Laute Pfui-Rufe sind kein Argument, auch nicht, wenn es um die Reinwaschung des israelischen Staates geht.
Peter Florianschütz, sozialdemokratischer Gemeinderat und Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft (ÖIG) reitet wieder. Denn natürlich bringt ihn der jüngste amnesty-Bericht auf den Hedscherlberg. Aber auch wenn man empört ist, sollte man sich ein wenig informieren, bevor man zur Feder oder in die Tasten greift. Lediglich Letzteres hat Florianschütz getan und da sein Offener Brief beispielhaft ist für viele Reaktionen, sei er hier ausführlich gewürdigt.
Florianschütz schreibt an Amnesty International, Österreichische Sektion: “Mit diesem Schreiben nehmen wir Bezug auf den, vom englischen Ableger Ihrer Organisation in London veröffentlichten, Bericht zum Staat Israel, der auch auf ihrem öffentlichen Internetauftritt präsentiert wird.”
Schwerer Fehler, gleich im ersten Satz Unkenntnis zu zeigen. Denn ai in London ist nicht der “englische Ableger” sondern das Headquarter von amnesty international, das prinzipiell für die ganze NGO spricht inclusive aller nationalen Branches.
Weiters erklärt der Brief, daß die Einschätzung amnestys, Israel erfülle den Tatbestand der Apartheid, “einseitig, falsch, delegitimierend, dämonisierend und mit doppelten Standards vorgenommen” worden sei: “Die Terrororganisationen Hamas, Palästinensischer Islamischer Dschihad und PFLP begrüßten hingegen den Bericht, was für eine Menschenrechtsorganisation wohl ein Beleg für ihr Versagen sein muss.”
Auch nicht wirklich überzeugend als Argumentation. Wenn amnesty beispielsweise die Türkei kritisiert und die PKK das für gut befindet, sagen die hiesigen AKP-Ableger sicher auch, daß amnesty “versagt” habe. Und wenn amnesty Syrien anklagt, wird sicher die ÖIG nichts dagegen haben. Der Applaus von der falschen Seite alleine beweist aber kein Unrecht.
Dann der übliche Hammer: “Der Bericht hat offensichtlich die Intention, den Staat Israel schon seit seiner, von den Vereinten Nationen beschlossenen, Gründung 1948 als sträflich und illegitim zu etikettieren und damit sein Existenzrecht zur leugnen.”
Aber jetzt wirds schräg: “Nicht anders können wir zum Beispiel die völlig unreflektierte Gleichsetzung der legalen Situation der Bevölkerung des Staates Israels mit der in der Westbank und im Gazastreifen verstehen.” Äh? Weil die Palästinensergebiete ein souveräner Staat sind und mit Israel nichts zu tun haben, genausowenig wie die israelischen Siedler in diesen Gebieten? Und wie ist das jetzt genau mit dem Jerusalem-Statut?
Darauf aufbauend wird dann geschildert, wie demokratisch und multikulturell eben dieses Israel sei, was sicher eine gewisse Berechtigung hat, wenn man eben nur jenes Territorium betrachtet, das 1948 als Israel begründet worden ist. Nur ist das eben nicht das Gebiet, dessen Grenzen Israel kontrolliert.
Und dann gibts in dem Brief zum Drüberstreuen noch ein bisserl Pinkwashing: “Der aktuelle Gesundheitsminister ist etwa aus der LGBTQ-Community.” Ein unwiderlegbarer Beweis, daß Israel kein Apartheid-Staat sein könne!
Lieber Herr Florianschütz, Sie haben wohl noch nie versucht, das amnesty-Headquarter in London für einen Gewissensgefangenen oder eine unterdrückte Minderheit zu mobilisieren. Wäre dem so, wüßten Sie, daß die dort fürchterlich anstrengend sind. Während viele andere Menschenrechtsorganisationen schon auf Hörensagen reagieren, weil ihnen ein bestimmter Fall politisch in den Kram paßt, braucht amnesty -zig Belege für eine Menschenrechtsverletzung. Bei einem Fall eines einzelnen Gewissensgefangenen ist es schon schwierig, Unterstützung von ai zu bekommen, bei Länderberichten wird ein Aufwand betrieben, der jede noch so seriöse journalistische Berichterstattung in den Schatten stellt. Dazu kommt auch noch eine gewisse diplomatische Vorsicht der NGO, um nur ja nicht der Einseitigkeit geziehen werden zu können. Genau deswegen ist aber ai so glaubwürdig: Was die an Ungeheuerlichkeiten aus der Welt berichten, hat üblicherweise Hand und Fuß und ist meistens nur jenes Minimum, das sich beweisen läßt. Natürlich gab es in den 60 Jahren seit Bestehen der Organisation auch manchmal wirkliche Fehler, aber die waren selten. Wenn ai aber sich soweit rauswagt, Israel als Apartheid-Staat nach den hochoffiziellen Definitionen des Völkerstrafrechts einzuschätzen, dann ist das wohl kaum Jux und Tollerei.
Das kann man nicht wegwischen mit dem Argument, daß der Gesundheitsminister schwul ist. Wobei dieser übrigens auch kein idealer Kronzeuge für die Verdammung von amnesty ist. Denn Nitzan Horowitz ist auch Vorsitzender der linken, wenn auch zionistischen Partei Meretz, die die israelische Araberpolitik immer kritisiert hat. Horowitz persönlich meinte 2019 sogar, daß die Gefahr bestünde, daß sich Israel “in eine Art von Apartheid-Staat” wandeln könnte.
Und was sagt eigentlich der amnesty-Zweig in Israel dazu? Natürlich das Gleiche wie das Headquarter in London, denn ohne Zustimmung dieser lokalen Organisation hätten die Londoner wohl nie diesen Bericht verfaßt. Allerdings hat amnesty Israel eine Einschränkung zu machen — und zwar nicht aus inhaltlichen, sondern aus rechtlichen Gründen. Auf deren Homepage steht zu lesen: “Aufgrund der Beschränkung des ‘Boykottgesetzes’ wird die israelische Niederlassung daran gehindert, sich auf die im Bericht ausgesprochenen Empfehlungen zu beziehen.” Klingt kryptisch, bezieht sich aber offensichtlich auf die letzte Forderung des inkriminierten ai-Berichts “Israel’s apartheid against Palestinians: a cruel system of domination and a crime against humanity”, in der andere Staaten dazu aufgerufen werden, einen “Boykott von Produkten aus israelischen Siedlungen” zu beschliessen und durchzusetzen. Das konnte der israelische Zweig natürlich nicht offiziell unterstützen, denn so ein Boykottaufruf ist nach einem Gesetz von 2011 strafrechtlich verfolgbar. Was halt auch etwas über den demokratischen Rechtsstaat Israel aussagt.
Ja, Herr Florianschütz, das haben Sie alles nicht gewußt, oder? Sicher nicht, denn sonst hätten sie nicht so einen Brief geschrieben. Zumindest steht das zu hoffen!
Lieber Herr Florianschütz — und alle anderen, die so argumentieren —, seien Sie kein Palmström! Denn in unserer leider nicht perfekten Welt kann mitunter auch etwas sein, was eigentlich so gar nicht sein darf.
Bernhard Redl
Der IÖG-Brief http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220210_OTS0110
Der ai-Bericht:
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/02/israels-apartheid-against-palestinians-a-cruel-system-of-domination-and-a-crime-against-humanity/
ai Israel: https://www.amnesty.org.il/