Das Schloss 2.0

oder: Die Analogisierungsoffensive des österreichischen Sozialsystems.

Ein Tagebuch.

Ein neuer Tag in meiner AMS-Karriere. Ein Freitag. Wiedermal ein Termin beim outgesourcten Betreuer für arbeitslose Akademiker. Aber heute gehts gar nicht, ich bin einfach zu krank dafür. Anruf beim Betreuer. Nein, das geht nicht mehr so wie in Pandemiezeiten; ich müsse zum Arzt wegen einer Krankschreibung.

Schön, die paar Meter bis zum nächsten praktischen Arzt schaffe ich noch. Glücklicherweise hat der heute Nachmittagsordination.

Montag. Mitteilung über e-AMS, die etwas seltsame Onlinebetreuung des Arbeitsamts. Ich hätte einen Kontrolltermin verpaßt und daher würden meine Bezüge eingestellt, wenn ich das nicht begründen könne. Telefonat: Sorry, aber ich hab mich krankschreiben lassen. Nein, ich kann ihnen das Attest jetzt nicht vorbeibringen, ich bin immer noch krank. Ich schicke ihnen das als Scan übers e-AMS. Ja, wenns mir besser geht, auch eine Gesundschreibung.

Nur leider: Wartungsarbeiten am e-AMS, Dokumente verschicken derzeit nicht möglich. Dienstag gehts wieder, jetzt auch gleich die Gesundschreibung mitgeschickt.

Samstag. Es ist der 1. April. Automatische E-Mail vom AMS, es gäbe eine neue Mitteilung am e-AMS. Bescheid, man müsse die Bezüge einstellen, weil ich einen Termin verpasst hätte.

Montag früh. Telefonat. Nein, ich müsse persönlich vorbeikommen, mit den Attesten. Schön. Also gut, wieder in die U-Bahn. Der Ausgang bei der Station heißt übrigens Opfermanngasse, sehr passend, denke ich mir immer.

Aha, da sind ja jetzt die Atteste. Gut. Aber für diesen einen Tag müsse man trotzdem den Bezug einbehalten. Ich verstehe jetzt zwar nicht so ganz, warum, nehme es aber Beamtenjustament hin. Aber kriege ich jetzt wenigstens wieder die laufenden Bezüge? Naja, das müsse man sich nochmal anschauen. Oje, man hätte festgestellt, dass ich ja gar keine Bewerbungen abgegeben hätte. Seit 2021! Sagt der Computer. Bitte, was!!!??? Ich hab doch jede Woche das im e-AMS eingetragen… Das ist aber nicht hier im Computer! Was mach ma da jetzt? Ich krieg ein Formular ausgedruckt, in das ich händisch meine letzten 20 Bewerbungen eintragen soll. Das kann ich dann ausgefüllt morgen vorbeibringen und dann soll es auch klar sein, wie das jetzt mit den Bezügen ist.

Dienstag. Großes Lob von der Betreuerin. Sehr schön hätte ich das ausgefüllt, direkt vorbildhaft. Und das mit den Bezügen ist auch geklärt, die bekomme ich wieder. Uff!

Mittwoch. Mitteilung über e-AMS: „Bitte reichen Sie uns den Beleg über den Bezug des Krankengeldes nach.“ Sollte ich bei der ÖGK das noch nicht beantragt haben, solle ich das jetzt nachholen. Bis zur Nachreichung des Belegs bleibe jedoch der Leistungsbezug vorläufig weiterhin eingestellt.

Okay, das ist neu. Bislang hat mir keiner gesagt, dass ich da was beantragen muss. Die Krankmeldung muss doch sowieso von meinem Arzt passiert sein, oder? Nein, da müsse ich mich an die ÖGK wenden.

Also schön, Telefonat mit der Gesundheitskasse am nächsten Tag. Wunder, ich hänge gar nicht solange in der Warteschleife! Ich bringe mein Anliegen vor. Dort allerdings scheint man zum ersten Mal von so einem Fall zu hören und mir wird versprochen, ich würde von jemandem, der sich auskennt in einer Stunde zurückgerufen werden.

Was natürlich nicht passiert. Jetzt ist schon abends, aber wenigstens das wird ja wohl online zu erledigen sein. Auf der Homepage der Gesundheitskasse findet sich dazu: Nichts! Lediglich eine Gesundmeldung kann man machen. Also mache ich das. Schau an, da gibts ja sogar eine eMail-Adresse, also schicke ich jetzt denen auch nochmal meine Atteste und bitte sie darum, sich entsprechend dem, was das AMS fordert, darum zu kümmern.

Freitag. Natürlich passiert da nichts bei der ÖGK, die ist ja wie das AMS immer noch sowas wie ein Amt. Ist klar, also warte ich mal bis nach dem Wochenende.

Montag. Hinterhertelefonieren. Bei der ÖGK weiß man nichts von meinem eMail. Ich müsse da auch erst ein Formular ausfüllen. Okay, aber welches? Ja, das müsse man sich bei der ÖGK abholen. Das gibts natürlich nicht online.

Dienstag. Vormittags hin zur ÖGK. Dort hat man natürlich keine Ahnung, was für ein Formular ich da bräuchte. Nach längerer Debatte kann man das Formular doch eruieren, aber das liege gar nicht auf. Das habe man nur digital, das müsse man erst ausdrucken. Schön. Ich fülle das Ding händisch aus und will es abgeben. Nein, das geht nicht, das müsse erst das AMS bestätigen und abstempeln. Was sich natürlich nimmer am selben Tag ausgeht, weil ich nachmittags ein Vorstellungsgespräch habe. Natürlich eines, das wiedermal zu nichts führt. War von vornherein klar, weil nicht meiner Qualifikation entsprechend, aber wäre ich nicht hingegangen, hätte das AMS mich wieder für unkooperativ erklärt.

Mittwoch. Stempel vom AMS holen. Gestempeltes Formular bei der ÖGK abgeben.

Eine Woche darauf die erlösende Mitteilung vom AMS, dass ich jetzt wieder meine Bezüge bekomme. Mittlerweile sitze ich in einem Fortbildungskurs, wo man mir erklärt, was ein PC ist und wie man eine Maus bedient.

Franz von Rodaroda


Anmerkung: Eine leider wahre Geschichte. Verfasser der Redaktion namentlich bekannt. Die schriftlichen Mitteilungen des AMS sind belegbar.

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