Dann sollen sie eben Marillenkuchen essen!

Eine Polemik

 

Es ist nicht nett, immer nur auf die Sozialdemokratie mit dem Finger zu zeigen, wenn es peinlich wird, bloß weil man an diese vielleicht noch eine Erwartungshaltung hat. Es gibt aber Situationen, in denen sich das nicht vermeiden läßt, weil man mehr fressen möchte, als man kotzen kann. Was ist passiert? Die Parteichefin Frau Rendi-Wagner hat mit ihrer Tochter einen Kuchen gebacken, um es präzise zu beschreiben, einen Marillenkuchen. (Warum ich das weiß? Nein, ich war nicht eingeladen. Ich weiß das, weil die SPÖ diese Aktivität ihrer Vorsitzenden über Internet verbreitet.) Marillenkuchen ist super. Mir schmeckt Marillenkuchen. Wenn er saftig und gut gemacht ist, ist er eine bekömmliche Nachspeise. Wenn ich mir die heimatverbundenen in Österreich lebenden Personen vorstelle, stelle ich mir die Freude vor, die diese beseelen mag, wenn es jetzt bald wieder heimische Marillen zu kaufen geben wird, die Marillen, die nicht sofort verspeist werden, eignen sich hervorragend dafür, Marillenkuchen – auch zum Einfrieren – zu backen und den Rest zu Marmelade zu verarbeiten. Mitten im Winter muss einem doch das Herz höher schlagen, wenn man selbst gemachte Marillenmarmelade zum Sonntagsfrühstück servieren kann oder diese zum Keksbacken weiterverarbeiten wird können. Vorausgesetzt man hat eine Speisekammer zur Verfügung.

Frau Rendi-Wagner hat mit einem Photo eines Stückes Marillenkuchen belegt, dass sie Kuchen backen kann, und zwar sogar gemeinsam mit ihrer Tochter. Jetzt ist es mir aber egal, ob die Vorsitzende der SPÖ Kinder hat, es ist mir egal, ob sie sich mit diesen gemeinsam privat betätigt, und es ist mir egal, ob sie backen kann. Es ist ja nicht so, dass sie sich um einen Job in einer Konditorei beworben hätte. Wenn ich einer Bäckermeisterin ein Stück Kuchen abkaufe, freue ich mich, wenn er schmeckt, noch mehr freue ich mich, wenn ich das Gefühl habe, dass die Bäckermeisterin Freude an ihrer Arbeit hat und stolz auf das Ergebnis ihrer Arbeit ist. Backen ist eine hohe Kunst.

Eine Politikerin wähle ich dann, wenn ich denke oder vermute, dass diese von der hohen Kunst der Politik etwas versteht. Es interessiert mich nicht, was Politiker_innen zu ihrer Entspannung, in ihrer Freizeit oder ihren Ferien machen. Es interessiert mich, welche Ideen die Sozialdemokratie hat, um sich in unserer Gesellschaft erfolgreich um mehr soziale Gerechtigkeit zu bemühen. Es interessiert mich sehr, was Frau Rendi-Wagner zum Thema Armut, Armutsgefährdung, Altersarmut, Kinderarmut, fehlende Chancengleichheit und Arbeitslosigkeit zu sagen hat. Es würde mich sehr interessieren, welche Konzepte die Sozialdemokratie aktuell verfolgt, um etwas zu einem sozialen Ausgleich beizutragen. Ich möchte gerne wissen, ob sich die Spitze der Sozialdemokratie überhaupt noch bewußt ist, dass es eine Schere zwischen Arm und Reich zu schließen gilt.

Ich sollte mich über den Marillenkuchen nicht so aufregen. Er erinnert halt nur so an die erzählte Geschichte der Marie-Antoinette als einen Auslöser für die französische Revolution. (Wienerisch gesagt: Des is aufglegt!)

Viel unerträglicher, oder besser gesagt, besonders unerträglich ist die von Rendi-Wagner immer wieder betonte Haltung, alles für Rauchverbote tun und unterstützen zu wollen. Das müsse man ihr glauben, das sei ihr ein Anliegen, im Bereich Gesundheit kenne sie sich eben sehr gut aus, das sei ihre Profession. Gut, sie kennt sich aus, wenn es um Gesundheit geht. Ich weiß nicht, vielleicht bin ich einfach nur naiv. Gesundheit finde ich nämlich sogar wichtig. Wenn mir eine Sozialdemokratin erzählt, Gesundheit sei ihr wichtig, bin ich total einverstanden mit dem Gesundheitsengagement. Jetzt wissen wir alle, dass Arbeitslosigkeit und Armut krank machen. Wer nicht genug Geld hat, kann nicht gesund leben. Wer nicht genug Geld hat, kann sich das gesündere Gemüse am Obst- und Gemüsemarkt nicht leisten. Fleisch ist billiger. Weißbrot vom Hofer ist billiger als Vollkornbrot vom Bäcker.

Gesund leben heißt zuerst einmal gesund Essen zu können. Das ist teuer. Gesundheit lebt von der Möglichkeit, ein wohlgesonnenes soziales Umfeld zu haben. Die Armutskonferenz brachte als ein Beispiel von Armut den sozialen Ausschluss, der passiert, wenn ein Mensch, der wenig Geld hat, es sich nicht mehr leisten kann, etwa einmal im Monat Freunde zum Essen einzuladen. Soziale Isolation macht krank. Dieser Gewaltdynamik ausgesetzt — und Armut ist eine Form struktureller und kultureller Gewalt — wäre es doch wünschenswert, sozialdemokratische, sprich: sozial verantwortungsvolle Antworten zu bekommen, die eine Perspektive zum Ausbruch aus dieser Gewaltspirale anbieten.

Ja bitte, wenn doch die Frau Rendi-Wagner Gesundheit als hohes Gut einschätzt, ist es denn dann zuviel verlangt, erfahren zu wollen, mittels welchen Wegen die Sozialdemokratie Menschen aus Armut und Armutsgefährdung herausholen möchte? Es ist ja nur wegen der Gesundheit.

Angesichts der Statistiken der österreichischen Armutskonferenz ist es eine wenig durchdachte Bobo-Debatte, sich mittels Rauchverbotsideen Popularitätswerte sichern zu wollen. Das geht uns am „Oasch vorbei“, weil wir schon lange nicht mehr auf der „Insel der Seligen“ leben, schon lange nicht mehr die Situation haben, dass jeder und jede genug Geld zum Leben und ein Dach über dem Kopf haben können muss.

Kreisky ist schon lange tot. In bezug auf seine Nachkommen in der Sozialdemokratie hätte er wohl nicht die allerbeste Meinung. Vielleicht würde er aber auch nur altersweise brummen: Dann sollen sie halt Kuchen essen.

rosalia krenn, wutbürgerin

 

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