Widerstand mit 7 Ws

[Printausgabe 20/2023]

Zu den Grundlagen des Journalismus gehören die berühmten 7 Ws:

Wann? Wo? Was? Wer?

Diese 4 Ws sind sozusagen die Grundkoordinaten einer Meldung. Berichte, die sich darauf beschränken, können kurze brechende Neuigkeiten im Stile einer Nachrichtenagentur sein – es kann sich aber auch um Propaganda handeln, denn die begnügt sich gern mit ‚Wer war es?/Wer ist schuld?‘. Bereits das fünfte W hilft bei der Unterscheidung.

Welche Quellen?
Die Nähe oder Entfernung einer Quelle zum Ort des Geschehens kann durchaus aufschlußreich sein, was die Qualität oder Objektivität ihrer Informationen betrifft. Ich fand es z.B. seltsam, daß bei uns in Mitteleuropa in der Berichterstattung zum Syrien-Konflikt häufig die noch weiter entfernte „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus London“ als Quelle genannt wurde, obwohl deutschsprachige Reporter in Damaskus vor Ort waren, auf deren Dienste man aber verzichtete.
Auffällig wirds – oder sollte es werden, wenn sich Medien bei der Auswahl ihrer Quellen freiwillig auf nicht objektive Information beschränken – z.B. nur oder hauptsächlich die Sicht einer Seite auf einen Konflikt kolportieren. So, wie es seit Jahren beim Thema Ukraine geschieht. Wobei man in diesem Fall darüber diskutieren kann, ob die Beschränkung auf eine Seite freiwillig erfolgt, da staatliche russische Medien in der EU von der Europäischen Kommission abgeschaltet und die Verbreitung von deren Nachrichten in Österreich unter Strafe gestellt wurden. Dies ist nicht mehr nur auffällig sondern ein eklatanter Verstoß gegen unser aller Recht auf Informationsfreiheit. Scheint aber kaum wen zu stören, diese Menschenrechtsverletzung. Wohin uns diese Anfänge noch führen werden, wird man sehen.
In der Ukraine hat sich bereits die erste Erkenntnis eingestellt, wohin die einseitige Präsentation von Propaganda führt. Bei der Suche nach Schuldigen für die sich abzeichnende Niederlage wurde von einem Kommandeur der ukrainischen Streitkräfte festgestellt, daß „die Gesellschaft eine inadäquate Wahrnehmung der Situation und den Blick für die Realität verloren hat“*. Die Ukraine verliert den Krieg, weil sie sich selber in den Sack gelogen haben.
Was diese Erkenntnis nach bald 2 Jahren ‚Stille Post aus Kiew‘ in unseren Quantitätsmedien wohl für uns und unser Verhältnis zur Realität bedeutet? Man kann nur hoffen, daß die Entscheidungen unserer politisch Verantwortlichen auf Grundlage anderer Informationen getroffen wurden.

Wie?
Das Wie, die journalistische Rekonstruktion eines Ereignisses, kann den Blick auf die Situation schärfen, die Sicht der Realität wieder klären. Das Untersuchen der Abläufe, des Hergangs, der Details, der Aussagen von Zeugen kann Unstimmigkeiten und Widersprüche zur offiziellen Darstellung von Geschehnissen aufdecken. Ein Beispiel hierfür sind die Berichte der Zeitung Haaretz zum 7. Oktober, die aufgezeigt haben, daß israelische Zivilisten auch durch ‚friendly fire‘, den Beschuß des eigenen Militärs, ums Leben kamen.
Es kann, wohlgemerkt, muß aber nicht, denn mit Emotionen verknüpfte Erinnerungen widerstehen sogar einer negativen Faktenprüfung. In den letzten Jahren wurde dieses untersuchende Wie leider zunehmend durch ein schilderndes, emotionalisierendes Wie der Propaganda ersetzt, um das Publikum zu beeinflussen, auf eine Seite zu ziehen. Dabei schlägt die Emotion jede Vernunft. Spätestens seit der Brutkastenlüge von Kuwait wissen wir, wenns um getötete Kinder geht, sind wir geliefert. Falls es gut erzählt wird. Auf nackte Zahlen reduziert, fallen selbst tausende tote Kinder nicht ins Gewicht, wie derzeit in Gaza zu sehen ist.

Warum?
Die Frage nach dem Grund, der Ursache, nach dem Motiv – eine Frage, die übrigens jedes Gericht stellt. Wer andere verurteilt, ohne die Beantwortung dieser Frage gehört und erwogen zu haben, wäre ein schlechter Richter.
Hier betritt man den Bereich der Analyse, der Hintergrundberichte, hier beginnt die Erforschung der Zusammenhänge, die Betrachtung der Vorgeschichte von Ereignissen im Wissen um die Kausalität, des Gesetzes von Ursache und Wirkung. Die Frage nach dem Warum ist ein Zeichen für das Verstehen wollen, eine der grundlegenden Eigenschaften des sozialen Wesens Mensch und eine Bedingung für unsere Weiterentwicklung.
All dies scheut die Propaganda, denn ihre Versuche, die Wahrheit mit ihrem Spin zu verdunkeln, halten einer Durchleuchtung in diesem Bereich nicht lange stand. Wer das Stellen dieser Frage verhindern will, entlarvt sich selbst als Propagandist. Wer sie sich mit billigen Zuschreibungen selbst beantwortet, als Populist. Journalismus geht anders. Journalismus ist Widerstand.

Markus Auer


*«… Strategically, Ukraine is losing the war because of the inadequate perception of the situation by society. […] We have broken down the vision of reality. […] That’s why we’re losing. … »
Dmitry Kukharchuk, ukrainischer Bataillons-Kommandant, im Interview mit dem ukrainischen Fernsehsender „5 Kanal“

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