Aus dem Archiv: Der dritte Mann von Ebergassing – wie die Polizei 1995 versuchte, Linke als Hilfspolizisten zu mißbrauchen

Am 11.April 1995 explodierte ein Sprengsatz nahe Ebergassing. Die Ermittlungen ergaben, daß zwei linke Aktivisten einen Strommasten hätten sprengen wollen, dabei aber selbst ums Leben kamen. Auch wenn es sich wahrscheinlich wirklich so abgespielt hat, ist der genaue Hergang bis heute ungeklärt. In Folge dieses Geschehens und auch im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Anschlag von Oberwart zwei Monate früher kam es zu einer Reihe von Spekulationen, Verdächtigungen, zweifelhaften Polizeiaktionen und verwirrenden Berichterstattungen. Zentral waren dabei die Kriminalisierungsversuche gegenüber der Zeitschrift TATblatt und die Rücktrittsaufforderungen gegen den sozialdemokratischen Innenminister Caspar Einem. Nachzulesen ist das alles unter anderem in heutigen Artkeln der Presse und des Standards und in einer alten Dokumentation des TATblatts selbst.

Damals gab auch die akin der Debatte darum, was geschehen sei und wie die Linke darauf reagieren könnte, breiten Raum. Dies hier alles zu wiederholen wäre etwas redundant, einen seltsamen Aspekt der Angelegenheit allerdings wollen wir da doch noch in Erinnerung rufen – wie nämlich die Polizei versuchte, einen Anwalt und zwei linke Journalisten als unfreiwillige Hilfspolizisten zu mißbrauchen und wie das beinahe geklappt hätte. Dabei ging es um jenen ominösen „dritten Mann“ der in Ebergassing auch beteiligt gewesen sein soll – dieses Phantom gab der Polizei die Möglichkeit, die linke Szene aufzumischen.

Die hier nach 20 Jahren wieder publizierte Geschichte kann vielleicht auch als Mahnung dienen, sich nicht auf seltsame Vorschläge der Polizei einzulassen und in solchen Fällen auch nicht die Stille-Post-Methode zu verwenden, sondern gleich die Öffentlichkeit zu suchen – denn, wen auch sonst nichts rauskam, böses Blut erzeugte die Geschichte innerhalb der ohnehin nicht sehr einigen Linken allemal.

Der dritte Mann

aus: akin 14/95

In etlichen Redaktionen, bei der Staatsanwaltschaft, der Rechtsanwaltskammer und beim Parlamentspräsidenten landet am 30.April eine Aussendung von FORVM-Herausgeber Gerhard Oberschlick, die dann am 1.Mai auch als Flugblatt am Ring verteilt wird. Die Aussendung besteht aus einem Begleitbrief von Oberschlick und einer anonymen Sachverhaltsdarstellung. Der Inhalt dieser: Ein „grüner Karrierist“ namens „P.“ habe eine „Person aus der Linken“ angerufen. „Dieser Person gegenüber behauptet er, daß die Polizei den ‚Dritten Mann‘ bereits namentlich kenne und nach ihm fahnden würde. Wenn diese Person sich nicht freiwillig stelle, könne nicht garantiert werden, daß sie nicht im Zuge einer Verhaftung erschossen würde. Nachdem P. klargemacht wird, daß diese Person keineswegs der „dritte Mann“ sein kann, schlägt P. einen ‚deal‘ vor: Eine Person aus der Linken solle sich bei ihm melden, gestehen, der ‚Dritte Mann‘ zu sein und das bei P. zu Protokoll geben. Im Gegenzug verspricht P, daß diese Person vorerst anonym bleiben würde. Angeblich wären der Innenminister, die Polizei und mit ihnen die Rechten zufrieden, wenn P. allein den ‚Dritten Mann‘ kenne.“ P habe versprochen, daß bei einem späteren Prozeß unter nicht so aufgeheizter politischer Stimmung, dann ein Urteil gesprochen werden könnte, in dem „nicht mehr als ein halbes Jahr“ herauskäme.

P. sei es dabei egal gewesen, „wer sich als ‚Dritter Mann‘ zur Verfügung stelle“, es müsse nur irgendeinen geben, weil die Medien es so verlangten. Soweit die Darstellung des Anonymus.

Gerhard Oberschlicks Begleitbrief enthüllt die Identität P.s. Es ist Rechtsanwalt Thomas Prader. Prader wäre von Sicherheitsgeneraldirektor Michael Sika gebeten worden, den „Dritten Mann“ zu bewegen, sich zu stellen. So Prader laut Oberschlick. Und weiter: „Auf den Einwand, diese Person sei nachweislich NICHT der gesuchte ‚Dritte‘, hat Dr. Prader gesagt, es wäre ‚denen gleichgültig‘, sie wären ‚zufrieden, wenn sie irgendeinen bekämen.“ Denn der Minister bräuchte diesen Fahndungserfolg „und er Prader, wolle alles unternehmen, um ihn, seinen besten Freund, den Minister Caspar Einem zu retten“.

Anruf bei Prader. Da stellt sich heraus, daß es sich bei der Person aus der Linken um den Journalisten Wolfgang Purtscheller handelt. Und von der stamme auch dieser anonyme Brief. Das hätte er „von mehreren Seiten gehört“, unter anderem von Oberschlick.

Seine Version der Geschichte: Sika habe ihn am 26.April angerufen, ob man nicht vielleicht den gesuchten dritten Beteiligten dazu bewegen könne, daß er sich mit einem Anwalt stelle, damit „man aus den Schlagzeilen herauskommen“ könne.

Prader hätte entgegnet, er glaube nicht, daß sich der stelle, und Sika aufgefordert, ihm einen Namen zu nennen, nachdem er, Prader, dann weiterfragen könnte. Dem wäre Sika nachgekomme und Prader hätte daraufhin Purtscheller und eine zweite Person angerufen, ob die da mithelfen könnten. Purtscheller hätte zurückgerufen und erklärt, daß die verdächtigte Person damit nichts zu tun habe. Daraufhin Prader: Der tatsächliche dritte Mann solle sich melden, „daß man eine Sachverhaltsdarstellung macht“ und er dann der Polizei mitteilt, daß er weiß, wer der dritte ist, dieser sich aber nicht stellt, weil ein faires Verfahren in diesem Klima („wenn man Ebergassing mit Oberwart gleichsetzt“) nicht möglich wäre.

Er habe aber keine Warnung bezüglich Erschossenwerden weitergeleitet. Prader: „Das ist völliger Irrsinn!“ Die Vorwürfe seien „absurd“. Auch hätte er niemand nur 6 Monate versprochen, das könne er gar nicht: „Wie soll ich das garantieren, wenn irgend ein Richter ein Urteil spricht“.

Prader will vorerst aber keine weiteren Schritte wegen der Vorwürfe unternehmen, doch verstehe er nicht, „warum ein Journalist, mit dem ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit rede, mit massiven Vorwürfen in die Öffentlichkeit“ gehe.

Nächster Interviewpartner Gerhard Oberschlick: Hat Purtscheller den anonymen Text verfaßt? Nein, das nicht, eine Gruppe von Leuten habe ihm das Papier überreicht, „aber der Purtscheller spielt da eine Rolle“. Er sei der Meinung gewesen, daß wegen dieser Vorwürfe es nur die Möglichkeit gegeben hätte, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, um es einer Untersuchung zuzuführen.

Wolfgang Purtscheller bestätigt, daß der Text nicht von ihm stamme, die Angaben stimmten aber „grosso modo“. Prader habe die Warnung einer eventuell blutigen Verhaftung zwar nicht als Drohung geäußert, aber wohl – so meint Purtscheller – „aus tiefer Sorge“, daß die Polizisten „durchdrehen“ könnten. Auch das Versprechen einer Höchststrafe von einem halben Jahr hätte er wohl gegeben. „Das hat er 10mal gesagt“, so Purtscheller, „dafür gibt’s genug Zeugen“.

Die Person, die sich angeblich versteckt hielte, hätte Putscheller an ihrem Arbeitsplatz antreffen können. „Da ist mir die ganze Geschichte spanisch vorgekommen. Da ist es nicht mehr darum gegangen, das Leben von jemanden der potentiell bedroht ist, zu retten, sondern es ist auf einmal darum gegangen, daß da irgendwer mit mir Spielchen spielt.“

Er selbst hätte aus diesem Grund ein Gedächtnisprotokoll erstellt und deswegen auch nichts mehr dagegen gehabt, daß andere eine politisch aktive Menschen eine diesbezügliche Darstellung an Oberschlick zur Öffentlichmachung weitergeleitet hätten.

Michael Sika hat wieder eine andere Version: Der Sicherheitsgeneral erklärt, er hätte Prader angerufen und ihn gefragt, ob er „bereit sei, seinen Einfluß auf die Wielandschule geltend zu machen“. Nachdem dieser das zugesagt hätte, hätte Sika ihm den Namen eines Mannes genannt, die die Polizei als „Auskunftsperson“ suche, diese aber „nicht an seinem Wohnort anzutreffen“ war. Da man die Person nicht an ihrem Arbeitsort aufsuchen wollte, habe man den Rechtsanwalt eingeschaltet. Dieser habe sich dann nach einer Weile zurückgemeldet und angegeben, daß dieser Mann per Ladung an seinem Wohnort durchaus erreichbar sei. Tatsächlich habe sich dieser dann auch gemeldet und konnte nach der Einvernahme wieder nach Hause gehen, weil keine ausreichenden Verdachtsmomente gegen ihn vorhanden gewesen wären.

Nochmal Nachfrage bei Prader. Der klingt schon ziemlich genervt am Telefon: Ja, er erinnere sich, irgendwie sei da von Auskunftsperson die Rede gewesen und er habe das auch so an Purtscheller weitergeleitet. Es sei halt einfach nur um eine Person gegangen, die „gesucht werde“ im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Dritten, der das Auto weggebracht habe. Meine Frage: Also gings doch um den dritten Tatbeteiligten, der sich stellen solle? Nein, denn das heiße nicht, daß dieser an der Tat beteiligt gewesen wäre, das Wegbringen des Autos könne auch erst sehr viel später passiert sein.

Das war der Stand vom 2.Mai. Zwei Tage darauf erschien „News“ mit einer Version, wie sie Wolfgang Fellner recherchiert hatte. Darin kommen zwei wichtige Details („Erschossenwerden“ und „halbes Jahr“) nicht vor. Dafür nennt „News“ einen „Florian F.“ als Namen der von Sika gesuchten Person. Am Samstag erscheint in den „Salzburger Nachrichten“ ein Inserat der F, in dem „der linksradikale Journalist“ Oberschlick als Kronzeuge dafür angeführt wird, daß da jemand versuche, mit einem „deal“ den Innenminister zu retten.

Schließlich erreicht uns am Sonntag abend ein Fax des TATblatts. Darin stellt ein Mitarbeiter fest, daß er die zweite Auskunftsperson gewesen sei, die Prader angerufen hatte. Als er und einige andere von Purtscheller kontaktiert wurden, hörten, daß der Gesuchte völlig legal in Wien wohnt und arbeitet sowie Gerüchte über weitere „Dritte Männer“ kursierten, wäre ihnen klargeworden, „daß wir auch in dieser Sache ein Spielball in einem viel größeren ‚Spiel‘ waren. Wir waren nicht bereit, da aktiv mitzuspielen“. Da sie befürchteten, daß die Informationen über diese Vorgänge bereits weiter hinausgedrungen waren, entschlossen sie sich zum Schritt, für die Live-Diskussion im Fernsehen am 30.4. „Zur Sache“ die Angelegenheit von sich aus publik zu machen, um Überraschungen in der Sendung zu vermeiden. So kam es zu der anonymen Aussendung.

Der TATblatti betont allerdings, daß die Aussagen dieser Darstellung nicht auf eigenen Telefonprotokollen beruhten. Prader habe ihnen gegenüber weder die Erschießungswarnung noch das 6-Monats-Versprechen geäußert.

Das TATblatt betont weiters, daß es nach einem längeren Gespräch keinen Grund sehe, Thomas Prader die weitere Vertretung in den laufenden Gerichtsverfahren zu entziehen.

Bernhard Redl, 9.Mai 1995

Siehe auch:
http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/4703583/Vor-20-Jahren_Der-missgluckte-Anschlag-von-Ebergassing
http://derstandard.at/2000014123745/Die-Akte-Ebergassing-Zwei-Tote-im-Goldwald
http://www.nadir.org/nadir/periodika/tatblatt/164ebergassing-doku.htm

 

Ein Kommentar zu „Aus dem Archiv: Der dritte Mann von Ebergassing – wie die Polizei 1995 versuchte, Linke als Hilfspolizisten zu mißbrauchen

  1. Weil M. C. Wolfgang Purtscheller und mich auf FB fragt: „Irgendwelche Ergänzungen?“ – Antwort: Nein, ich kann nur alles bestätigen, was Wolfgang Purtscheller angegeben hatte; außer den Inhalt seiner Gespräche und Telefonate (z.B. mit Prader), die ich natürlich nicht mitgehört habe. In meinem Flugblatt habe ich nur einen Fehler begangen, der aber die Authentizität des faktischen Rahmens von Purtschellers Mitteilung an mich für die Insider (Einem, Sika, Journalisten mit Kenntnis dieses Details) beweisen sollte und deshalb in meinen Augen nicht zu vermeiden war: ich notierte im Flugblatt die Telefonnummer, von der aus Prader mit Purtscheller telefoniert hatte; was für Prader natürlich unangenehm war, als Journalisten lege artis die Identität recherchierten, die hinter dieser Telefonnummer an einer Urlaubsdestination steckte. Kurzum: In der Sache jetzt von mir nichts Neues.

Hinterlasse einen Kommentar