Von der Gleichheit vor dem Gesetz
(aus der Druckausgabe 16/2019)
„Michael S. (Name von der Redaktion geändert) wurde im Februar diesen Jahres von 7 Polizisten in voller Montur, mit gezückten Pistolen und Brustpanzerung gestellt. Tatort: ein Mistplatz, gleichzeitig Lieferanteneingang. Sein Verbrechen: er hat weggeworfene Lebensmittel aus einer eingezäunten Mülltonne geholt.“ Das berichtet die von der „Liste Jetzt“ eingerichtete Homepage zackzack.at.
In diesem Fall hatte der Erstinstanzrichter das Verfahren eingestellt, da er nicht einsah, wieso es „Einbruchsdiebstahl“ sein soll, wenn jemand über eine Zaun kraxelt zum Zwecke des Einsammelns von Dingen, die keinen Tauschwert darstellen und bei denen es sich um „derelinquiertes“, also aufgegebenes Eigentum handelt.
Da aber in Österreich nicht nur der Polizei, sondern auch der Justiz fad ist — bekanntermasssen dauern in Österreich auch sehr komplizierte Strafverfahren nur wenige Tage, weil die Justiz personell so gut bestückt ist –, meinte die Staatsanwaltschaft Wien eine Beschwerde an das Oberlandesgericht schreiben zu müssen, dieses möge doch den Erstrichter zu einer Behandlung der Causa zwingen.
Leider ist auf zackzack.at die Eingabe der StA im Faksimile nicht mehr abrufbar, daher sei sie hier etwas ausführlicher zitiert:
„Zwar ist dem Erstgericht dahingehend zuzustimmen, dass an wertlosen Sachen Vermögensdelikte nicht begangen werden können, hat die Sache allerdings einen auch noch so geringen Tauschwert, kommt § 127 StGB in Betracht, weil das Gesetz keine Bagatellschwelle kennt. Teilweise wird in diesem Zusammenhang die Meinung verteten, dass sich der Tauschwert von potenziell noch genießbaren, weggeworfenen Lebensmitteln nach deren Qualität (Genießbarkeit) und den entnommenen Mengen richtet. Derartige Lebensmittel seien nicht ganz wertlos, jedoch von derart geringem Wert, dass dann, wenn etwa bloß der Bedarf einer Person für eine Mahlzeit gedeckt werde, nicht von diebstahlstauglichem Wert gesprochen werden könne. Je größer jedoch die Menge und je besser die Qualität der Lebensmittel sei, desto eher werde von einer diebstahlsfähigen Beute auszugehen sein. Andererseits hat der OGH etwa den Diebstahl von altem Brot sehr wohl als gerichtlich strafbar beurteilt.“
Da merkt man wieder die humanistische Bildung unserer Staatsanwälte. Denn schon Anatol France lobte ja die „majestätische Gleichheit des Gesetzes, das Reichen wie Armen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“.
Denn was Recht ist, muß Recht bleiben!
-br-
Weitere Infos:
https://zackzack.at/2019/06/27/lebensmittelrettung-oder-einbruchdiebstahl