Aug um Aug

Rachegelüste sind wahlkampftauglich

“Nach dem Missbrauch einer Zwölfjährigen mit insgesamt 17 Tatverdächtigen hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) … Maßnahmen gefordert. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) seien ersucht worden, ein Paket zu erarbeiten. Der Kanzler regt dabei die Senkung der Strafmündigkeit an. … Zunächst spricht der Kanzler an, dass Teenager unter 14 Jahren, die Delikte wie Vergewaltigungen oder schwere Körperverletzungen begehen, nicht strafmündig seien und dadurch auch nicht ausreichend bestraft werden könnten. … Schließlich will Nehammer die ‘generelle Schieflage’ von Delikten gegen Leib und Leben im Vergleich zu Vermögensdelikten beheben. Brutale Taten wie die an dem zwölfjährigen Mädchen, zeigten, dass das Rechtssystem nicht treffsicher genug sei.” (https://orf.at/stories/3350430/)

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, diesen Unsinn aufzudröseln. Okay, es gibt da schon noch auch den Hintergrund der Empörung aus ÖVP-Kreisen, die der Meinung sind, daß, wenn schon unbedingt der Gesalbte verurteilt werden muß (was ja an sich schon irgendwo zwischen Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung zu verorten sei), dann wären 8 Monate fast halb soviel wie der Teichtmeister, dieser Perversling und Kinderverzahrer, ausgefaßt hat. Das stünde doch in keiner Relation, so die schwürkise vox populi. Diese Debatte muß man dabei im Hinterkopf behalten.

Es müßte eigentlich auch erstaunlich sein, daß nicht die zuständige Ministerin ersucht wurde, “ein Paket zu erarbeiten”. Aber die ist halt nur zuständig und hat die qualifizierten Legisten im Ministerium, ist jedoch blöderweise von der falschen Partei.

Ganz allgemein kommt dieses Statement von Nehammer sicher an. Seine Wählerklientel hat großteils noch nie was von den Prinzipien von Spezial – und Generalprävention bei der Strafbemessung gehört. Die kennen nur das babylonisch-alttestamentarische “Aug um Aug, Zahn um Zahn” — und halten das sogar für eine christliche Botschaft. Sicher, unser Justizsystem hat auch dazu beigetragen, daß in der Bevölkerung weitgehend die Ansicht herrscht, man müsse angemessene oder eben “ausreichende” Rache üben. Und diese Rache müsse darin bestehen, daß jemand eine der hervorgerufenen Empörung entsprechend lange Haftstrafe bekommen müsse. Ob das irgendwie sinnvoll ist, interessiert nicht. Genausowenig, ob jemand durch Haft “gebessert” würde.

Doch die Grundidee des Strafrechts ist, durch Strafdrohung Menschen von Dingen abzuhalten, die mehrheits-gesellschaftlich als falsch angesehen werden. Menschen, die im Affekt handeln oder aus Lust an der Gewalt oder gar nur aus sexueller Lust (wie im Fall Teichtmeister), überlegen nur sehr selten, daß sie dafür ins Gefängnis gehen könnten. Und fehlgeleitete Kinder schon gar nicht — bei denen ist es nur noch leichter, ihnen mittels brutaler Strafen das Leben endgültig zu versauen.

Wirtschaftsverbrecher und Korruptionisten hingegen sind kühle Rechner — die überlegen es sich zweimal, was sie machen, wenn sie wissen, daß sie dafür in den Häfn kommen und vielleicht alles verlieren könnten. Deswegen funktioniert auch nur bei ihnen wirklich eine Strafe als präventive Drohkulisse. Oder besser: Sie würde vielleicht funktionieren, wenn sie nicht wüßten, daß man in Österreich eher für den Klau einer Tafel Schokolade ins Gefängnis kommt als für Bestechung, betrügerische Krida oder Steuerhinterziehung in Millionenhöhe.

Es sollte — nach den expliziten Grundsätzen unseres Justizsystems — eigentlich nicht um “Treffsicherheit” gehen. Das wäre nur beim Prinzip Rache relevant. Etwas anderes als das kann man aber wahrscheinlich von einem ehemaligen Soldaten und Innenminister nicht erwarten. Daß dieser aber davon ausgehen kann, daß weite Teile der Bevölkerung da mit ihm einer Meinung sind, ist eine der wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft.

Bernhard Redl

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