Afghanistan-Flüchtlinge: Mehr Effizienzdenken nötig?

Nachfolgender Text wurde bereits im Juli verfaßt – die darin erwähnte baldige Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan ist mittlerweile Fakt. Die Debatten über Afghanen in Österreich haben sich daher zwar etwas verschoben, die hier vorgestellten Diskussionsansätze sind deswegen aber nicht weniger aktuell. Allerdings muß der Redakteur der akin sagen, daß ihm ein wenig mulmig bei diesem Text ist. Aber vielleicht ist eine derart kynische Art der Herangehensweise an die Problematik sinnvoller als die bisherigen Frontlinien der Debatten.

Mehr abschieben oder besser integrieren?

Von Karl Czasny

In der Nacht auf den 26. Juni 2021 stirbt die dreizehnjährige Leonie, nachdem sie davor mit bis zu elf Ecstasy-Tabletten betäubt und mehrfach vergewaltigt wurde. In dringendem Tatverdacht stehen vier junge Afghanen.

Die Diskussion um mögliche Konsequenzen aus diesem schrecklichen Verbrechen wogt im Spannungsfeld zwischen zwei Standpunkten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Während die einen vermehrtes und zügigeres Abschieben von nicht-integrationswilligen Asylwerbern befürworten, fordern die anderen früher einsetzende und intensivere Integrationsbemühungen. Ich möchte hier einen Vergleich zwischen beiden Positionen anstellen, der den ewigen Streit zwischen rechten Sicherheitsfetischisten und linken Gutmenschen kurz beiseitelässt und sich dem Sicherheitsthema mit nüchternem Effizienzdenken nähert. Aus dieser Perspektive geht es nur um zweierlei. Erstens um die Frage, welche der beiden zur Diskussion stehenden Strategien künftig zu einer stärkeren Reduktion der Anzahl derartiger Verbrechen führen könnte. Und zweitens um eine Kosten-Nutzen-Bilanz bei den gesellschaftlichen Nebenfolgen der jeweils gewählten Sicherheitsstrategie.

Meinem Vergleich liegt eine kriminalsoziologische Modellierung zugrunde, welche die komplexe Ausgangslage zwar stark vereinfacht, dafür aber die Sicht auf den in vielen einschlägigen Diskussionen zu wenig beachteten Effizienzaspekt erleichtert. Vor dem Hintergrund der Kriminalstatistik der Jahre 2019 und 2020 unterstellt diese Modellierung, dass von den etwa 45.000 in Österreich lebenden Afghanen rund 1 Promille, also 45 Personen, in den letzten 5 Jahren eine Vergewaltigung begangen haben. Eine bloße Unterstellung ist diese Annahme aus zwei Gründen: einerseits überschätzt sie die tatsächliche Anzahl einschlägiger Straftaten, weil die Kriminalstatistik nur Verdächtigungen (also keine durch Gerichtsurteil bestätigten Tatbestände) zählt. Andererseits sind in ihr die bereits vor 2019 gerichtlich bestätigten Vergewaltigungen nicht mehr enthalten.

Ferner geht die Modellierung davon aus, dass die seit dem Abschluss eines Rückführungsabkommens mit der afghanischen Regierung im Oktober 2016 durchgeführten rund 1.500 Abschiebungen von Afghanen weitere fünf Vergewaltigungen verhindern konnten. Diese Zahl ist natürlich nicht empirisch belegbar, da ja kriminelle Handlungen, die nicht stattgefunden haben, nicht beobachtet bzw. gezählt werden können. Sie resultiert vielmehr aus der Annahme, dass in der Gruppe der Abgeschobenen eine im Vergleich zur Gesamtheit aller Afghanen deutlich höhere Tendenz zum Begehen einer Vergewaltigung besteht. Setzt man einen auf das Dreifache erhöhten Wert an, dann resultieren (bei entsprechender Rundung) die genannten fünf durch Abschiebung verhinderten Straftaten.

Der so modellierten Entwicklung der vergangen fünf Jahre stelle ich nun zwei alternative Abläufe gegenüber, die eingetreten wären, wenn entweder die Sicherheitsfetischisten oder die Gutmenschen vermehrt Einfluss auf das Geschehen genommen hätten.

Bei der ersten Variante wäre die Anzahl der Abschiebungen im allerbesten Fall doppelt so hoch gewesen, wodurch man nicht bloß fünf, sondern zehn Vergewaltigungen verhindert hätte, sodass statt 45 nun 40 Verbrechen des genannten Typs zu beklagen wären.

Bei der zweiten Variante hätte man die Integrationsbemühungen derart intensiviert und verbessert, dass bei der Gesamtgruppe der in Österreich lebenden Afghanen ein leichtes Sinken der Wahrscheinlichkeit von Vergewaltigungsdelikten eingetreten wäre – vielleicht von derzeit 1 auf 0,9 oder 0,8 Promille. Die relative Häufigkeit dieses Delikts bei den Afghanen, die aktuell rund 10 Mal so hoch ist wie bei der inländischen Bevölkerung, wäre damit zwar auf das bloß 9- bzw. 8-fache des Vergleichswerts bei den Inländern reduziert. Beim Zählen der absoluten Häufigkeiten würde das aber nur einem Rückgang von 45 auf 41 bzw. 36 einschlägige Delikte entsprechen.

Selbstverständlich hätte keine der zwei hier verglichenen Strategien das an Leonie begangene Verbrechen mit Sicherheit verhindert. Das Ergebnis dieser Gegenüberstellung zeigt jedoch, dass im Prinzip beide Vorgehensweisen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Untaten in ähnlichem Ausmaß reduzieren können. Zumindest kurz- und mittelfristig ist dieses Ausmaß leider auch bei der die Probleme an ihrer Wurzel packenden Integrationsstrategie nicht sehr groß. Deren wesentlicher Vorteil gegenüber der Abschiebe-Variante besteht allerdings darin, dass es bei ihr ausschließlich an uns selbst liegt, in welchem Ausmaß wir unsere Sicherheitsbemühungen intensivieren. Während wir nämlich jederzeit eine Verstärkung unserer Integrationsanstrengungen beschließen können, wird unser Aktionsspielraum bei den Abschiebungen ganz wesentlich von der politischen Entwicklung im jeweiligen Herkunftsland der Asylwerber und von den durch die Menschenrechte gesetzten Schranken eingeengt. In diesem Sinn ist es höchst zweifelhaft, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, die in der ersten Variante unterstellte Verdoppelung der Abschiebehäufigkeit zu realisieren.

Ebenso wichtig wie die unmittelbaren Resultate einer bestimmten Strategie zur Kriminalitätsbekämpfung ist das jeweilige Bündel an gesellschaftlichen Nebeneffekten. Und hier stoßen wir dann auf drei weitere große Vorzüge der Integrationsstrategie.

Der erste zeigt sich beim Blick auf die Empfänger der Gelder, die jeweils fließen müssen, um die gewünschte Ausweitung der Sicherheitsaktivitäten in die Wege zu leiten. Bei der Beschleunigung von Abschiebungen fließen diese Gelder in die Kassen jener oft sehr düsteren Gestalten, welche die Herkunftsländer der abzuschiebenden Asylwerber regieren. Handelt es sich dabei um Afghanen, werden das schon demnächst die kurz vor der Machtübernahme stehenden Taliban sein. Im Fall vermehrter Integrationsbemühungen kommen die zusätzlich fließenden Gelder dagegen zur Gänze unserem eigenen Wirtschafts- und Sozialgefüge zugute. Daran sind vor allem die Anhänger von Herbert Kickl zu erinnern, aus dessen Feder der Slogan „Unser Geld für unsere Leut'“ stammt.

Der zweite Vorteil der Integrationsstrategie wird deutlich beim Blick auf die sozialen und ökonomischen Effekte, welche mit den bei beiden Strategien einzusetzenden Finanzmitteln erzielt werden. Während diese Effekte bei der Abschiebestrategie ausschließlich in den jeweiligen Herkunftsländern der Abgeschobenen zum Tragen kommen, profitieren im anderen Fall wir selbst. Denn hier werden Potentiale des sozialen Zusammenhalts auf verschiedensten Ebenen mobilisiert und die Einkommensmöglichkeiten von in Österreich lebenden Menschen verbessert, sodass sich die in der aktuellen Krisenzeit so wichtige Widerstands- und Regenerationsfähigkeit unserer Gesellschaft erhöht.

Der dritte Vorteil der Integrationsstrategie folgt unmittelbar aus dem zweiten: Wo sich die Integration von Zuwanderern und der soziale Zusammenhalt einer Gesellschaft verbessern, sinkt auch die Gefahr von islamistischer Radikalisierung, was in weiterer Folge zu einem entsprechenden Rückgang der Terrorgefahr führt.

Damit muss ich aber am Schluss nun doch noch einmal auf den Streit zwischen linken Gutmenschen und rechten Sicherheitsfetischisten zurück kommen. Zeigt doch die Gesamtbilanz des nüchternen Effizienzvergleichs, dass erstere die bei weitem effizienteren Sicherheitsmanager sind.

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