Demonstrativ gegen Rechts

Ein unglaubwürdiger Antifaschismus ist schlimmer als gar keiner.

[Printausgabe 2/2024]

Ich weiß, ich sollte mir „Im Zentrum“ gar nicht anschauen. Und doch ist es immer wieder erhellend. Die letzten beiden Ausgaben waren betitelt worden mit „Themen oder Theater — Wie gewinnt man Wahlen?“ und „Krise und Kontrollverlust – Deutschland am Abgrund?“. Diese Themensetzungen waren aber in beiden Sendungen nach der Einleitung gleich wieder vergessen. Denn in der ersten Sendung ging es dann hauptsächlich um Herbert Kickl und die FPÖ und in der zweiten um die AfD. Sahra Wagenknecht, interviewt von der Kronen-Zeitung, was an sich schon bemerkenswert ist, wird danach befragt, ob sie denn glaube, der AfD schaden zu können, aber auch, was sie ihren Populismus denn von dem von FPÖ und AfD unterscheide. Der ORF berichtet ausführlichst über die Proteste in Deutschland gegen die AfD und alle Medien stürzen sich auf die neuesten Büttenredensprüche des hiesigen Gaulreiters.

Auch die Politik, besonders die Sozialdemokratie, gefällt sich im Kaninchenstarren auf die Schlange. Mittlerweile macht die SPÖ Wahlkampf als Kickl-Verhindererpartei und Olaf Scholz verkündet mit haltungsgeschwellter Brust: „Dass wir aus der Geschichte lernen, das ist kein bloßes Lippenbekenntnis“. Was für eine Ansage, nur daß das halt der selbe Olaf Scholz ist, der sich erst kürzlich auch zitieren ließ mit: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ und es mit diesem Spruch auf das Cover des „Spiegels“ gebracht hat.
Daß man in Deutschland immer noch glaubt, man könne rechtsextreme Parteien einerseits durch starke Antifa-Sprüche und andererseits durch ein Kopieren deren Agenda im Zaum zu halten, ist irgendwo noch verständlich. Die AfD gibt es zwar nicht erst seit gestern, aber erst jetzt wird sie für die etablierte Parteienlandschaft zur echten Gefahr. In Österreich hingegen müßte man eigentlich schon seit mittlerweile knapp vier Jahrzehnten wissen, daß das nicht funktioniert. Sondern der gegenteilige Effekt eintritt. Der Wahlkampslogan einst von Haider und dann wieder von Strache „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ funktionierte genau wegen dieser postulierten Gegnerschaft. Aber die Empörhaltung fühlt sich einfach gut an und adressiert bei den Parteien die eigene Klientel.
In Frankreich hat der cordon sanitaire gegen die Familie Le Pen lange gehalten — sicher auch deswegen, weil die politischen Verhältnisse und speziell das Wahlrecht dort anders sind. Aber man hat dort einfach immer auch in der politischen Praxis klar gemacht, daß sogar Gaullisten und Kommunisten mehr Gemeinsamkeiten miteinander hätten als nur irgendwie etwas mit Front resp. Rassemblement National. Diese Praxis ist in Deutschland aber bislang recht unglaubwürdig — einer CDU im heutigen Zustand ist eine Koalition mit der AfD zuzutrauen und der CSU mit ihrem schon jetzt etwas seltsamen Koalitionspartner in Bayern sowieso. Von Österreich wissen wir ja schon aus Erfahrung, daß zumindest die ÖVP keinerlei echte Berührungsängste mit der FPÖ hat — schon allein wegen deren gemeinsamen Vorstellungen von „Ausländerpolitik“.

Hingegen bei den Demonstranten gegen AfD und FPÖ oder ganz allgemein „gegen Rechts“ geht es um den Versuch, das „Wehret den Anfängen!“ mit Leben zu erfüllen — man will sich ja nach dem unvermeidlichen Niedergang des dräuenden Faschismus nicht vorhalten lassen, man habe geschwiegen. Der praktische Zweck dieser Demonstration erschöpft sich aber lediglich darin, den anderen politischen Parteien zu signalisieren, daß sie niemals mit den Parteien der Neuen Rechten koalieren dürften.
Die Medien jedoch wissen, daß sich Schreckgespenster gut verkaufen lassen, noch viel besser als Skandale. Das gilt auch für linke Publikationen wie „konkret“ — deren Cover der ersten Ausgabe dieses Jahres ziert die Konterfeis von so unterschiedlichen Figuren wie Trump, Milei, Le Pen oder Orban und der Aufmacher-Headline „Faschismus forever?“. Immerhin ist der Untertitel hier doch anders: „Das letzte Aufgebot der Bourgeoisie“. Ja, da bin ich auch reingefallen, denn wegen dieses Covers habe ich mir zum ersten Mal seit langer Zeit eine konkret-Ausgabe gekauft — der Inhalt war leider auch nicht die große materialistische Analyse, sondern hauptsächlich auch nur wieder Empörliteratur.

Ähnlich seltsam ist die Berichterstattung über die Vorwahlen in den USA. Die hiesige Berichterstattung wird Trumpwähler wohl noch weniger beeindrucken als das bei AfD- und FPÖ-Wähler hierzulande der Fall ist — und das nicht nur deswegen, weil bei uns nicht allzuviele US-Wahlberechtigte leben. Dennoch ist das Warnen vor dem Verrückten, der die USA zu einer Diktatur machen könnte — so zumindest der Tenor hiesiger Massenmedien –, ein beliebtes Thema. Dabei kam es aber auch zu einer interessante Aussage in einer Überleitung von Nadja Bernhard in der ORF-ZiB. Zwischen einem Bericht über Trump und einem über den Gaza-Krieg meinte sie, würde Trump gewählt, würde wohl auch das außenpolitische Engagement der USA leiden. Da wird es jetzt aber heikel. Denn tatsächlich sind die Auswirkungen einer Trump-Wahl vergleichbar mit denen einer Kanzlerschaft der AfD oder der FPÖ in Deutschland oder Österreich. Die offizielle Politik fürchtet sich nämlich weniger vor diktatorischen Zuständen — oder halt nur insofern, daß die jetzt Regierenden dann ihre Jobs verlören — sondern um wirtschaftliche und militärische Allianzen. Sprich: Es geht um die Zukunft von EU und NATO. Erst diese Woche thematisierte AfD-Chefin Weidel einen „Dexit“. Die FPÖ deutet schon sein vielen Jahren einen „Öxit“ an und ist perverserweise die einzige Nationalratspartei, die eine glaubwürdige Neutralitätspolitik fordert (auch wenn das bei der FPÖ als frühere Pro-NATO-Partei selbst eher unglaubwürdig wirken müßte). Von Trump hingegen wissen wir aus seiner Amtszeit, daß ihn die NATO wenig interessiert — sein „MAGA“ ist eher an einem Neutralismus orientiert oder allerhöchstens an der Monroe-Doktrin als an einer Wiederbelebung der Rolle der USA als Weltgendarm. Die „pax americana“ würde unter Trump wohl kein Thema mehr sein. Und die Idee von Zollschranken auch gegen die EU kennen wir ja auch schon aus der Zeit von 2017 bis 2021.
Man erinnere sich daran, daß der Beginn der Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin davon geprägt war. Denn weil der große Uncle Sam nicht mehr so wehrwillig erschien, meinte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin in ihrer Antrittsrede 2019, Europa müsse „seine Muskeln“ wieder aufbauen — sprich: mehr für die Rüstung tun. Den Fans der „Friedensunion“ ist dabei leider gar nichts aufgefallen. Jetzt reden sie in Deutschland schon davon, die Wehrpflicht wieder aufleben zu lassen.

Der deutsche Nationalismus ist historisch geprägt vom Imperialismus. Das hat er übrigens unter anderem mit dem britischen, französischen und zuerst russischen dann sowjetischen und jetzt wieder russischen Staatsverständnis gemein — aber auch zeitweise mit dem der USA oder mit dem einstigen Habsburgerregime hierzulande. Die heutigen nationalistischen Bewegungen gehen aber in die andere Richtung — während gleichzeitig in den ehemaligen Kolonialstaaten ein neues Selbstbewußtsein auftaucht. Nicht umsonst sind bei Amtsantritt Melonis in Italien die wichtigsten Bedenken unseres Bundespräsidenten gewesen, wie denn deren Verhältnis zur EU und zu Rußland ist. Die deklariert faschistische Tradition dieser Partei war da kein Thema.
Genau das macht diesen aufgesetzten Antifaschismus der jetzt noch dominanten Parteien in Europa so unglaubwürdig — denn mit autoritären Tendenzen haben sie alle kein Problem. Sie sind alle „staatstragend“, was soviel heißt, wie, daß Demokratie und Menschen- wie soziale Rechte nur solange relevant sind, wie der etablierte Staat, das Kapital, die öffentliche wie die Welt-Ordnung nicht in Gefahr sind. Genau darauf stellt ja die Neue Rechte ab, wofür Corona ein gutes Beispiel war: In den ersten Tagen der Pandemie in Europa hat die FPÖ weitaus härtere Maßnahmen gefordert als die Bundesregierung; aber sehr schnell ist dem damals schon in der Partei dominanten Kickl klargeworden, daß er mit dem Protest gegen die Maßnahmen ein Alleinstellungsmerkmal haben kann. Und so nebenbei auch den handzahmen Konkurrenten Norbert Hofer loswird.

Will man wirklich was gegen „Rechts“ unternehmen, muß die Politik eine andere werden, eine, die unter „Sicherheit“ keine polizeiliche oder militärische versteht, sondern eine soziale. Und das wäre auch eine Aufgabe der „Zivilgesellschaft“, wie das Peter Kolba am Dienstag twitterte: „Große Demos ‘gegen Rechts und für Demokratie’ schaffen bei denen die teilnehmen das wohlige Gefühl für das Richtige einzutreten und sind sicher ein Zeichen einer machtvollen Minderheit gegen Rassismus. Wer jedoch vor den Umfrageergebnissen für AfD oder FPÖ Angst hat und deren Regierungsbeteiligungen verhindern will, muss wohl bei den Daseins-Problemen der Wähler:innen ansetzen: Demo gegen Teuerung ohne Bremse, Mietenerhöhungen, Wildwest am Energiemarkt, steigende Lebensmittelpreise und insbesondere gegen die ständig steigende Kluft zwischen Arm und (Super-)Reich, wären angesagt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Bernhard Redl

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