Glosse: Gedenkt mal schön

Audio: http://www.youtube.com/watch?v=vEvr6XovK5I

Der März in allen Jahren mit der Einserstelle 3 oder 8 ist hierzulande immer sehr ge- und bedenklich.

Vor 165 Jahren stürmte man am 13.März in Wien das Ständehaus und jagte Kanzler Metternich davon. Wenige Tage zuvor, am 3.März, hatten die Habsburger eine Demonstration mit der Forderung nach einer Verfassung niederschiessen lassen.

Vor 80 Jahren wurde am 4.März das Parlament für „selbstausgeschaltet“ erklärt und am 15.März von der Polizei geräumt.

Vor 75 Jahren marschierte am 12.März die Nazi-Wehrmacht in Österreich ein und am 15.März bejubelte eine Menschenmasse Hitler am Heldenplatz.

Nun kann man natürlich die Frage stellen, warum Geschichte meist nur dann diskutiert wird, wenn es gerade irgendwelche mehr oder weniger runde Jahrestage gibt – aber so ist nunmal unsere Gedenkkultur, runde Jahrestage haben etwas Anlaßartiges, das uns gerne zurückblicken läßt. Interessant ist aber zu beobachten, welcher Ereignisse gedacht wird. Denn die Koinzidenz dieser Märztage scheint in unserer Gedenkkultur etwas für die Obrigkeit recht Praktisches zu haben: Da die Jahrestage alle sehr eng zusammenliegen oder zum Teil sogar deckungsgleich sind, kann man ja wohl nicht allem gedenken und beschränkt sich daher alle fünf Jahre auf das Gedenken an Nazi-Einmarsch und Heldenplatz. Denn der anderen historischen Geschehnisse gedenkt man nicht so gerne. Oder redet auch nur darüber, ob das Nazigejubel vielleicht irgendwas historisch mit Monarchie oder politischem Katholizismus zu tun gehabt haben könnte.

So auch heuer wieder.

Zugegeben, 165 Jahre sind nicht gerade ein sehr rundes „Jubiläum“, aber 80 Jahre wohl doch – dennoch: Der (sozialdemokratische) Bundespräsident spricht natürlich nur zu einem Gedenkfestakt zum Jahrestag des 38er-Geschehens und erwähnt gerade mal in einem einzigen Satz den Putsch von 1933.

Warum ist das so bedenklich? Weil in Österreich perverserweise Nationalismus und Antifaschismus von der staatlichen Autorität in eins gesetzt werden. Die Zerschlagung der Demokratie scheint keinen Gedenkakt wert, der Untergang des Staates Österreich aber sehr wohl. Es geht dabei nicht um die KZs oder den Antisemitismus, da gibt es andere Gedenktage; es geht um die Ausradierung eines Staates, dessen Verfaßtheit ist dabei völlig sekundär.

Diese Republik ist immer noch dem k.u.k.-Obrigkeitsdenken verbunden. Die Verbrechen der Habsburger und der Austrofaschisten werden überdeckt durch die Verbrechen der Nazis. Und darüber freut sich nicht nur der Tourismusverband, der mit dem Kaisertum gutes Geschäft macht, sondern auch die ÖVP, die immer noch ehrend ihres „Heldenkanzlers“ gedenkt.

Ja, auch der ehemalige ÖVP-Nationalratspräsident Andreas Khol spricht heute von einem Putsch. Doch die Diktatur sieht er gelassen, weil diese sei – so ließ er jüngst in der „Presse“ verlauten – keine faschistische gewesen, „weil weder eine totalitäre noch eine völkische Gesinnung und auch keine Gewaltverherrlichung“. Keine totalitäre Gesinnung? Na dann…

Genau hier liegt das Problem: Die ÖVP kann heute das Dollfuß-Portrait gelassen in den Räumen des Parlamentsklubs hängen haben und das alles nicht so eng sehen. Man kann ja ruhig darüber reden.

Aber Bauernbund, Cartellverband, Offiziersgesellschaft sowie große Teile der hohen Ministerialbürokratie und Richterschaft sind gedanklich immer noch nicht in der Republik angelangt. Als genau diese aktuellen politischen Geflechte von einer neuen österreichischen „Tatort“-Folge jüngst thematisiert wurden, gab es so gut wie keine öffentliche Debatte darüber. Es regt niemanden mehr auf – man hat es über die Jahrzehnte geschafft, den österreichischen Konsens des Schweigens über die hausgemachte Diktatur nahtlos ohne den Aufwand einer großen Historiker-Debatte einfach zu musealisieren. Denn mit dem Heute hat das ja alles überhaupt nichts mehr zu tun.

Genau das ist das Problem in Österreich mit dem Umgang mit Geschichte. Die Waldheim-Debatte in der zweiten Hälfte der 1980er war ja wohl nur ein unösterreichischer Ausrutscher. Die Hintergründe der Geschichte wurden damals sicherheitshalber aber auch nicht beleuchtet – die „geschichtliche Aufarbeitung“ beschränkte sich auf Empörung. Was blieb, ist österreich-patriotische Aufwallung.

Dollfuß hingegen ist heute nur mehr eine Figur aus den Geschichtsbüchern und das Hofieren der Familie Habsburg sogar für die Grünen kein Problem mehr. Zugedeckt wird das Ganze mit Gedenken an den Untergang des Staates Österreich. Vor 20 Jahren war das vielleicht noch ein bisserl kontroversiell, weil noch viele alte Nazis gesellschaftlichen Einfluß hatten, in unseren Tagen ist es aber nur mehr der Konstitution des staatstragenden Charakters dienlich. Gegen heutiges autoritäres oder rechtspopulistisches Gedankengut hilft es uns aber nicht.

„Na ja, Österreich war immer unpolitisch.“ Das liessen Qualtinger und Merz ihren „Herrn Karl“ sagen. An diesem Denken hat sich nichts geändert.

Bernhard Redl

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