Ein ukrainischer Held in Kanada

Das Unterhaus in Ottawa bejubelte versehentlich einen alten Nazi.
Aber verwunderlich ist das leider nicht. [akin-Printausgabe 16/2023]

Die “News in English” am Ende des Ö1-Mittagsjournals sind bisweilen doch beachtenswert. Zwar sind die meisten dieser Nachrichten den gleichen Themen gewidmet wie die Kurznachrichten auf Deutsch, wenn auch oft mit anderem Schwerpunkt, aber manchmal denkt man sich: ‘Moment, hab ich da richtig gehört?’ So wie diesen Dienstag, als man zu hören bekam, daß sich der kanadische Parlamentspräsident entschuldigen mußte, einen ukrainischen Nazi geehrt zu haben. Auf Deutsch hatte ich das weder im Radio noch im Fernsehen mitbekommen.

Wenn man die Geschichte googlt, stellt man so einige Dinge fest: Deutschsprachige Medien habe diese Geschichte generell eher ungern berichtet, während die englischsprachigen voll davon waren. Im ORF dürfte man sich auf eben die Englisch-News auf Ö1 beschränkt haben — und auf orf.at, aber die blaue Nachrichtenseite will man ja eh nimmer haben.

Die Sache ist aber auch zu peinlich: Als Herr Selenskij am 22.9. im kanadischen Parlament eingeladen war, meinte Anthony Rota, Speaker of the House of Commons, auf einen 98-jährigen Herren auf der Tribüne hinweisen zu müssen, einen Kanadier, der als gebürtiger Ukrainer schon “im 2. Weltkrieg für die ukrainische Unabhängigkeit gegen Russland gekämpft” habe: “Ein kanadischer Held, ein ukrainischer Held, und wir danken ihm für alle seine Dienste”. Daraufhin standen die Mitglieder des Parlaments auf, zollten dem alten Recken standing ovations, Selenskij erhob zum Gruß die Faust und auch Premier Trudeau applaudierte. Und niemand kam auf die Idee, nachzufragen, auf welcher Seite denn wohl jemand im 2. Weltkrieg gestanden hat, der “gegen Russland” — also eigentlich die Sowjetunion — gekämpft hat. Und wieso der überhaupt nach Kanada ausgewandert ist.

So genau wollte man in dieser ukrainisch-kanadisch-patriotischen Feierstunde es wohl nicht wissen. Aber es kam noch schlimmer — denn dieser Jaroslav Hunka war nicht einfach ein Mitglied jener nationalistischer Truppen, die Seite an Seite mit den Nazis gekämpft hatten, was anscheinend heute nicht mehr ehrenrührig ist, sondern Freiwilliger in der Waffen-SS-Division Galizien, die nicht wenige jüdische Zivilisten ermordet haben soll.

Drei Tage später mußte sich daher Speaker Rota mit gebrochener Stimme im Parlament entschuldigen, daß er das Parlament in eine derart peinliche Lage gebracht hatte. Offensichtlich hatte Rota von sich aus Hunka, der im Wahlbezirk Rotas lebt, gebeten, an der Sitzung teilzunehmen — als Überraschung; nicht einmal Trudeau war eingeweiht.

Peinlich ist die Geschichte natürlich auch deswegen, weil man damit — wieder einmal — die Erzählung Putins, Russland müsse die Ukraine “entnazifizieren”, unfreiwillig unterstützte.

Irgendwie erinnert das Ganze aber auch an die Eigenmächtigkeit des österreichischen Nationalratspräsidenten Sobotka, der, da er keine Einladung Selenskijs in eine offizielle Nationalratssitzung duchsetzen konnte, eine informelle Plenar-Vorveranstaltung ansetzte. Dabei mußte er aber, ähnlich seinem Kollegen Rota, mit aller Macht die sehr wohl vorhanden Nazi-Traditionen im ukrainischen Nationalismus (von der Asow-Brigade bis zur Bandera-Apologetik) ignorieren — ausgerechnet Sobotka, der sich ansonsten immer als der Vorkämpfer gegen Nazismus und Antisemitismus gibt. Das allerdings könnte der Grund gewesen sein, warum man in Österreich diese kanadische Geschichte im ORF eher nicht so gerne breittreten wollte.

Was bleibt, ist, daß man in dieser Auseinandersetzung, bei aller Verurteilung der Invasion, schon genauer hinschauen sollte, welches Gedankengut da heute wieder salonfähig gemacht wird, bevor man taxfrei “We stand with Ukraine” rausposaunt.

Bernhard Redl

BBC-Bericht mit Video: https://www.bbc.com/news/world-us-canada-66908958
Nachtrag Mittwoch früh: Mittlerweile hat Rota seinen Rücktritt bekanntgegeben.

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