Warum machen wir uns Sorgen um die SPÖ?

Ein Redaktionsgespräch zwischen Bernhard Redl und Ilse Grusch über politische Verwandte, Verkehrserziehung und das Prinzip Hoffnung.

Bernhard:
Ja, super. Faymann ist zurückgetreten. Zuerst wollten das hauptsächlich die Linken in der Partei. Und dann kam der rechte Flügel und die Managerfiguren und wollten einen der ihren installieren. Fast hat es so ausgesehen, daß dann die Linken den Faymann wieder retten wollten, weil der wenigstens mit der FPÖ nicht koalieren mochte. Und jetzt hats offensichtlich dem Faymann selber gereicht. Doch statt seiner sind Leute mit einer linken ideologischen Herangehensweise auch nicht mehr gefragt. Auf die Idee, einen österreichischen Jeremy Corbyn zu suchen, mit dem man als Gallionsfigur die Partei grundlegend erneuern könnte, kommt gar keiner mehr. Im Gespräch sind nur noch Manager wie Zeiler, Kern oder Ederer. Danke, das ist die Vranitzkylösung von vor drei Jahrzehnten, die hat die SPÖ doch erst in diese Malaise gebracht, auf Leute zu hören, die Betriebswirtschaft mit Volkswirtschaft verwechseln. Und dann denke ich mir: Warum zerbreche ich mir eigentlich den Kopf der SPÖ? Oder sind wir schon so weit, daß wir uns Sorgen über die Sozialdemokratie (wie über die Grünen) machen müssen, weil alles andere noch viel weniger Anlaß zur Hoffnung gibt? Was sind das für Zeiten?

Ilse:
Ja, interessante Zeiten, in denen wir leben. Natürlich machen wir uns Sorgen um die Sozialdemokratie, irgendwie fühlen wir uns denen doch näher als den Schwarzen oder gar den Blauen. Haben sie doch die gleichen Ur-Väter gehabt wie wir (unter „wir“ verstehe ich die „freischwebenden“ Linken ebenso wie die in der KP oder bei den Grünen überwinternde GenossInnen). Und da Linke dazu neigen sich für Alles und Jedes verantwortlich zu fühlen, zerbrechen wir uns die Köpfe der SPÖ. Dass die SPÖ-Führung jede Beziehung zur Basis und zur Realität verloren hat, steht ausser Frage, sie haben tatsächlich schon die Plakate für den Hundstorfer in der Stichwahl drucken lassen. So sicher waren sie, dass er dahin kommen wird. Der Realitätsverlust ist schon pathologisch. Und wenn wer aus der Verwandtschaft krank im Kopf wird, dann müssen wir uns doch kümmern! Und wenn die SPÖ zu den Cousins gehören, dann sind die Grünen „angeheiratete“ Verwandte, zu denen wir auch lieb sein sollen, das gehört sich so. Und ausserdem — irgendwie suchen wir doch auch ein warmes Platzerl unter Gleich- oder Ähnlichgesinnten, wir wollen uns doch auch ein bisserl erholen von den Anstrengungen des Individuellen.
Wir verstehen jetzt auch die Bedeutung des alten chinesischen Fluches „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“ viel besser!

Bernhard:
Prinzip Hoffnung vielleicht? Weil das „Und gibt es keine Kampfparteien, dann müssen wir sie gründen!“ funktioniert irgendwie so gar nicht. Barbara Blaha, die Ex-VSStÖ-Vorsitzende, hat in einem Interview angekündigt, bei einer Annäherung an die FPÖ gäbe es eine Spaltung und es würde eine Partei links der SPÖ entstehen. Echt liab! Da tummelt sich schon so einiges und die wählt auch niemand. Wenn die SPÖ-Dissidenten nicht irgendeine Ikone á la Oscar Lafontaine auftreiben können, können sie gleich sagen, sie verabschieden sich aus der Politik. Tatsächlich ist ja die Spaltung längst vollzogen, doch es ist in der SPÖ wie in der katholischen Kirche: Keiner will austreten und meint, der andere Flügel solle sich abspalten! Abgesehen davon: Ich erinnere mich mit Schaudern an das „Im Zentrum“ über die SPÖ, wo lauter SPler hauptsächlich über die FPÖ diskutierten und sich im Viertelstundentakt wechselseitig dazu aufforderten, das doch nicht zu tun, sondern über das Thema der Sendung, also die SPÖ zu reden. Zu einem eigenen Agandasetting ist dieser defensive Haufen ja gar nicht mehr fähig. Und er ist auch nicht konfliktfähig, sonst hätte man nicht solange an dieser grauen Sprechpuppe als Vorsitzenden festgehalten. Sie haben da einen inhaltslosen Kompromißkandidaten für eine Integrationsfigur gehalten! Und jetzt fragen sie bei der ÖVP an, welche Figur denen denn als Kanzler genehm wäre! Gehts noch? Nein, weniger Hoffnung, das ist schon Prinzip Mitleid, daß das Interesse an dieser Partei antreibt.

Ilse:
Ja, eh, Mitleid, wir sind ja so empathiefähig und den armen irregeleiteten Patscherln müssen wir doch die Hand geben und Ihnen zeigen, wie sie gefahrlos über die Straße kommen und nicht von der Dampfwalze FPÖVP plattgemacht werden. Bilden wir uns ein, dass wir das wissen? Das ist so eine Sache mit der Demokratie. Wir können uns nicht auf sie verlassen. Und das „Volk“ tümelt zwar lt. Tucholsky nicht, aber es tendiert schon gerne zum starken Mann — eventuell auch zur starken Frau, Hauptsache stark. Und sei es nur verbal, aber lieber ist dem Volk offensichtlich, wenn im Schlagabtausch der schwächere Gegner so fest eins auf die Nase kriegt, dass sie ordentlich blutet. Und der oder die Schwächeren sind immer die, die eine Sekunde länger nachdenken, bevor sie was sagen. Da hat dann der/die Stärkere schon zugeschlagen und wir bluten aus der Nase. Unser Mitleid mit der SPÖ ist also geradezu Selbstmitleid, wie es denen jetzt so geht wie es uns morgen gehen wird. Und wer wird dann mit uns Mitleid haben?
Groß bleibt nicht das Große und klein nicht das Kleine, die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag! (Brecht, Am Grunde der Moldau). Ist die Zeit ein Faktor, mit dem wir nicht rechnen? Weil wir alles wollen und das sofort? Ist das tröstlich? Wir haben es wieder nicht geschafft mit der Weltrevolution, aber die Enkel, denen wird’s gelingen. Womit wir wieder beim Prinzip Hoffnung wären…

Bernhard:
Ja, die Hoffnung! Die ist mir gerade über den Bildschirm geflattert: „Endlich ist Werner Faymann weg. Der Kanzler der Rekordarbeitslosigkeit und der Zäune hat aufgegeben. Doch ob jemand Besseres nachkommt, ob die SPÖ noch zu retten ist, scheint fraglich. Jetzt geht es nicht darum, auf eine_n bessere_n SPÖ-Vorsitzende_n zu warten, sondern entschlossen eine Kraft von unten aufzubauen: Eine Kraft, die den Reichtum Weniger angreift und ein gutes Leben für alle erkämpft.“ Ach, ist das schön, was da der „Aufbruch“ aussendet! Aber wo sind die Machtmittel? Weil: Machma eine Unterschriftenliste oder schreiben wir unseren Protest auf Facebook? Oder wie wärs mit einem Flashmob? Ja, davor fürchten sich die Herren des Kapitals ganz gewaltig! Oder gründen wir eine Partei? Jo, ehschowissn, siehe oben. Und aus lauter Verzweiflung hofft man dann doch noch auf die SPÖ, weil vielleicht könnte die ja, wenn sie wollte, irgendwas machen! So als höh’res Wesen, zwar kein Gott oder Kaiser, aber wenigstens Tribun. Ja, ich hör schon auf, mir fällt einfach nur Defaitistisches ein…

[Debatte mit Informationsstand 9.Mai, 19 Uhr]

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