Lesen ist pfui!

Medienleichen pflastern den Weg dieser Regierung.
(2.5.23, Update 4.5.: siehe Anmerkung unten)

Die Wiener Zeitung und die blaue Seite von orf.at haben zumindest zwei Dinge gemeinsam. Erstens: Wenn ich im Netz ausführliche, gut recherchierte und verläßliche Hintergrundartikel suche, werde ich in Österreich meistens bei diesen beiden Medien fündig. Danach kommt lang nix und irgendwann der Standard. Vielleicht noch das profil, aber da auch nur mehr bei den älteren Artikeln. Und das wars dann schon mit der hiesigen ohne Abo verfügbaren Online-Landschaft.

Zweitens: Diese Regierung will genau diese beiden Medien kaputtmachen.

Mein Urteil über orf.at mag überraschen, aber diese guten Texte findet man meistens nicht unter den Kacheln in der Kopfzeile, sondern irgendwo versteckt in den Rubriken Ausland, Wirtschaft, Science oder sogar Chronik.

Und da kommt eine Medienministerin in die ZiB2 zu einem bewundernswert langmutigen Armin Wolf und fragt: „Wer schafft es, 1100 Meldungen pro Woche zu konsumieren?“ Ich nehme mal an, Susanne Raab hat noch nie ein Tageszeitungsabo besessen. Oder hat sie da auch immer alles gelesen vom Einzelverkaufspreis über die Todesanzeigen bis zum Impressum?

Nach Raabs Vorstellungen sollen es nur mehr maximal 350 Meldungen sein, aber es soll auch die Textlänge gekürzt werden und dafür mehr Video auf der eigentlichen Textsite sein: „Das ist eine Weiterentwicklung analog des Nutzerverhaltens, weil die Jugend, die müssen wir auch erreichen und die ist sehr stark im Video und im Bewegtbild.“

Das heißt in Konsequenz: Weniger Fakten, mehr TikTok. Und dazwischen vielleicht ein Zusammenschnitt von Dancing Stars als Topmeldung. Das versteht die Medienministerin wahrscheinlich unter „mehr Programm trotz Einsparungen“.

Demnächst kommt dann sicher wieder das Gezeter, daß die heutige Jugend soviel Youtube schaut und zuwenig liest.

Das entspricht genau der Politik des zweiten Falls. Die Wiener Zeitung soll ja auch nicht eingestellt werden, sondern in eingeschränktem Ausmaß digital weitergeführt werden, eventuell noch als gedruckte Monatsschrift. Das manscht man dann zusammen mit einer staatlichen Journalistenausbildung, die auch nicht völlig getrennt ist von sowas wie einer PR-Agentur. Ehrlich, ich habe diesen Gesetzesentwurf gelesen und werde einfach nicht schlau daraus, was das konkret werden soll. Klar ist nur: Es soll auf keinen Fall irgendwas mit gutem Journalismus zu tun haben.

Die Begründung für diesen Unfug: Die EU ist schuld mit ihrer Digitalisierungsrichtlinie! (Schon praktisch diese EU als Sündenbock, immer noch; Ich verstehe, warum gerade ÖVP und Grüne solche EU-Fans sind.) Deswegen darf es keine Pflichtveröffentlichungen mehr geben, aus denen sich die Zeitung bisher finanziert hat. (Kommt einem das bekannt vor? Ja, da ist wieder eine Gemeinsamkeit! Das ist so wie mit den ORF-Gebühren: Zwei staatlich organisierte Medien, die deswegen manchmal auch ein bisserl kritisch sein konnten, weil ihre Finanzierungsbasis nicht von der Regierung abhing.)

Eine Grundlage für guten Journalismus ist aber auch die Nichtflüchtigkeit des Mediums. Orf.at ist da eine ziemliche Ausnahme, denn obwohl ein reines Online-Medium, werden die meisten Artikel — von hektischen Wahlberichterstattungen und Ähnlichem einmal abgesehen — erstellt wie bei einer gedruckten Zeitung. Da wird ordentlich gearbeitet und wenn der Text fertig ist, wird er online gestellt und bleibt dann auch so. Bei den meisten Online-Only-Medien aber wird schnell-schnell was fabriziert, weil das könnte man ja dann eh noch ändern, wenn es ein Blödsinn war. Danach sieht die Qualität auch aus. Bei einer Tageszeitung mit klarem Redaktionsschluß und dem Wissen, daß, wenn es einmal gedruckt ist, man nichts mehr ändern kann, schludert man weniger. Und davon profitieren auch die Online-Ausgaben dieser Zeitung.

Hier haben und demnächst hatten wir zwei tagesaktuelle Text-Medien mit guter Hintergrundberichterstattung, die nicht in voller Brutalität abhängig waren von ihren Eigentümern, von ihren Inseraten und nicht einmal von ihrer Leserbeliebtheit. Ja, natürlich bürgerliche Medien, aber das sind alle Massenmedien heutzutage. Doch um Häuser besser als der Rest.

Daß es ausgerechnet diese Regierung ist, die sie kaputt macht, ist kein Zufall. Und sicherlich nicht irgendwelchen rechtlichen oder materiellen Notwendigkeiten geschuldet.

Bernhard Redl

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PS: Vorstehender Text wurde verfaßt, bevor die Zeitungsverleger ihre Aktion starteten, die Blätter am 3.Mai mit weißen Titelseiten erscheinen zu lassen. Diese Aktion ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil Raab in angesprochenem Interview in Abrede gestellt hat, daß die ORF-Reform irgendwas mit dem Druck der Verleger zu tun haben könnte. Auch ist zu vermuten, das diese Aktion schon länger für den Tag der Pressefreiheit geplant war — also auch bevor den Verlegern klar war, daß sie eh fast alles von Raab&Blimlinger bekommen, was sie sich wünschen.

Das Erscheinen mit einer weißen Titelseite ist eine traditionelle Protestaktion gegen Zensur. In diesem Zusammenhang allerdings ist das ziemlich lächerlich. -br-

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PPS: Sehr zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang auch folgender Twitter-Thread: https://twitter.com/art18bvg/status/1651254009083179010

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