ich fürchte mich

anfang oktober gab es einen raucher-flashmob am stephansplatz – ein protest in einem verteilungskampf, da sich der rauchende teil der bevölkerung immer mehr aus dem öffentlichen leben gedrängt fühlt. für die akin gestaltete ich letzte woche einen rundblick über alle möglichen manifestationen der jüngsten zeit zu verschiedenen themen. den raucher-flashmob aber erwähnte ich nicht, obwohl als raucher in meinem ureigensten interesse gelegen.

nach erscheinen der akin fragte ich mich, warum ich diesen flashmob „vergessen“ hatte. die antwort war erschreckend: ich habe mich gefürchtet, die aktion zu erwähnen. aber warum?

nun, den gegnern des tabakkonsums ist ein grad an gesellschaftlicher hegemonie gelungen, dass die frage entpolitisiert wurde. es geht nicht mehr darum, wo geraucht werden darf, also um einen verteilungskampf um räumliche ressourcen, sondern um eine frage der vernunft und des anstandes. die meisten raucher sind schon so konditioniert, dass sie nur mehr mit schlechtem gewissen irgendwo ihrer droge frönen.

es geht dabei auch längst nicht mehr um rücksichtnahmen oder nichtraucherschutz. die frage, ob in einem beisl der weg zum klo vollkommen rauchfrei gestaltet sein muss, ist angesichts des lebens in einer stadt voller autoabgase ein wenig lächerlich. nein, immer mehr wird diese hegemonie zur volkserziehungsmanie. das verdanken wir einer postmodernen sauberkeit, die der meinung ist, die welt könne man nur ändern, wenn der einzelne lieb und nett und drogenfrei ist, während man daneben konkrete machtverhältnisse als das ansieht, was man früher als nebenwiderspruch angesehen hat. sprich: wenn wir alle zu lieben und netten menschen geworden sind, dann gibt es auch keine ausbeutung mehr.

das schmutzige also muss ausradiert werden – drogengebrauch zählt da dazu. und das alles ist ja soooo vernünftig. diesbezüglich dissident zu sein, führt mittlerweile zur ausgrenzung. um gesundheit kann es wohl nicht gehen, wenn man selbst schwerkranken im spital sagt, sie müssten auch bei minustemperaturen vor der tür das gebäude vollständig verlassen, um rauchen zu können. es ist die moralkeule der sauberen und anständigen, die da relevant ist.

diese hegemonie geht soweit, dass ich wirklich um meine reputation fürchte, wenn ich mich dagegen wehre. wenn ich diese glosse jetzt in der akin schreibe, riskiere ich prompt wieder abbestellungen unseres ökonomisch sowieso nicht sonderlich gut aufgestellten blattes. darf ich das überhaupt? sind wir soweit, dass die schere im kopf da schon alles unterbindet? mittlerweile ist ja eine debatte über israel und palästina in der linken einfacher zu führen als über rauchverbote — letzteres liegt wenigstens noch in einem politischen diskussionsbereich, rauchen hingegen wird als eine persönliche schwäche angesehen, die überwunden werden muss.

und: das problem ist in dem sich als fortschrittlich ansehenden teil der bevölkerung ganz besonders evident: wer sich nämlich als raucher dagegen wehrt und diese ausgrenzung als tugendterror ansieht, kann sich sehr schnell auch im rechten eck verortet fühlen, denn dieser vorwurf ist einer, der selbstbewusst üblicherweise nur von FPÖ und co. kommt.

wer mich kennt, weiß, dass es mir üblicherweise lust bereitet anzuecken. ich streite gern, auch weil ich das für die grundbedingung einer dialektischen auseinandersetzung mit der welt und ihren verteilungskämpfen halte. doch bei diesem thema fühle ich mich mittlerweile eingeschüchtert.

mir geht es jetzt sicher auch um mein recht auf droge. aber vielmehr empört mich, dass ich mich einschüchtern lasse, dieses recht einzufordern. vielleicht sollte man darüber mal reden.

bernhard redl

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