Wie der Schelm spricht

“Hahaha, Live’s a stage where every man must play his part, haha, o, my!”
(Elvis Presley)

Politiker und Journalisten haben ein gemeinsames Problem: Zu ihrem Job gehört es, sich verstellen zu können. Bei Politikern ist das klar: Die müssen oft genug schlicht lügen oder zumindest so tun, als würden sie ihr Gegenüber ernst nehmen oder gar achten, weil die Widersprüche eklatant sind zwischen dem, was sie für Staats- oder Parteiräson halten, und dem Bild von sich in der Öffentlichkeit, das sie als zu wählende Volksvertreter aufrechterhalten wollen. Ohne Schwindeln und Heucheln geht da gar nichts. Das hat aber noch gar nichts mit Korruption zu tun, sondern schlicht mit dem Prinzip dessen, was man so repräsentative Demokratie nennt. Wenn dann aber privat gemachte abfällige Äußerungen oder illegitime Abmachungen bekannt werden oder eindeutige Lügen als solche enttarnt werden, müssen sich diese Politiker dafür rechtfertigen und entschuldigen sich manchmal sogar dafür — in der Hoffnung, daß damit alles wieder gut ist. Das funktioniert aber nur teilweise, weil ja klar ist, daß der Politiker trotzdem so denkt, wie er gesprochen oder gehandelt hat.

Repräsentant ist aber auch der Journalist. Er steht stellvertretend für den Bürger, in dem er Informationen zusammensucht, sichtet und ordnet, die den Bürger interessieren könnten — so das Idealbild. Besonders auffällig wird diese Funktion, wenn der Journalist als Akteur in einer Interviewsituation ist — hier gilt eben auch das Diktum, daß der Journalist jene Fragen stellen soll, von denen er annimmt, daß sie auch aus seinem Publikum an den Interviewten kämen. Was den Journalisten selbst interessiert, soll dabei in den Hintergrund treten. Auch hier ist es also notwendig, daß der Interviewer bis zu einem gewissen Grad Theater spielt, also so tut, als würde ihn die Antwort auf eine Frage wirklich auch persönlich interessieren — denn allzu technokratisch abfragend will er ja auch nicht wirken, ist er doch ebenfalls von seinem Publikum abhängig. Schließlich muß politische Berichterstattung auch immer einen Unterhaltungswert haben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Das Medium ist selbst nicht unabhängig vom Publikum, sondern muß sich eben auch gut verkaufen. Ein trocken-kynischer Zugang ist nicht das, was man vom Befrager erwartet, der ja auch ein Identifikationsobjekt für das Publikum sein möchte.

Das Problem dabei: Mit diesem Anspruch müßte er auch unfaire Unterstellungen transportieren, wie sie von einem Publikum kämen, könnte dieses selbst die Fragen stellen. Aber wie weit kann, darf oder muß da ein Journalist gehen? Und wann ist diese Publikumsvertretung nur eine willkommene Ausrede für eine tatsächlich vorhandene Grundhaltung und Vorurteilshaftigkeit des Interviewers gegenüber dem Interviewten? Oder umgekehrt: Wie glaubwürdig ist ein Journalist, der harte, zum Teil auch unfaire Fragen seinem Gegenüber stellt, und dann vielleicht bei nächster Gelegenheit bei irgendeinem gesellschaftlichen Event zeigt, wie gut verhabert er doch mit ebenjenem Politiker ist, den er gerade erst zur Sau gemacht hat?

Der Fall Patterer
Wir durften vor eineinhalb Wochen den Auftritt eines Journalisten bei der ORF-Pressestunde erleben, der für so manche Empörung sorgte, weil er gar zu lächerliche, aber auch suggestive Fragen stellte — aufgefallen ist das vor allem deswegen, weil das Blatt, das der Journalist hier vertreten hat, eindeutig einer anderen Partei nahesteht als die interviewte Person: Hubert Patterer von der tiefschwarzen “Kleinen Zeitung” interviewte Elke Kahr, seit 3 Monaten neue Grazer Bürgermeisterin und eben tiefrot. Patterer gab den Kommunistenfresser und erzeugte auch den Eindruck, daß er Kahr nicht nur ihre Mitgliedschaft in der KPÖ, sondern vor allem die Demontage ihres Vorgängers von der ÖVP, Siegfried Nagl, nicht vergeben konnte.

Das entsprechende Echo konnte man dann in den Sozialen Medien nachlesen — und zwar nicht nur von Kahr-Fans. Der Chef der “Salzburger Krone”, Claus Pandi, wohl nicht unbedingt ein KP-Wähler, twitterte sarkastisch dazu: “Den Befragenden in der Pressestunde des ORF ist es durch heroischen Verzicht auf das Ansehen ihrer Personen gelungen, Frau Elke Kahr bei einem weit über den Sympathisantenkreis der KPÖ hinausreichenden Publikum Ansehen zu verschaffen.”

Florian Klenk hingegen sprang Patterer auf Facebook bei: Es sei doch “völlig in Ordnung, dass der Chefredakteur der Kleinen Zeitung Elke Kahr bezüglich Ihrer Ideologie und der Geschichte der KPÖ hart befragt. Sie kann dann ja klug antworten, was sie (bei den meisten Fragen) getan hat. Wer Journalisten attackiert, weil sie (beliebte) Politiker hart fragen, hat Journalismus nicht verstanden.”

Patterer selbst allerdings gestand zwei Tage später selbstkritisch in der “Kleinen”, daß sein Auftritt vielleicht doch etwas daneben und daß manche Vorwürfe einfach unsachlich waren, so etwa sein Vergleich von Kahrs Gehaltsspenden mit Jörg Haiders Geldverteilaktionen: “Es war Steuergeld, nicht seines.”

Patterer schildert seine Herangehensweise ganz nach lege artis: “Man ist nicht unvorbereitet: Man überlegt sich im Vorfeld, wo ein Politiker oder eine Politikerin im öffentlichen Reden oder Handeln Raum geöffnet hat für kritisches Nachstoßen oder Anlass gab für Irritation. Das ist die übliche Versuchsanordnung, mit der man in ein solches Sendeformat geht. Man nimmt gleichsam spielerisch eine oppositionelle Haltung ein, ohne deshalb in Opposition zur Person oder ihrer Politik stehen zu müssen. Die Grazer Bürgermeisterin ist ein herzlicher, charismatischer Mensch, dieses Bild will man nicht hochmütig dekonstruieren, es ist aber auch keine journalistische Beurteilungskategorie, die zu Milde oder Harmonie verpflichtet.” Letztendlich will er in seinem Erklärtext aber nicht sehen, daß seine “oppositionelle Haltung” doch etwas mehr war als nur “spielerisch”, sondern eben lediglich ein taktischer Fehler: “Was wir als Phänomen unterschätzt haben: Elke Kahr ist das Unten, auch im hohen Amt. Wer am Bild in Ausübung seines Berufes kratzt, ist plötzlich selbst das Oben und wird dem ‘System’ zugeschlagen, am besten dem rechten, männlichen und katholischen in einem.”

Genau hier liegt aber Patterers Fehler: Kahr ist vielleicht im Amt der Bürgermeisterin nicht mehr “unten”. Aber der Chef der Kleinen Zeitung ist sicher ein Mitglied der gehobeneren Kreise und würde mit ähnlich gelagerten Vorhalten und Unterstellungen seinesgleichen wohl nicht konfrontieren, sondern sich lediglich auf Widersprüche innerhalb der ideologischen Übereinkünfte dieser gesellschaftlichen Schicht konzentrieren. Er ist das, was er nicht wahrhaben will; er gehört nunmal zu diesem “Oben”. Und genau deswegen muß er es für einen populistischen Trick halten, wenn Kahr lieber ihre alten IKEA-Kastel im Büro hat als Nagls teure Designermöbel.

Der Fall Dannhauser
“Es gibt da jenen Vorhalt, daß sie da jedes Jahr ein Jugo-Fest da machen, so quasi dem Tito-Kult huldigen. … Es gibt auch viele, die an den Zweiten Weltkrieg und an die Folgen und an die Vertreibungen erinnern … Was wollen Sie mit diesem Jugo-Fest erreichen und wie stehen Sie zu Tito?”
So fragte ORF-Gastgeberin Claudia Dannhauser Elke Kahr. Auch hier kann man argumentieren, daß die bürgerliche und vor allem die ganz besonders in Graz jahrezehntelang sehr starke Wählergruppe des sogenannten Dritten Lagers genau solche Kritik äußern könnten. Dannhauser ist sich auch der Problematik dieser Frage bewußt und entschuldigt sich vorab damit, sie hätte aus dem Publikum solche Anfragen erhalten. Allerdings wird trotzdem damit transportiert, daß es legitim sei, die AVNOJ-Beschlüsse als zumindest gleich schlimm wie die Verbrechen der Wehrmacht und der Ustascha in Jugoslawien anzusehen. (Besonders seltsam ist das aber natürlich auch, wenn gerade zur gleichen Zeit diskutiert werden muß, ob jemand, der beim Ulrichsbergtreffen Wehrmachtsapologetik treibt, wirklich geeignet ist als Chef der Kärntner StaPo.)

Muß denn das Bedienen von im Volk vorhandenen Meinungen soweit gehen, daß auch der Nazirevanchismus seinen Platz bei der Befragung einer kommunistischen Politikerin hat? Ich glaube nicht. Auch deswegen nicht, weil andere große Gruppen keineswegs so von ORF-Journalisten repräsentiert werden. Stellt man der Grazer KPÖ die Frage, ob ein Jugofest legitim wäre, hätte man vorher dem jetzt ehemaligen Bürgermeister Nagl erst recht die Frage stellen müssen, ob seine Beteiligung an irgendeiner katholischen Messe oder sonstigen christlichen Veranstaltung angesichts der Geschichte der Kirche heute noch angebracht sei — schließlich sind kirchenkritische Atheisten mittlerweile auch keine kleine Gruppe mehr in Österreich und müßten bei entsprechenden Themen von befragenden ORF-Journalisten repräsentiert werden. Das passiert aber nicht. Bis vor wenigen Jahren wurde schwarzen und roten Politikern im ORF oder den Printmassenmedien nicht einmal ein Vorhalt gemacht, wenn sie zu eben jenen Ulrichsbergtreffen gingen oder sich mit deutschnationalen Burschenschaftern gemein machten. Und ganz bestimmt nie wird man den Wirtschaftskammerpräsidenten fragen, ob er keine Probleme damit habe, auch Großkapitalisten vertreten zu müssen, die nicht einmal Kollektivvertragslöhne zahlen, keine Betriebsräte zulassen oder die Mietpreise in die Höhe treiben.

Auch der ORF tut gerne so, als wäre er nach allen Seiten gleich kritisch, aber letztendlich stammen doch seine Akteure zumeist aus einer bildungsbürgerlichen Schicht, die sich mehr der Staatsräson und natürlich ihren politisch bestimmten Chefitäten als der demokratischen Auseinandersetzung verpflichtet fühlen.

Der Fall Mikl-Leitner
Sollen wir uns wirklich darüber empören, daß die niederösterreichische Landeshauptfrau die Sozialdemokratie als “rotes Gsindl” bezeichnet hat? Ja, sicher, “Gsindl” ist kein Ghörtsi und als Politikerin sollte sie nicht so denken. Aber natürlich tut sie es und auch der oft zitierte politische Mitbewerber, den sie da beschimpft hat, tut das selbst auch. Vielleicht hätte man nach der Kurz-Ära mehr Verständnis dafür, wenn man in der SPÖ die ÖVP für Gsindl hält, aber das wars auch schon mit den Unterschieden. Politische Parteien sind von Natur aus verfeindet und sollen es auch sein, damit die check and balances inclusive dieses “Macht braucht Kontrolle” wenigstens ansatzweise funktionieren kann. Es scheint halt nur wichtig zu sein, die Fassade aufrechtzuerhalten, gerade bei gewichtigen Ämtern.

Wobei es halt auch auf die Art der Fassade ankommt und wie die Schädigung passiert. MiLeis “Gsindl” war in einer privaten Textnachricht und das paßt halt nicht zum Bild einer großbürgerlichen Landesfürstin. Michael Häupls Sager von den “mieselsüchtigen Koffern” hingegen war zumindest halböffentlich (beim Bundesparteirat 1999) und erzeugte bei den anderen Parteien auch das, was man für Empörung halten soll, hat aber Häupl, der immer eher den hemdsärmligen Fiaker gab und weniger den abgehobenen Akademiker, nicht geschadet — eher im Gegenteil. Denn die Fassade des intellektuellen Machtpolitikers war eben eine proletarische, eine wo klar ist, daß da jemand aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Wobei bei Häupl der nicht ganz unberechtigte Verdacht besteht, daß diese seine Art eben nicht nur Fassade ist, sondern eben die Identität als “Entertainer”, als der er sich selbst einmal bezeichnet hat.

“Wie der Schelm spricht, so denkt er auch” ist nicht nur die volkstümliche Variante der freudschen Fehlleistung, sondern bezeichnet auch die Entlarvung durch Sprechweise und Vokabular. Bei Häupl gabs da nichts zu entlarven und dessen heftigste Sager waren sowieso immer öffentlich. MiLei hingegen will weg von ihrem Image als rigorose Innenministerin, die sie mal war, hin zum Bild von der gütigen Landesmutter, die für alle ihre Untertanen immer ein offenes Ohr hat. Da kann sie sowas nicht gebrauchen.

Das hat aber auch etwas mit der betont konfliktscheuen Politik in Österreich zu tun. Man nennt das beschönigend “konsensorientiert” und spricht vom “Geist der Lagerstraße”, wenn man den heute nicht mehr so ganz funktionierenden Proporz meint, also die Aufteilung der Republik in Einflußsphären der beiden damaligen Großparteien in den ersten 50 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In Wirklichkeit war es aber wohl ein Gleichgewicht des Schreckens und statt des Geistes der Lagerstraße war eher konstitutionell der gemeinsame Antikommunismus und die Sozialpartnerschaft; begründet auf der “Kommunistenputsch”-Lüge von 1950. Man mochte sich nicht, aber man teilte sich die Republik halbe-halbe auf.

Das kommt heute halt auch ein bisserl blöd angesichts des Abwärtstrends der beiden Staatsparteien und des Erringens des Grazer Bürgermeisteramts durch die KPÖ.

Der Fall Kahr
Was MiLei am Liebsten wäre, wäre wohl — was sie in 100 Jahren nicht zugeben würde — das Image von Elke Kahr. Das wird sie aber nicht kriegen, denn Kahr ist halt echt. Und das ist noch schlimmer als ihr Bekenntnis zum Kommunismus. Das kulminierte dann eben auch in der Frage Patterers: “Sie sind jetzt nicht mehr die Sozialarbeiterin, auch nicht mehr die Sprechstundenpolitikerin, Sie sind die Managerin der zweitgrößten Stadt in diesem Land, ist Ihnen das bewusst und nehmen Sie diese Rolle an überhaupt?”
Hier besteht die berechtigte Befürchtung, Kahr könnte dieses Spiel nicht mitspielen. Eine Grazer Bürgermeisterin gehört — obwohl “nur” Kommunalpolitikerin — sehr wohl zur Oberliga der österreichischen Politik. Und die hat gefälligst Machtpolitik zu machen und somit ein falscher Fuffziger zu sein wie alle anderen auch. Sie soll keine Volksvertreterin mehr sein, sondern “Managerin”.
Was Kahr aller Voraussicht nach wohl nie werden wird. Die Gefahr, daß das Schule macht, ist zwar gering, denn sie ist eben eine Ausnahmepolitikerin. Die meisten anderen machen dann eben doch Politmanagement statt Volksvertretung. Aber immerhin: Das Fürchten hat Kahr der classe politique und deren Hofberichterstattern jetzt doch ein bisserl gelehrt. Denn sie sagt öffentlich, was sie denkt — und grinst schelmisch dazu.

Aber bei den Anderen wird es wohl bei business as usual bleiben. Von unserem Bundesgrafen und Interimskanzler hörten wir oft die Floskel: “Ich sage Ihnen ganz offen…” Ja, eh! Das is das mit Kästners Kakao, von dem man nicht auch noch trinken soll, wenn man durch ihn gezogen wird.

Bernhard Redl

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