Keine Frage, wer den heissen Krieg begonnen hat. Aber sind “wir” im Geiste so viel besser als “die”?
[akin-Printausgabe 7/2022]
“Hap-taccht! Stillgestanden!” Langsam kommt es einem vor, als sollte man bei den Nachrichten immer strammstehen, mit der Hand am Kappenrand. War es ja schon vor dem Krieg so, daß ständig irgendwelche Lamettaträger und Kommißschädeln im Fernsehen waren, aber langsam wird das ein bisserl viel. Angefangen hat das schon vor Jahren, mit den diversen Assistenzeinsätzen, zuerst an der Grenze, dann vor den Wiener Botschaften. Dann hat ausgerechnet ein grüner Oberbefehlshaber sich zum Sudern bewegen lassen, wie wenig kampfkräftig doch unser Heer sei. Danach kam Corona und damit zuerst die militarisierten Teststationen und in Folge “GECKO”, wo gleich zwei Generalmajore drinsitzen, einer davon im Kampfanzug. Was die dort machen, weiß der Teufel! Das sind ja wohl eher Experten fürs Todschiessen, aber nicht fürs Überleben.
Aber jetzt haben wir einen Leutnant als Bundeskanzler und täglich mindestens einen Generalstabler im Glotzophon. Noch mehr erschreckend ist allerdings, daß die oft sogar noch vernünftiger sind als die zivilen Meinungsmacher. So konnten wir in der ZiB2 von Generalmajor Hofbauer, danach gefragt, was er denn von der Befürchtung der USA halte, Rußland könnte Massenvernichtungswaffen einsetzen, hören, daß ihn das an 2003 erinnere, wo mit der selben Argumentation der Krieg mit dem Irak gerechtfertigt worden war.
Geistige Landesverteidigung
Solche Differenzierungen waren in den letzten drei Wochen jedoch nur selten im ORF zu hören und noch weniger in den hiesigen Massenprintmedien zu lesen. Paradigmatisch sind dafür die Chefredakteure von zwei bislang eher als liberal angesehenen Blättern. Herr Rainer vom profil findet es “widerlich”, daß die SP-Chefin Rendi-Wagner meint, man müsse die Neutralität bewahren. Er ist sich nur nicht sicher, ob er dies als “Sauerei” qualifizieren solle oder sie das “wegen Feigheit als Spitzenpolitikerin disqualifizieren” würde. Wenigstens ist Herr Rainer so ehrlich, in seinem Blogbeitrag zuzugeben, daß er eh schon immer für einen NATO-Beitritt war.
Der Falter hingegen produziert ein Cover mit einem Flintenpärchen. Die beiden “heirateten am ersten Tag des Angriffs auf ihre Heimat. Anstatt in die Flitterwochen zu fahren, traten sie der Verteidigungsmiliz bei.” Dazu lächeln sie aneinander gelehnt vom Titelblatt, mit Sturmgewehren in den Händen. Herr Klenk begegnet auf Twitter dem Vorwurf der Romantisierung des Krieges mit: “Die kämpfen um ihre Freiheit in Kiew.”
Wer nicht für die “Freiheit”, also den Ansprüchen der jeweiligen Oligarchen oder sonst irgendeiner Herrschaft kämpft, begeht also eine “Sauerei” oder ist “feig”. Hallo? Wer hat noch keinen Stahlhelm, wer will noch einen?
Da haben die aber wirklich Glück gehabt, daß Erhard Busek jetzt gestorben ist. In den diversen Nachrufen wird zwar gerne erwähnt, daß er kurz vor seinem Tod noch bei einem Ukraine-Soli-Konzert war, aber nicht der letzte Gastkommentar, den er verfaßt hat. Da war nämlich (im Standard) unter dem Titel “Die gute ‘alte’ Neutralität” zu lesen: “Warum unternehmen wir nicht Bemühungen in der Ukraine, um Voraussetzungen für ein Verständnis der Neutralität zu schaffen? Ohne schmerzvolle Konzessionen wird die Ukraine aus der gegenwärtigen Kriegssituation nicht herauskommen. Eine Diskussion darüber wäre zukunftsorientierter als die Vorschläge, die Ukraine in die EU oder in die Nato aufzunehmen, wobei ich mich zurückhalten möchte, denn sonst müsste ich sagen, dass diese Vorschläge dumm sind!” Wäre blöd, wenn der, dessen Steckenpferd Osteuropa ja schon zu Zeiten des Kalten Krieges war, jetzt auch noch Interviews geben könnte. Von jemandem, der sich — bei aller notwendigen linken Kritik — definitiv in der Materie auskennt, echte Lösungen vorschlagen zu lassen, die das Schlachten beenden könnten, geht ja so gar nicht. Noch dazu, wenn dieser jemand in der EU hohes Ansehen genießt und tatsächlich eine Vermittlerrolle einnehmen hätte können! Nein, sojemand stört beim heroischen Sterben für die ruhmreiche Heimat.
Kiew sei jetzt eine Festung, tönt der der ehemalige Boxer und jetzige Bürgermeister. Wozu? Damit die Eliten sich die Chance auf einen EU-Beitritt bewahren können. Dafür wird jetzt geblutet.
Aber man kann doch den Ukrainern nicht zumuten, zu kapitulieren! Stimmt! “Die Ukrainer” werden eh nicht gefragt. Außer natürlich von den westlichen Fernsehstationen jene, die bereit sind, Kampf- und Durchhalteparolen in die Mikros abzugeben.
Feindsender
Die Menschen in Rußland werden aber auch nicht gefragt. Und wir in der EU genausowenig. Damit das Volk hüben wie drüben nicht auf falsche Gedanken kommt, werden Feindsender verboten. In Rußland wird das natürlich ein bisserl heftiger exekutiert und wir hier sollen alle über die Zensur dort empört sein. Damit das aber funktioniert, wird in der EU “RT Deutsch” (vormals “Russia Today”) verboten — bis hin zur Anweisung an Internetprovider, diese Seiten zu sperren. Weil das ist ja keine Information, sondern Propaganda, und davor müssen die dummen kleinen Leute hierzulande ja bewahrt werden. Das ist also diese freie Welt, in der uns noch die Ukraine fehlt!
In Österreich macht man bezüglich dieses Verbots wiedermal den Musterschüler: Im Verfassungsausschuß des Nationalrats stimmten auf Antrag der Regierungsparteien auch alle anderen außer der FPÖ dafür, daß “mit Geldstrafe bis zu 50 000 Euro zu bestrafen” sei, “wer entgegen unmittelbar anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union als Anbieter eines Kommunikationsdienstes einen audiovisuellen Mediendienst oder ein Radioprogramm überträgt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt … die Umgehung dieser Sanktionsmaßnahmen zu bezwecken oder zu bewirken.” Das betrifft ganz generell jegliche Verbreitung audiovisueller Inhalte, selbst “Teile von Sendungen von ausländischen Programmen”, also das Zitat, aber auch wenn man diese Umgehung eben nur “erleichtert”.
Die meisten großen unionseuropäischen Internetprovider — besonders relevant Magenta — haben schon in vorauseilendem Gehorsam die RT-Homepages geblockt. Wenn also die EU beschließt, daß ich bestimmte Meinungen nicht konsumieren darf, dann kann ich mir Artikel 10 EMRK aufzeichnen, denn der garantierte bislang nicht nur das Recht auf freie Meinungsäußerung, sondern auch “die Freiheit zum Empfang … von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen”.
Interessanterweise gibt es bei den politischen Eliten schon noch ein paar Leute, die sich an den Wert der EMRK erinnern: “Wenn wir jetzt in Gefahr geraten, unsere Pressefreiheit ein Stück weit zu opfern: Wie wollen wir dann künftig Tendenzen zur Gängelung der Medien wie etwa in Ungarn begegnen?” Denn es seien “Verbote in einer liberalen Medienwelt, in der wir in Europa zum Glück leben, immer die schlechteste Variante”. So sprach die deutsche Europa-Abgeordnete Petra Kammerevert. Sie und 11 weitere der SPD-Fraktion im EP stimmten gegen eine diesbezügliche Vorlage, die allerdings ansonsten mit großer Mehrheit angenommen worden ist. Was sowieso nur symbolische Bedeutung hatte, weil ja in der EU immer noch gilt, daß, was der Rat beschlossen hat, das Parlament nicht blockieren solle. Die Ablehnung durch österreichische Sozialdemokraten wäre aber dann schon noch drinnen gewesen.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine tobe “auch ein Informationskrieg”, hat im EP Christdemokratin Verheyen in ihrer Positionierung zum Abschlussbericht des Sonderausschusses festgestellt. Es sei “entscheidend, dass wir die legislativen Möglichkeiten nutzen, um hier handlungsfähiger zu werden und die Unversehrtheit unserer Demokratie besser schützen können”.
Zensur ist Wahrheit? Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke? Was wäre eigentlich die große Gefahr, wenn man doch Feindsender hört? Wo das doch alles so jenseitige Propaganda ist und in der EU die Menschen doch so mündig, daß sie ab ihrer Volljährigkeit alle das Wahlrecht haben? Vielleicht würde den RT-Konsumenten ansonsten die Spiegelbildhaftigkeit der Berichterstattung zwischen Hüben und Drüben auffallen. Sie wären dann vielleicht verwirrt und würden gar nichts mehr glauben! Denn der Großteil der Meldungen und Meinungen auf RT liest sich nicht wie eine Goebbelsrede, sondern genau so wie die hiesigen Massenmedien: Man arbeitet mit Zitaten von Politikern und aus Agenturen, läßt bestimmte Aussagen weg, betont dafür andere und bedient sich spezieller Sprachregelungen — nicht anders als bei uns, nur eben mit einem anderen Spin.
Und das Spiegelbild wird mit diesen Verboten komplettiert. Ja, es ist weitaus gefährlicher in Rußland, westliche Positionen zu verbreiten, als hierzulande solche der russischen Regierung. Dieser quantitative Unterschied ist wichtig und ich muß nicht damit rechnen für diesen Kommentar hier eingesperrt zu werden. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel aus RT zitiere oder gar anderen Leuten erkläre, wie sie trotz der Netzsperren zu RT gelangen, also die “Umgehung erleichtere”, kann ich mir diesbezüglich nicht mehr sicher sein in dem Moment, wo oberwähntes österreichisches Gesetz im Nationalrat beschlossen worden und in Kraft getreten ist. Und wenn man als Imperium, daß die EU mittlerweile sehr wohl ist, besonders nach der Betonung der militärischen Beistandspflicht, einmal anfängt damit, die “Unversehrtheit der Demokratie” mit solchen Mitteln zu “schützen”, wo landet man dann letztendlich?
Staat und Volk
Wie so oft werden Volksgemeinschaften postuliert. #StandWithUkraine ist ein beliebter Hashtag und die Leute führen blaugelbe Flaggen in ihren Twitter-Accountnamen und ihren Facebook-Avataren. Es ist dieses Allegemeinsam, diese Schicksalsgemeinschaft einer Verwaltungseinheit, dieses Versammeln um die Fahne, das Betonen der gemeinsamen Interessen des Staatsvolks. Man nennt den Namen eines Staates und denkt sich Regierung, Territorium und die Menschen in diesem Land als eine Einheit — bis auf die paar “Volksverräter” halt. Wenn man dann vielleicht einen bestimmten anderen Staat nicht mag, heissen die “Volksverräter” eben “Dissidenten” oder “Oppositionelle”. Im Prinzip ist das aber egal, das Bild der Einheit bleibt gleich. Das wird auch nicht besser, wenn man, wie in diesem Fall, Formulierungen findet wie “Putins Krieg gegen die Menschen in der Ukraine”. Denn einen Krieg führt man nie gegen Menschen, weil die einem staatlichen System scheißegal sind, sondern eine Herrschaft führt einen Krieg gegen eine andere Herrschaft. “Die Menschen” sind da einfach nur Opfer, Verschubmasse, Geiseln oder nützliche Idioten in Mannschaftsuniformen.
Man nenne doch bitte den Namen eines Staats und meine damit genau nur das: Diesen Staat und dessen Nutznießer. Denn es geht ja doch nur um diese Interessen. Und zwar deren “berechtigte”, die Rußland einerseits, EU und USA andererseits verfolgen. Diese Formulierung verwendete schon 1914 der deutsche Kaiser in seiner (vom Reichskanzler geschriebenen) Rede in Bezug auf die Habsburger-Herrschaft: “Bei der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen ist der verbündeten Monarchie das Russische Reich entgegengetreten.” So wie damals die beiden Kaiser und deren Industrielle um nichts besser waren als der Zar und sein Gefolge sind auch heute deutsche, US-amerikanische und ukrainische Oligarchen nicht besser als die Rußlands. Eine souveräne, demokratische und sozial gerechte Ukraine will niemand von denen. Aber für diese Oligarchen sollen die ukrainische Bevölkerung und auch die russischen Soldaten bluten.
Kant hatte in seiner Schrift “Zum ewigen Frieden” gehofft, daß unter demokratischen Verhältnissen keine Kriege mehr geführt werden. Diese gäbe es nur solange, wie sie nicht die “höfischen Ballspiele” störten. Er hat wohl nicht damit gerechnet, daß auch mit Wahlen die gleichen Figuren an die Macht kommen und die genauso für ihre Refugien sorgen, wo sie ihre Ruhe haben. “Don’t fight, gentleman, this is the War Room”, wie der US-Präsident in Kubricks “Dr. Seltsam” meinte.
Herrschaft der Angst
Wir leben jetzt seit zwei Jahren wegen eines Virus in ständiger Angst und Verteidigungshaltung. In dieser Zeit, sind der autoritäre Charakter und der Militarismus aufgeblüht — überall Feinde, gegen die es sich zu verteidigen gilt, nein, nicht die Viren, sondern die Ungeimpften und die Geimpften, die Staatshörigen und die Verschwörungstheoretiker und die zwischen allen Stühlen, die jeweils der Gegenseite zugerechnet werden. Das hatte schon einen leichten Hauch von Bürgerkriegsstimmung. Aber jetzt gibts einen echten Krieg, noch dazu recht nahe und mit einem dämonenhaften Bedroher unserer Freiheit und unserer Lebensart; na, das freut doch die geistigen Landesverteidiger ungemein. Und jetzt schwärmen wir in Österreich von Aufrüstung, NATO-Beitritt und Truppenübungen! In Deutschland werden für das Militär gerade Euros aus dem Fenster geworfen, als würde das Geld morgen verboten, und man denkt dort auch über die Wiedereinführung der Wehrpflicht nach.
Ich halte mich da lieber an obzitierten HC! Der ist aus der Wehrmacht desertiert, wurde in ein Strafbataillon gesteckt, desertierte noch einmal und geriet trotzdem in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Der wußte, was Krieg und Militarismus bedeuten. Daher sei hier nochmal aus seinem “Manifest” zitiert: “Wir rufen euch alle auf: wehrt euch gegen diese barbarei! laßt euch nicht durch radetzky-, deutschmeister und kaiserjägermarsch aug und ohr auswischen… pfeift auf den lorbeer und laßt ihn den linsen!”
Bernhard Redl, 16.3.2022
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Nachtrag 20.3.: Spiegel-Bild
Darling, ich bin im Kino! Der Autor vorstehenden Textes konnte ja noch nicht ahnen, daß der „Spiegel“ drei Tage später mit einem Kinoplakat als Cover aufmachen würde, das die obige Kritik leider rechtfertigt:
