Wien: Rotgrüner Krach wegen Mindestsicherung?

Es kracht und knirscht wieder mal in der Wiener rotgrünen Rathausgemeinschaft. Nein, nicht wegen der Mahü – das ist zwar derzeit das kommunale Lieblingsthema, aber es gibt ganz andere Bomben, die da ticken. Denn während die Veränderungen auf der Mariahilferstraße unmittelbar für alle sichtbar sind, sind es nur relativ wenige, die die Folgen einer ganz anderen Rathausidee zu spüren bekommen könnten, wenn eine von der SPÖ im Oktober 2013 im Alleingang initiierte Landesgesetz-Novelle durchgeht. Das Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) soll – im Zuge der Abschaffung der befristeten Invaliditätspension – reformiert werden.

Und diese Reform hat es in sich – wenn sie auch für Nichteingeweihte kaum durchblickbar ist (siehe auch akin 25&28/2013). Fakt ist: Wenn die Betroffenen keine Ausgleichszulage mehr bekommen, bleibt durch die Bundesnovelle nun als letzte soziale Absicherung nur mehr die Mindestsicherung, die von den Ländern geregelt wird. Diese sehen sich damit konfrontiert, daß mehr Menschen nun diese letzte Nothilfe in Anspruch nehmen müssen. Deswegen will die Rathaus-SPÖ etwas dagegen unternehmen, daß das allzuviele Leute sein werden und greift zum Repressionsapparat: Nur wer sich willkürlich ansetzbarer „arbeitsintegrativen oder rehabilitativen Maßnahmen“ unterwirft und glaubhaft macht, selbst alles zu tun, um wieder arbeitsfähig zu werden, hat Anspruch auf die Mindestsicherung – eine Verschärfung der schon bisher ziemlich restriktiven Pflichten der Betroffenen zur Reintegration. Und um genau diese Repression geht es in dem Entwurf. So heißt es lakonisch in der Begründung: „Die Novelle ermöglicht die Abwendung drohender Mehrkosten.“

NGOs wie die „Aktiven Arbeitslosen“ laufen dagegen Sturm. Da bei der Rathaus-SPÖ kaum zu erwarten ist, daß diese sich davon beeindrucken läßt, wird der Protest zunehmend an die Grünen adressiert. Zuständig ist für dieses Thema Birgit Hebein. Bei Hebein stößt die Novelle aber sowieso auf Widerstand. Sie will stur bleiben und erklärt kategorisch: „Mit uns gibt es keine Verschärfung des Zugangs zur Mindestsicherung“.

Die Begutachtungsfrist endete im Jänner – für die SPÖ ist die Sache anscheinend beschlußreif. Nur zur Beschlußfassung angesetzt werden kann die Novelle nicht, weil es einen klaren Koalitionsbruch bedeuten würde, wenn der Beschluß mit FPÖ oder ÖVP und gegen die Grünen gefaßt würde.

Bleibt die Frage: Werden die Grünen die Gesetzesänderung letztlich doch akzeptieren und ihre Sozialsprecherin bitten, das großartige rotgrüne Projekt nicht noch mehr zu gefährden? Oder frißt die SPÖ die Krot und begräbt die Novelle – zumindest einstweilen mal?

-br-

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Kasten:

Last Exit Mindestsicherung

Die Verschlechterungen für die befristet Invaliditäts-Betroffenen (siehe Artikel nebenan) ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Bundes- und Landesgesetzgebung. Dadurch wird der Sozialstaat immer mehr in Richtung Leistungen aus der Mindestsicherung verschoben und diese nur mehr unter laufend strenger werdenden Kriterien gewährt. Die Caritas Wien faßte diese Misere in ihrer Stellungnahme zur WMG-Novelle zusammen:

„Durch den Wegfall der befristeten Invaliditäts- bzw, Berufsunfähigkeitspension sieht sich das System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung einer neuen Anspruchsgruppe gegenüber. Wurde befristet invaliden bzw. berufsunfähigen Personen bei geringen Pensionsansprüchen bislang ein finanzielles Existenzminimum durch die Ausgleichszulage im Rahmen der Pensionsversicherung gewahrt, wird dieselbe Personengruppe künftig fur aufstockende Leistungen zusätzlich zu einem unter der Mindestsicherungsschwelle liegenden Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld an die Bedartsorientierte Mindestsicherung verwiesen.

… Im Zusammenspiel dieser Reform mit dem System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung scheint uns Folgendes relevant: Es wird einmal mehr deutlich, dass das letzte System der sozialen Sicherheit … die ihm ursprünglich zugedachte Aufgabe langst eingebüßt hat. Diese bestand darin, die wenigen, a-typischen Fälle aufzufangen, die durch die engmaschig geknüpften, vorgelagerten Netze des Systems der sozialen Sicherheit fallen, allen voran jene der Sozialversicherung. Mit dem Wegfall der Normalitätsannahmen, auf denen das österreichische System der sozialen Sicherheit nach wie vor aufbaut (Vollbeschäftigung, Normalarbeitsverhältnis, male-breadwinner-family-Modell und Zwei-Eltern-Familien etc.) und fehlender bzw. ungenügender Reformen im Sozialversicherungssystem wurde aus der Ausnahme-Lösung ein immer wichtiger werdender Systembaustein im österreichischen Wohlfahrtsstaat. Im gegenständlichen Fall sind es Reformen im Sozialversicherungssystem selbst, die in Hinsicht auf die Sicherstellung eines finanziellen Existenzminimums zur ,Aussteuerung‘ aus dem Sozialversicherungssystem und zum Wechsel in das System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung führen.

Wien ist … im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ungleich mehr gefordert als jedes andere Bundesland. Wohl auch deshalb reagiert das Land Wien auf die Zuweisung einer neuen Gruppe von Anspruchsberechtigten, wie aus dem Novellierungsentwurf klar hervorgeht, mit Maßnahmen der Schließung, die eindeutig gegen das Verschlechterungsverbot der Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG verstoßen. …

Als Caritas der Erzdiözese Wien ist es uns im Rahmen unseres advokatorischen Auftrags wichtig, unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass mit dem Systemwechsel und den geplanten Änderungen im WMG gravierende Verschlechterungen für die Personengruppe derer, die bislang befristete Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension bezogen haben, absehbar sind, sofern sie, statt Ausgleichszulage zu beziehen, auf aufstockende Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung angewiesen sind. Dass es sich hierbei um eine besonders verwundbare Personengruppe handelt, muss nicht weiter erläutert werden.“

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Links:
Caritas-Stellungnahme: http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/begutachtung/pdf/2013021s8.pdf
Gesetzentwurf: http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/begutachtung/html/2013021.html Petition: http://chn.ge/1hgC0QN

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