Wir, die NATO

[Printausgabe 22/2023]

Im November 2018 fand ein bemerkenswertes NATO-Großmanöver in Norwegen statt. Interessant war dabei vor allem, daß in der medialen Begleitung immer besonders hervorgehoben wurde, daß dabei auch der Luftraum über Finnland und Schweden einbezogen worden ist. Denn damals waren diese beiden Länder offiziell noch neutral — lediglich wie Österreich Mitglieder der sogenannten „Partnership for Peace“. Von Seiten der Regierungen der beiden skandinavischen Länder wurde immer wiedermal ein gewisses Interesse an einem NATO-Beitritt angedeutet, ohne aber zu konkret zu werden, weil der Neutralität dort in der Bevölkerung fast so eine hohe Bedeutung wie in Österreich gegeben worden ist.

Das Zeichen, daß die NATO aber mit diesem Manöver setzte, wurde in Moskau sehr wohl verstanden, sodaß der russische Verteidigungsminister vermeldete, auf einen Beitritt Schwedens und Finnlands werde man „reagieren müssen“. Jetzt ist Finnland beigetreten (und Schweden, das sich dazu nicht nur den USA, sondern auch der Türkei unterwerfen muß, steht kurz zuvor) — und Russland reagiert darauf natürlich mit entsprechendem Säbelrasseln.

Ähnlich war es bei der Ukraine: Jetzt habe man mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU Putin gezeigt, daß Europa die Ukraine nicht im Stich lasse, hieß es kürzlich aus Brüssel. Nur war dieses „Nicht-im-Stich-lassen“ oder besser die Eingemeindungsbestrebung der EU ja genau der Grund für diesen Krieg. Denn EU heißt schon länger auch NATO. Seit der Erweiterungsrunde mit Österreich ist kein Staat zur EU gekommen, der nicht schon vorher der NATO beigetreten ist. Diese Verknüpfung hat während der US-Präsidentschaft Trumps, der kein großer NATO-Fan ist, zwar etwas gelitten, ist aber mit Biden wieder voll da.

In der EU scheint die Überzeugung zu herrschen, daß neutrale Staaten möglichst bald dieser militärischen Normalität angeschlossen werden sollen — und zwar wirklich in der ganzen EU, also auch bei den Regierungen eben dieser Staaten, die das ihren Bevölkerungen aber erst schmackhaft machen müssen. Da ist Putin natürlich sehr hilfreich. Das gilt sogar für die Schweiz, deren Regierung sehr wohl sich an EU und NATO annähern möchte, was aber dort noch heikler ist als in Österreich. Ein Vehikel dazu ist sicher der Sky Shield, der uns in Österreich nicht nur mindestens 4 Milliarden Euro kosten wird, sondern auch den Zweck erfüllt, daß die Schweizer und die österreichische Regierung wechselseitig auf den jeweils anderen neutralen Staat verweisen können, der ja seine Neutralität auch nicht dadurch gefährdet sähe.

Aber auch auf anderer Ebene wird klargemacht, wohin die Reise geht. Das letzte „Im Zentrum“ des ORF trug den bezeichnenden Titel „Der Westen gegen Putin — Ist der Ukraine-Krieg noch zu gewinnen?“ Auf die Idee, zu diskutieren, wie man diesen Krieg beenden könnte, kam man in der Redaktion gar nicht. Man habe auch den russischen Botschafter zur Diskussion eingeladen, so Moderatorin Reiterer, doch dieser sei verhindert gewesen — eine sehr diplomatische Auskunft, schließlich wollte er wohl bei diesem Titel genausowenig kommen, wie der iranische Außenminister nach Wien, wenn über der Hofburg die israelische Fahne weht.

Genausogut hätte die Sendung auch heißen können: „Wir gegen Putin — Können wir Russland noch besiegen?“ Denn genau darum ging es. Hier sei aus der Diskussion Oberst Reisner ausführlich zitiert: „Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Konflikt nicht unmittelbar im Schützengraben zum Konflikt wird. Das beginnt weit früher. Wir nennen das hybride Kriegsführung. Russland und China versuchen seit Jahren, gegen uns wirksam zu werden. Während der Coronakrise hat man gezielt versucht nachzusetzen, auch im Cyberraum, wo kleine Risse in der Gesellschaft erkennbar waren, und diese Risse größer zu machen. Es ist das Ziel, Unruhe und Zweifel zu schaffen. Unser größtes Problem im Westen ist, dass unsere Regierungen die Deutungshoheit verlieren. Man glaubt uns nichts mehr. Warum? Weil im Hintergrund gerade Staaten wie China und Russland daran arbeiten, über hybride Mittel, Misstrauen zu säen, die Basis dafür zu schaffen, dass diese Staaten siegen können. Man muss also vorsichtig sein. Der Konflikt hat schon vor Jahren begonnen und wird gegen uns geführt.“

Also das macht alles klar: „Wir“, das ist nicht nur unsere Regierung — was an sich schon eine Zumutung wäre –, sondern das ist „der Westen“, also die NATO. Nach Ansicht der Militärs und der Regierung ist Österreich schon vollständig in der transatlantischen Familie angekommen. Es geht jetzt nur mehr darum, daß sich auch die hiesige Bevölkerung damit anfreundet.

Mit einem hat er aber recht: „Unsere“ Regierungen — also die der NATO- und Bald-schon-NATO-Staaten — verlieren die Deutungshoheit in der sogenannten Welt, wie das so schön Peter Handke einmal genannt hat. Und das bedeutet natürlich einen Machtverlust — die pax americana ist überall am Bröckeln. Aber auch in den Bevölkerungen dieser Staaten kommt immer mehr Zweifel auf, ob dieser Imperialismus wirklich so eine gute Idee ist — und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. Und deswegen braucht es ganz viel Propaganda, weil der Glaube an die Göttlichkeit einer US-geführten Welt sei ja nur deswegen im Schwinden, weil diese beiden Superschurkenstaaten China und Rußland ihn erschüttern. Und nicht wegen der Präpotenz von Washington und Brüssel, wo man der Meinung sein dürfte, die Welt solle am US-amerikanischen und deutschen Wesen genesen.

So wird Österreich also wohl bald doch in der NATO sein. Was sein muß, muß sein. Da werden wohl auch die Grünen dafür sein. Denn man kann die NATO ja nur dann zu einem Friedensprojekt umwandeln, wenn man ihr beitritt. Das ist dann auch so wie mit der EU.

Bernhard Redl


Nachtrag 26.12.2023: Manchmal hasse ich es, nachträglich bestätigt zu werden:

Ein Kommentar zu „Wir, die NATO

  1. Dem wordpress-eigenen KI-Assistenten ist das natürlich viel zu polemisch und unausgewogen. Er kommentiert wie folgt:

    „Der Inhalt befasst sich mit bedeutenden geopolitischen Ereignissen und ihren Auswirkungen, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf dem NATO-Engagement und seinen Auswirkungen auf neutrale Länder liegt. Es befasst sich auch mit der komplexen Dynamik globaler Machtkämpfe und dem Einfluss wichtiger Akteure wie den USA, Russland und China. Die Haltung des Autors ist klar: Er bringt seine Skepsis gegenüber der NATO-Erweiterung zum Ausdruck und betont den Kontrollverlust westlicher Regierungen.

    Um den Artikel zu verbessern, könnten folgende Maßnahmen in Betracht gezogen werden:

    1. Bereitstellung eines weiteren historischen Kontexts zur NATO-Erweiterung und ihren früheren Auswirkungen auf neutrale Länder.

    2. Einbeziehung von Perspektiven oder Zitaten von Beamten oder Experten, um einen ausgewogenen Standpunkt zu bieten.

    3. Erkundung möglicher diplomatischer oder alternativer Lösungen für die im Inhalt diskutierten geopolitischen Spannungen.

    Bei der Erörterung solch komplizierter geopolitischer Themen ist es wichtig, einen differenzierten Ansatz beizubehalten und unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen, um dem Publikum ein umfassendes Verständnis zu vermitteln.“

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