Götterdämmerung

Der weiße Massa wird nimmer angebetet

[akin-Printausgabe 14/2023]

Jetzt kommts ganz dick. Die Arroganz der westeuropäischen Eliten nicht nur der letzten Jahrzehnte, sondern sogar Jahrhunderte fällt “uns” jetzt auf den Kopf. Man hat sich hierkontinents immer so überlegen gefühlt, hat kolonisiert und ausgebeutet und gedemütigt. Man hat die “Bürde des weissen Mannes” postuliert, der es ganz eigennützig auf sich genommen hat, den Bloßfüßigen Kultur und Manieren beizubringen, ob sie wollten oder nicht. Man hat diese Präpotenz auch exportiert, in die späteren USA, nach Israel oder Australien. Speziell die USA hat die europäische Art, auf den Rest der Welt zu blicken, perfektioniert. Europäer der “alten” und der “neuen Welt” kontrollierten den Großteil des Restes ebendieser Welt. Bisweilen hat man sich um diese Kolonien untereinander gestritten und wenn es gar nicht anders ging, sie in etwas entlassen, was man “Souveränität” oder “Freiheit” nannte — aber möglichst nur insoweit, daß Ausbeutung auch weiter möglich ist. Manchmal ist es schiefgegangen mit dem Installieren von treuen Vasallen, aber deswegen muß das Konzept an sich doch nicht falsch sein. Abgesehen davon kann man es bei Gelegenheit ja wieder versuchen. Und nachdem der ewige Konkurrent um die Weltherrschaft, Rußland, später die Sowjetunion, dann wieder Rußland entmachtet und gedemütigt worden ist, hat man die Neue Weltordnung ausgerufen.

Und jetzt? Jetzt stellt man fest, daß man ein Problem hat. Die Restlverwertung der ehemaligen Sowjetunion stellt sich als schwieriger heraus als gedacht. Bei der Ukraine war man sich schon so sicher, daß man die im Sack hätte — nachdem der erste Versuch 1917 blöderweise gescheitert ist. Aber das wäre ja noch verschmerzbar und es ist nichts, was man mit Waffenlieferungen und Propaganda nicht beheben könnte.

Doch jetzt fangen die Eliten der ehemaligen Kolonien auch noch an, ein Selbstbewußtsein zu entwickeln und suchen sich Verbündete mit ähnlicher Geschichte. Ist das der Dank für all die Entwicklungshilfe???

Dieser Sommer machte die rasante Entwicklung deutlich. Da war zuerst der EULAC-Gipfel, das Zusammentreffen der Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik. Die Ergebnisse waren, höflich formuliert, eher mau. Der Freihandelsvertrag zwischen Mercosur und EU wurde mal wieder auf die lange Bank geschoben, hauptsächlich, weil man in der EU nicht so ganz froh darüber ist, daß der Vertrag nicht nur dem Nutzen der europäischen Wirtschaft dienlich sein kann. Und mit einigen Vertretern aus den früheren Kolonien kann man nicht so gut reden, was die Sanktionen gegen Rußland angeht. Vor allem nicht mit Brasilien. Dabei war doch erst 2019 dieses Land auf die Liste der “Major non-NATO Allies” der USA gesetzt worden, müßte also ein eindeutiger Verbündeter sein! Allerdings war das unter den Präsidenten Trump und Bolsonaro (beide hat man ja angeblich in der EU nicht so gemocht). Jetzt kommt aber dieser Lula daher und stellt blöde Fragen!

Dann der Putsch in Niger! Das geht doch nicht! Das ist doch eine Demokratie, die den Franzosen gehört, was bilden sich diese N… eigentlich ein? Wir brauchen doch den Niger mit all seinen Ressourcen und außerdem fangen die für uns die Migranten aus dem subsaharischen Afrika ab. Da müssen wir aber jetzt unsere Verbündeten von der ECOWAS mobilisieren! Bitte was? Mali und Burkina Faso machen da nicht mit? Wozu haben wir eigentlich unser Militärpräsenz in Westafrika und kontrollieren über den CFA-Franc deren Währung? Haben die denn dort gar nix von der Elfenbeinküste gelernt? Äh, nein, das erwähnen wir jetzt lieber nicht so laut, weil sonst stürzen die dort auch den von uns eingesetzten Präsidenten (der schon seine dritte Amtszeit hat, die eigentlich nicht zulässig ist) und dann wird der Kakao einfach nimmer leistbar.

Zuletzt der BRICS-Gipfel! Sechs neue Mitglieder soll dieses Bündnis haben! Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien! Eine wilde Mischung! Mit Ägypten und Argentinien auch noch zwei weitere “Wichtige Nicht-NATO-Alliierte” der USA. Moment! Ägypten ist doch eine Militärdiktatur, das fällt uns jetzt erst auf! Saudi-Arabien und die VAE? Heh, wir wollen unser Öl und Gas aber nicht von Putin-Freuden! Iran? WTF! Aber eh klar, das sind die Bösen, und das war auch absehbar, nachdem sie wieder mit den Saudis reden. Und der ganze Verein denkt auch noch ernsthaft über eine neue Reservewährung nach! Ja, also, wir hätten da statt dem Dollar den Euro anzubieten! Nein, da denken die gar nicht drüber nach! Die wollen was Eigenes! Dabei haben sie ja schon in Dollar ein Viertel des Weltwirtschaftsprodukts! Dazu kommt: Fast die Hälfte der Weltbevölkerung! Wenn der Rest von Afrika da auch noch mitmacht, können wir einpacken!

Ja, da wird klar, daß die “Werte” in der Welt eben nicht “Demokratie” und “Menschenrechte” sind, die die EU und die USA für sich gerne in Anspruch nehmen (obwohl man dort schon auch froh ist, wenn das in den ausbeutbaren Ländern nicht so eng gesehen wird). Es geht vielmehr um Aktien-, Anlagen-, Rohstoffwerte. Weil es immer darum ging. Da kann die Propaganda machen, was sie will. Jetzt formen sich eben neue Wirtschaftsblöcke, in denen der ach so humanistische “Westen” nichts mitzureden hat. Das kann uns, wo wir hier relativ hohe Menschenrechtsstandards haben, nicht freuen, weil wir von dieser Ausbeutung bislang profitiert haben und auch weil klar ist, daß das Kapital in dieser neuen Konkurrenz darauf bestehen wird, genau diese Standards abzusenken. Und auch, weil damit die nächsten großen Kriege dräuen. Es sei denn, die Eliten der jetzt noch reichen Staaten des Westens entschlössen sich dazu, in die Richtung einer wirklich fairen Weltwirtschaft zu drängen, von der alle Menschen auf dieser Welt profitieren.

Aber freiwillig werden sie das wohl kaum tun. Lieber schicken sie Bomben und Drohnen. Das ist dann doch das bessere Geschäft.

Bernhard Redl

Edit: Verfaßt wenige Stunden vor dem Putsch in Gabun – der aber sehr schön in das beschriebene Bild paßt…

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