguß fahnenschwenkender Nationalherrlichkeit, hehrer Demokratieliebe oder tränenreicher Menschenrechtsverteidigung. Auch schon seit immer. Wer’s glaubt, wird selig. Aber da muß man halt auch die Verblödung in Kauf nehmen.

Bernhard Redl

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